Von Dylan Akalin
„Rock im Paaaaark“, ruft Amy Lee von der amerikanischen Symphonic-Rockband Evanescence. Äh, nein, das ist Rock am Ring. Aber so eine Irritation kann bei dem Pensum der Bands in diesen Tagen zu vorkommen. Zudem ist es spät. Erst um viertel vor eins betritt die Band mit der Mezzosopranistin die Mandorastage, die gleich mit „Broken Pieces Shine“ ihre vokalen Begabungen präsentiert.
Tag 2 bei Rock am Ring 2023 ist ein Tag der Gegensätze und Vielseitigkeiten. Als Cleopatrick um 13.30 Uhr auf der Mandorastage den zweiten Festivalteil eröffnen, ist der Platz nur spärlich bevölkert. Dabei hätte das talentierte Duo Luke Gruntz (Gesang, Gitarre) und Ian Fraser (Schlagzeug) ein großes Publikum verdient gehabt. Der Rock des Zweigespanns ist rau, Bässe und Drums einschneidend, die Gitarrensounds bis zum Ansatz verzerrt, der Gesang wütend und rastlos: „Jesus Christ, can you treat me nicely?“, fragt Gruntz beim Opener „Ok“ und macht deutlich, worum es bei den Songs überwiegend geht, um die Suche nach sich selbst, um Selbstzweifel, ums Erwachsenwerden. Die Musik der Beiden wurde aus Rohstoffen verarbeitet, die Nirvana, AC/DC, Arctic Monkeys oder Grandson heißen, und im heißen Zustand zu ungeschliffenen Skulpturen gehämmert. Großartig!
Bury Tomorrow, Blond und Nothing But Thieves
Während dann die Metalcore-Band Bury Tomorrow hier bei strahlender Sonne Vollgas gibt, präsentiert das sympathische Indie-Pop-Trio Blond aus Chemnitz ihren Gänseblümchenrock auf der großen Bühne. Nina Kummer überspielt dann sehr geschickt und professionell wieder mal einen technischen Aussetzer auf der großen Utopia-Bühne.
Nothing But Thieves hat seinen ganz eigenen Sound geschaffen, der offenbar ein breites Publikum anspricht, vom älteren Metalfan (ersichtlich vom Metallica-T-Shirt) bis zu jungen Mädchen mit Blümchen-Tattoos. Bassist Phil Blake ist die starke Präsenz auf der Bühne, der alles zusammenhält, während Frontmann Conor Mason, der geradezu schüchtern wirkt, seine beeindruckende Stimmbandbreite ausspielt. Und die Fanbase ist textsicher, sie schmettert Refrains, bevor sie jedes Mal in Euphorie verfallen, wenn Mason seinen atemberaubenden Stimmumfang und sein schimmerndes Falsett unter Beweis stellt.
Hollywood Undead
Der Platz vor der Mandorastage ist bei Hollywood Undead derart voll, dass die Menge bis zu den Imbissständen steht. Die Musik der Truppe ist voller Energie und Power, die Raps in schwindelerregendem Tempo auf den Punkt. Ziemlich perfekt klingt die Band mit ihrer Fusion aus Nu Metal, Rap- und Rock-Core, sodass einige um mich herum meinen, das müsste Playback sein oder zumindest Teil-Playback. Die Musik erinnert bisweilen an Linkin Park, Limp Bizkit und Papa Roach, die später auch noch einen beeindruckenden Auftritt haben sollen, bei dem zwei der Untoten Hollywoods als Überraschungsgäste mitwirken. Einer der Undeads erinnert mit seiner Verkleidung an Libyens früheren Diktator Muammar al-Gaddafi.
Incubus
Beeindruckend und einer der für mich besten Auftritte des Tages: Incubus. Frontmann Brandon Boyd sieht mit der grauen Strähne im Haar ziemlich cool aus und ist fantastisch drauf – wie die ganze Band. Incubus wurde vor mehr als 30 Jahren in Calabasas, Kalifornien, gegründet. Kaum zu fassen, dass die Band schon 30 Jahre auf dem Buckel hat und Brandon Boyd damals erst 15 Jahre alt war. Mit ihrer melodischen und bisweilen melancholischen Verbindung von Funk und Metal zählte Incubus zu den gefragtesten und von Kritikern euphorisch gefeierten Bands der Rockszene. Und ihre frühen Hits „Pardon Me“, „Stellar“ und „Drive“, der das Set beschließt, finden bei den Fans immer noch großen Anklang. „Karma, Come Back“ könnte auch von Tool sein, den Beatles-Song „Come Together“ hat man so noch nie gehört. Mit tiefer Stimmer und schleppendem Rhythmus macht Incubus aus dem Stück eine Hymne des 21. Jahrhunderts. Ein toller Moment!
Papa Roach
Jacoby Shaddix von Papa Roach hat die Energie eines Duracell-Hasen: Er ist kaum zu stoppen, klettert zum Publikum runter, rauf auf die Absperrung und feuert die Menge immer wieder an während auf der Leinwand über der Bühne rasende Farben die machtvolle Musik optisch unterstützen. The Cures „Lullaby“ sorgt für etwas Ruhe, und Shaddix hat Muse, Herzen in die Luft zu malen und ins Publikum zu schicken. Und bevor er „Scars“ anstimmt appelliert er an die Fans, sich nicht von Problemen runterziehen zu lassen. „Denkt immer daran, dass das alles nur temporär ist, lasst nicht zu, dass sie euer Leben bestimmen!“ Gänsehaut als die Menge im roten Licht der untergehenden Sonne den Chorus mitsingt.
Tenacious D
Ist das Jack Black? Total zugewachsen der Mann. Aber ja, Tenacious D ist wieder da. Jack Black und Kyle Gass machen aus Rock eine urkomische Blues- und Rock-Show. Die beiden müssen nur die Bühne betreten, da bricht schon Jubel aus, und alle Gesichter lachen. Die beiden sind aber nicht nur Meister des Humors, sie können auch rocken. Jack Black hat den Gesang, und Kyle Gass sagenhafte Fähigkeiten an der Gitarre. Und das Publikum jubelt schon bei den ersten akustischen Tönen von „Kickapoo“, den Openersong. Songs wie „Tribute“, „Sax-a-Boom“ und „Dude (I Totally Miss You)“ runden das Set ab und bescherten den Fans einen äußerst unterhaltsamen Auftritt. Die Show endete in perfekter Tenacious-D-Manier mit „The Spicy Meatball Song“ und „Fuck Her Gently“. Man kann nicht anders als dauerhaft zu lachen.
Kings of Leon
Kings of Leon kann man mindestens die Hälfte der Show kaum auf der Bühne sehen. So dunkel ist die Lichtregie. Die Musik der Band hat für mich überhaupt nichts mit Southern Rock zu tun. Bei „The Bandid“ fällt kurz ein Country-Schatten auf den Song, auch „Red Morning Light“ könnte mit Country im herzen geschrieben worden sein, bei „Back Down South“ legt sich beim Gesang von Caleb Followill tatsächlich etwas Country-Schmelz auf die Stimme. Ansonsten gute Show, eine Musik, die sicher bei nächtlicher Autofahrt belebt. Das raffinierte Arrangement und die elegante Instrumentierung bei „Find Me“ ist betörend. „Pyro“ legt sich wie ein blumiges Sternenmeer über die Menge. „Use Somebody“ beginnt zunächst hymnisch, wirkt dann aber irgendwie gebremst. Mit dem Megahit „Sex on Fire“, den das Publikum begeistert mitsingt, beendet die Band die Show.