The Pretty Things pflegen ihren Sound der Sechziger immer noch – und das ist gut so. Am Dienstag bewies die Gruppe um die Gründungsmitglieder Richard „Dick“ Taylor und Phil May, dass sie immer noch auf die Bühnenbretter gehören.
Von Cem Akalin
Schon das Equipment! Diese alten Verstärker von Selmer werden wohl seit Jahrzehnten nicht mehr gebaut, aber sie haben mal den Sound der Sechziger geprägt. Die Beatles spielten Selmer, und „House of the Rising Sun“ von den Animals wäre ohne diesen so metallischen und doch warmen Gitarrensound ganz sicher ein völlig anderes Stück geworden.
„Sind sie die besseren Rolling Stones?“, fragte die Süddeutsche Zeitung vor Jahren. Die Antwort wird gewiss je nach Blickwinkel unterschiedlich ausfallen. Nur eines ist klar: Sie sind auf jeden Fall die Band, die dem dreckigen Bluesbeeinflussten alten Beat immer noch die Stange hält.
Erstaunlich ist auch, dass die Truppe Klamotten und Schuhe trägt, die aussehen, als hätten sie die Jahre auf irgendeinem Speicher überlebt. Wo sonst bekommt man noch solche Zuhälterstiefeletten mit hohen Blockabsätzen her? Ja, ja, ist klar… in London gibt’s alles.
Die Gruppe mit dem merkwürdigen alten Gitarristen links, der aussieht wie ein emeritierter Professor, dem Gitarristen rechts mit der grauen Wuschelmähne und dem Bassisten, der aus Gotham City stammen könnte, wirkt sowas von schräg… Man müsste einen Roadmovie mit ihnen drehen.
Aber noch erstaunlicher als das alles ist, wie unglaublich authentisch die Musik, größtenteils in den 1960er Jahren entstanden, klingt. Gut, wenn Phil May, 71, Zeilen wie diese singt, “Hey Mama, Keep your big mouth shut,/ I’m in love with your little girl/ And your little girl is in love with me…”, dann bekommt das Stück unfreiwillig eine neue Bedeutung…
Dennoch: May gibt immer noch einen sehr präsenten R&B-Shouter mit ganz eigenem Ausdruck und dynamischem Phrasing – auch wenn er hin und wieder mal zum Salbutamol greifen muss, um die Bronchien zu erweitern.
May galt einst als einer der wildesten Rocksänger, er soll die längsten Haare in Europa gehabt haben, hieß es. In der britischen R&B-Galerie stand er in einer Reihe mit Leuten wie Eric Burdon, Van Morrison und Mick Jagger. In den Sechzigern galten The Pretty Things, die sich nach einem Song ihres Idols Bo Diddley benannt hatten, als die wildeste Band der Welt, „härter“ noch als die Stones. Und das wollte damals schon was heißen. Außerdem wurde May von den Mädchen damals mindestens so angehimmelt wie Mick Jagger.
Taylor war schließlich Gründungsmitglied und Bassist der Rolling Stones, bevor er 1963 als Leadgitarrist gemeinsam mit Sänger Phil May die Pretty Things gründete. Er betrachte den Blues „akademisch“, schrieb Keith Richards in seiner Autobiografie „Life“ über Taylor, den er als Musiker ziemlich lobt. Am Dienstag spielt Taylor jedenfalls ungezierte Soli, die zwar stark im Blues verwurzelt sind, aber, vor allem je später der Abend wurde, doch auch einen ziemlichen psychedelischen Einschlag hatten – insbesondere natürlich bei „S.F. Sorrow Is Born“ oder „LSD“. So manches Mal fürchtete man schon, er würde etwas untergehen gegen die beiden „Jungen“ auf der anderen Seite der Bühne, doch der Bluesveteran mit der coolen didaktischen Gelassenheit, ließ sich so schnell nicht abhängen.
Mit rasanten Riffs und Soli glänzte Frank Holland, der auch schon mehr als ein viertel Jahrhundert dabei ist. George Wooseys energiegeladener Bass und das vorzügliche Schlagzeug von Jack Greenwood, die beide altersmäßig Enkel von May und Taylor sein könnten, sorgten für eine verlässliche Rhythmusabteilung.
Das Programm bleibt überwiegend in der Frühzeit der Pretty Things. Bei „The Same Sun“ wird‘s gar richtig hymnisch, zu Klassikern wie „Big Boss Man“ oder „Road Runner“ liefert Holland auch ein paar wilde, krächzende Mundharmonikaeinlagen. Das Publikum durfte mehr als zufrieden nach Hause gehen.