Pat Metheny weiß schon, was das Publikum von ihm erwartet, und er gibt es ihm gleich zu Beginn seines fast dreistündigen Konzertes in der Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf. Er schlendert in einem schlabberigen Ringelshirt, ausgebeulten Jeans und seiner wilden Mähne auf die Bühne, schnappt sich die akustische Gitarre und zaubert „New Year“ aus den Nylonsaiten, um einige Minuten später die eigens für ihn gebaute 42-saitige Pikasso-Gitarre zu schnappen.
Für jeden Gitarrenschüler ist es eh ein unerklärliches Phänomen, wie man damit umgehen kann. Doch der aus Missouri stammende amerikanische Jazzgitarrist, der im August seinen 60. Geburtstag feiert, spielt mit einer Leichtigkeit, schafft unfassbare Klangwelten, in denen es mehr Dimensionen zu geben scheint. Es entstehen rätselhafte Raumklänge, wie auf Harfen, Sitars und Gitarren gespielt, doch entwichen aus dem großen Resonanzkörper eines Flügels. Dieser Mann hat eine eben seine ganz eigene Vorstellung von musikalischer Ästhetik. „Musik ist etwas, das die Zeit verändert, sie anhält, sie zurückfließen lässt. Wenn du Musik machst, dann führt sie dich ganz nah an die existenziellen Geheimnisse heran“, hat Metheny mir mal in einem Gespräch erklärt. Was er damit meint, wird ganz besonders bei seinen Liveauftritten klar – wie am Samstag vor mehreren tausend Zuhörern in Düsseldorf.
Doch Metheny sieht – jedenfalls zurzeit – seine Rolle in der Band ganz anders, als noch in den vergangenen Jahrzehnten. Seit zwei Jahren hat er seine Unity Band gegründet, bestehend aus Chris Potter an Tenor-/Sopransaxophon und Bassklarinette, Ben Williams am Bass, Antonio Sanchez am Schlagzeug und, seit dem jüngsten Album „Kin“, dem Multiinstrumentalisten Giulio Carmassi. Es ist so etwas wie eine Rückbesinnung an seine Zeit mit Michael Brecker, Jack deJohnette und Charlie Haden, und selbstredend führt er mit seiner neuen Truppe auch eine Komposition aus dieser „80/81“-Zeit auf.
Und Potter demonstriert gleich, dass er nicht mit dem genialen Brecker konkurrieren will. Potter hat seinen ganz eigenen Stil, auch wenn er von der Intonation, besonders auf den Alben, manchmal frappierend an Brecker erinnert. Klar, kommen beide aus der Coltrane-Tradition. Doch Potter hat noch diese Wildheit eines Charlie Parker in sich. Und es ist schon ein Ereignis mitzuerleben, wie sich diese Truppe in ekstatische Höhen spielt, sich musikalische Duelle liefert, die polyrhythmischen Strukturen der Songs geradezu zerpflückt, um dann doch auf den Punkt wieder zusammenzukommen.
Es gibt wohl wenige Drummer, die so effektvoll wie Antonio Sanchez sind, der die Kraft und Genialität eines Tony Williams mit der Leichtigkeit und Eleganz eines Elvin Jones verbindet. Metheny liebt es ganz offensichtlich, mit dieser jungen Truppe zu spielen, lässt ihr genügend Raum, nimmt sich – wie etwa bei „Rise Up“ – zurück, bietet ihnen rhythmischen Background, treibt sie an oder flicht mit ihnen musikalische Blumenbänder im Duo.
Das hat schon seine eigene Klasse, wenn er etwa mit Chris Potter aus Jerome Kerns „All the Things You Are“ ein boppiges Gericht rührt, oder im Duo mit Ben Williams an seine eigenen Anfänge erinnert. „Bright Size Life“ aus seinem ersten gleichnamigen Album erweckt dazu Erinnerungen an den Bassisten Jaco Pastorius. Und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass dieser 59-Jährige sich immer noch den Jungen in sich bewahrt hat, wie er da auf der Bühne mit seinen verschiedenen Gitarren wirbelt, Sounds aus dem Synthesizer holt, die klingen, als würden Fabelwesen durch ihre Rüssel trompeten – und nach jedem Stück glücklich ins Publikum strahlt.
„Ich habe immer gedacht, dass es ein großer Teil meines Jobs ist, Leute mitzunehmen, sie mit an einen imaginären Platz zu führen. Denn das ist genau das, was mit mir selbst geschieht, wenn ich mit den besten Musikern zusammenarbeite“, hat mir Metheny vor zwei Jahren gesagt. Das ist genau das, was am Samstagabend passiert ist.
Das Publikum verließ am Ende des Konzertabends jedenfalls beseelt die Konzerthalle, auch weil der Abend etwas von einem „Best of“-Konzert hatte. Metheny präsentierte Teile seines gigantischen Orchestrion-Projektes — einer Art analoger Synthesizer, mit dem Metheny über einen Computer Glockenspiel, Percussion-Instrumente und ein immer wieder aufblinkendes Flaschenregal, dem über eingeblasene Luft Pfeifenklänge entlockt wurden –, mit dem zauberhaften „Dream of the Return“ auch einen seiner hymnisch-romantischen Songs, vieles aus seinem neuen Unity Band-Projekt und als letzte Zugabe ein akustisches Medley seiner bekanntesten Melodien von „Minuano“ über „Last Train“ bis „This is not America“. Besser kann ein Metheny-Abend nicht sein.
(Cem Akalin)