Al Di Meola lacht. Er habe bei seinem neuen Albumtitel „Elysium“ zwar weder Beethovens berühmte Symphonie noch Schillers Gedicht im Sinn gehabt. Aber mit Deutschland habe es dennoch zu tun, sagt er augenzwinkernd. „Es ging mir um die Beschreibung eines Ortes, wo perfektes Glück herrscht. Und Deutschland spielt bei diesem Punkt ja eine große Rolle.“ Seit zwei Jahren zieht es den Gitarrenvirtuosen auffällig häufig nach München, wo seine Verlobte, eine 27-jährige Journalistin lebt.
Und ihr hat Di Meola auf seinem neuen Album auch ein Stück gewidmet. „Stephanie“ gehört zu den anmutigen, den tänzerisch-leichtfüßigen Kompositionen, so wie auch das Titelstück. Ansonsten bewegt sich Di Meola eher auf abstrakteren Pfaden, und beim Eingangsstück „Adour“ muss man schon sehr genau hinhören, um den Meister der beflügelten Finger überhaupt zu erkennen. „Das neue Album klingt tatsächlich überhaupt nicht wie irgendeines meiner Alben, und ich bin froh, dass es ein Eigenleben hat“, erklärt er im Gespräch mit Cem Akalin.
Das erste Stück auf dem Album, “Adour”, würde man nicht gerade als ein Al Di Meola-Stück erkennen. Es ist sehr untypisch.
Di Meola: Das ist gut!
Denkst du das auch?
Di Meola: Ich weiß nicht… Ich bin aber froh, dass du das so siehst. Weiß du, wenn ich dieses Album mit „Pursuit Of Radical Rhapsody“ (2011), meinem letzten Bandprojekt vergleiche, dann stimmt es schon, dass es nicht so klingt. Es klingt vielleicht überhaupt nicht wie irgendeines meiner Alben, aber ich bin froh, dass es ein Eigenleben hat.
Wie ist es dazu gekommen?
Di Meola: Es sollte eigentlich ja ein Akustik-Album werden, aber dann kam einer meiner früheren Gitarrentechniker mit diesem wunderbaren Pedalboard mit all den tollen Sounds vorbei. Ich war ganz begeistert, welche Sounds ich darüber mit meiner Les Paul herausholen konnte, und so bekam das Ganze eine völlig neue Richtung. Und die Les Paul bekam dann doch wieder so was wieder eine Hauptrolle in dem Album.
Bei „Cascade“ hört man schon mehr von diesen Ausbrüchen, für die du bekannt bist. Worum ging es dir bei diesem Album? So manches klingt wie eine Art Essenz deines Schaffens. Vieles klingt abstrakter, reduzierter, ausgewogener. Warum?
Di Meola: Als ich mitten in meiner schrecklichen Scheidung steckte, war das Komponieren meine Therapie. Und diese abstrakten Aspekte, die du auf dem Album hörst, sind das Resultat meiner Schmerzen, aber für mich fühlt sich das so natürlich an. Es sind all diese emotionalen Schmerzen, die ich verarbeitet habe. Aber da gibt es eben auch die anderen Aspekte – wie eben die der Freude über meine neue Beziehung. Für mich spiegelt das Album diese beiden Aspekte meines Lebens wider.
Ha, jetzt verstehe ich. Denn das Titelstück hat tatsächlich etwas Tänzerisches, etwas Leichtes. Es ist wie die Auflösung einer Spannung.
Di Meola: Genau darum geht’s, das Stück hat auch Leidenschaft. Meine Verlobte hat mich wirklich sehr inspiriert, und das Album ist für mich ein großes Stück Komposition. Es steht aber auch für eine neue Verbindung zum 1970er Sound, eine Art, die Vergangenheit mit der Zukunft zu verknüpfen.
Dennoch: Es ist auch ein sehr intellektuelles Album geworden. Ich finde, dass du dem Zuhörer einiges abverlangst. Es sind nicht immer Reisen mit einem klaren Ziel. Zum Beispiel „Purple & Gold“. Es beginnt sehr lyrisch, akustisch mit einer Art Steelgitarre im Hintergrund, dann kommt ein Bruch – und die Reise nimmt immer wieder einen völlig anderen Verlauf.
Di Meola: Genau! Wie im richtigen Leben eben! Wenn ich schreibe, dann horche ich in mich, wohin die Reise wohl gehen wird. Es muss einen Grund dafür geben, wohin man treibt. Da ist etwas in mir, das mir sagt, was als Nächstes kommt. Ich finde es interessant, dass du dieses Stück erwähnt. Je öfters du dir dieses Stück anhörst, desto mehr wirst du verstehen, worum es geht. Ich weiß genau, was du meinst. Aber so ist es eben mal: Du biegst im Leben vielleicht mal auch mal links ab, statt umzukehren. Du kannst nicht immer wissen, was dich erwartet. Weiß du, in der instrumentalen Musik müssen wir mit ganz anderen Mitteln arbeiten, um etwas auszudrücken, weil wir keine Worte benutzen.
Gehört also auch Verwirrung oder das Moment der Überraschung zum Konzept?
Di Meola: Mhm, instrumentale Musik ist anspruchsvoller. Die Musik, die ich mache, spricht sicherlich nicht die großen Massen an. Das hat sie nie. Aber meine Kompositionen sind komplexer, es gibt zwar auch Melodien, aber die Stücke sollen nicht wie durchstrukturierte Kompositionen klingen. Das ist sowas wie meine Anti-Jazz-Theorie. (lacht)
Auf dem neuen Cover ahnt man den freien Oberkörper. Das hat was von Wiedergeburt oder von einem Neuanfang…
Di Meola: Das Foto ist in München von einem großartigen Team gemacht worden. Und die waren alle so total von dieser Aufnahme begeistert. Ich sagte nur: „Oh, wirklich?“ Und sie sagten alle, ja, das ist das Bild, das steht für Neuanfang, sie sagten, das Bild stehe für eine neue Geschichte. Sie meinte, ich müsse mein Image resetten. Aber du musst das Foto mit den anderen im Album gemeinsam betrachten. Und als meine Verlobte das auch so sah, dachte ich, ok…! (lacht)
Irre ich mich, oder sind auch kleine Zitate in den Stücken versteckt? An Paco de Lucia, John McLaughlin, Ralph Towner, Larry Coryell…
Di Meola: Wow! Also, da ist erstmal das Stück „Sierra“. Das sollte ursprünglich eine Würdigung an Paco sein, doch dann wurde es eine an Paco und Pino Daniele. Ja, ich meine, Pacos Einfluss ist ja offensichtlich. Paco und mich verband sowas wie eine eine große rhythmische Kameradschaft. Ich vermisse ihn sehr.
Das ist ja wirklich etwas, was deine Musik so prägnant macht: dieses elegante Spiel mit Rhythmen. Steht das eigentlich am Anfang des Schaffensprozesses?
Di Meola: Ja, unbedingt. Die Arpeggio-Teile sind immer das erste, was ich schreibe, die Teile, die die Harmonie aufbrechen. Dann kommt der Rhythmus, was für mich immer der härteste Teil des Komponierens ist. Normalerweise komponiere ich dann die Melodie, die sozusagen oben drauf kommt. Ich beginne tatsächlich nie mit der Melodie. Das funktioniert bei mir einfach nicht. Es kann auch schon mal mit der Harmonie beginnen und dann mit den Basslinien. Dasselbe ist mit den Drums und den Percussion: Die spielen niemals dasselbe. Sie haben alle ihren eigenen Part, und diese unterschiedlichen Sounds ergeben am Ende ein Ganzes. Es ist eine Menge Arbeit.
Wie gehst du vor beim Komponieren? Entsteht ein rhythmisches Konzept? Geht es mehr um Harmonik? Du bewegst dich irgendwie immer weiter weg von melodischen Grundstrukturen.
Di Meola: Mhm, das kommt auf das Stück an. „Adour“ hat ja eine sehr starke Melodie. Aber im zweiten Teil geht es in eine von Arpeggios getriebene Bewegung, und im dritten Teil ist wieder sowas wie eine angedeutete Melodie. In der Musik sind so viele unterschiedliche Annäherungen und Versatzstücke aus unterschiedlich geprägten Kulturen, die von den Arpeggien gestützt werden. Sierra wird von einer großartigen Melodie getragen. Der Punkt ist, es reicht nicht, eine gute Melodielinie zu haben, wenn sie nicht von dem nötigen Untergrund gestützt wird. Umgekehrt geht’s auch nicht.
Robben Ford hat mir neulich erzählt, dass er sich nie andere Gitarristen anhört und dass er beim Spiel ans Tenorsaxophon denkt. Wie ist es bei dir? An was orientierst du dein Gitarrenspiel?
Di Meola: Schlagzeug und Percussion. Ich bin davon überzeugt, dass Rhythmus der wichtigste Aspekt von Musik ist. Das ist das erste, was Leute sofort einnimmt. Es kann aber auch mal das Piano sein. Ralph Towner, der ich sehr verehre, ist ein ebenso guter Pianist wie er ein Gitarrist ist. Sein Einfluss, auch Piazzolas, oder der Beatles … es geht darum, wie dich Musik berührt. Ich denke, viele haben wegen der Beatles überhaupt begonnen, Gitarre zu spielen.
Du auch?
Di Meola: Ja, sicher. Aber einige, so wie ich, wollten weitergehen und mehr über die Möglichkeiten der Gitarre lernen. Und wenn du immer weiter vordringst in die Möglichkeiten, die die Gitarre dir bietet, dann bist du da, wo Fusion begann. Es war einfach naheliegend. Ich spielte ja schon Skalen und Gitarrenläufe, die über die Pentatonik der Beatles weit hinausgingen. Das war das Resultat meiner frühen Jazzausbildung, ich liebte die Beatles, aber als ich auf das Berklee College of Music, da hatten sich die Beatles schon aufgelöst, und das was John tat oder Paul etwa mit den Wings machte, das war nicht so mein Ding. Ich war und bin wirklich nur ein Fan der Beatles.
Als Teenager schon als bester Gitarrist deklariert zu werden: War das mehr Fluch oder Ansporn mehr?
Di Meola: Na ja, ich war ja nicht der beste… Fakt ist, dass die Band (Return To Forever) bekannt für ihre Kompositionen und die Musiker war, die technisch großartige Spieler waren. Ich meine: Chick und Stanley! Fusion war neu und aufregend, und die Spieltechnik war ein großer Teil des Sounds. Wenn du nicht die technischen Fähigkeiten hattest, warst du auch nicht in der Lage, diese Kompositionen zu spielen.
Aber das war nicht das, was dich interessierte?
Di Meola: Weißt du, Paco war einer der schnellsten und saubersten und ausdrucksstärksten Gitarristen, aber das, was mich inspiriert hat, war diese Kombination aus seinem Ausdruck und der unglaublichen Präzision seines Spiels. Und dasselbe gilt auch für Chick, der einen großen Einfluss auf mich hatte, weil er einen erstaunlichen Ausdruck hatte und das bei der Fähigkeit, unglaublich schnell zu spielen. Es ist alles in deinen Fingern, wie du anschlägst.
Du hast ja auch so einen präzisen Spielstil…
Di Meola: Ich habe eine spezielle Pickingtechnik, einen leichten Anschlag mit einem sehr genauen, gleichmäßigen Druck auf den Saiten, was eben eine recht spezielle Lautbildung erzeugt. Bei mir gibt es kein Verstecken, es treibt mich. Musiker, die mich faszinieren, sind die mit dem besten Ausdruck, so wie Steve Gadd am Schlagzeug oder Gonzalo Rubalcaba am Piano… Ja, ich war ein guter Spieler, und ich war zur rechten Zeit am rechten Ort… Ich hatte Glück.
Frank Zappa hat über John McLaughlin mal gesagt, er spiele seine Gitarre wie ein Maschinengewehr…
Di Meola: Das war kein Kompliment!