Roger Cicero ist tot. Er starb am Abend des 24. März 2016 an den Folgen eines Hirnschlags – „im Kreise seiner Lieben ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben“, wie das Management am Dienstag mitteilte. Das Fatale: Sein Vater, der berühmte Pianist Eugen Cicero, starb 1997 im Alter von 57 Jahren – ebenfalls an den Folgen eines Gehirnschlags. Roger fand ihn damals tot in seinem Haus in Zürich.
Ein Nachruf von Cem Akalin.
Roger Cicero war gerade angekommen. Bei sich. Bei seinen Wurzeln, wie er kürzlich sagte, dem Jazz. Auf dem Zenit des Erfolgs, nochmal angefeuert durch seine Teilnahme an Xavier Naidoos Musikprojekt „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“, kehrte der Künstler vor zwei Jahren wieder zurück. Sein Herz gehörte eben dem „Abenteuer Jazz“. Sarah Connor begann auf Deutsch zu singen, Roger Cicero hörte damit auf. Dabei war er vor allem durch die poppigen Bigband-Jazznummern mit frechen deutschen Texten bekannt geworden. Mit „Frauen regier’n die Welt“ belegte er beim Eurovision Song Contest 2007 zwar nur einen der hinteren Ränge, der Song brachte ihm aber einen nationalen Erfolg. Roger Cicero, der ab 7. April seine längst ausverkaufte Tour fortsetzen wollte, ist am vergangenen Donnerstag völlig überraschend 45-jährig verstorben. Das teilte gestern das Management mit.
Vor zwei Jahren stellte er sein feines Projekt „Jazz Experience“ bei den Leverkusener Jazztagen vor. Als CD erschien „The Roger Cicero Jazz Experience“ erst im Oktober 2015 und gerade erst als Vinyl-Scheibe. Im November 2015 brachte er anlässlich des 100. Geburtstages von Frank Sinatra auch noch das Album „Cicero sings Sinatra“ heraus. Als er im vergangenen November wegen eines akuten Erschöpfungssyndroms mit Verdacht auf Herzmuskelentzündung alle Termine bis Ende des Jahres absagen musste, überraschte das in seinem Umfeld kaum jemanden. Zu viele Termine, zu viele Konzerte, zu viele Verpflichtungen. Cicero galt als Arbeitstier, als Perfektionist. (siehe auch hier)
Dass er ausgerechnet zur Veröffentlichung seines Sinatra-Albums, ein Konzertmitschnitt, der auch im Fernsehen gezeigt wurde und an dem er über ein Jahr lang gearbeitet hatte, komplett ausfiel, schmerzte ihn. Aber es ging nicht anders. Das Management teilte mit: „Roger Cicero lässt seine Fans herzlich grüßen und freut sich schon sehr auf die Tournee im April 2016.“ Am 22. April hätte The Roger Cicero Jazz Experience beim Jazzfest Bonn auftreten sollen.
„Wir sind sehr traurig und fassungslos. Roger Cicero war ein liebenswerter Mensch und großartiger Musiker. Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie“, sagte der Leiter des Jazzfest Bonn, Peter Materna. Er hatte Cicero als 18-Jährigen kennengelernt, als beide bei Peter Herbolzheimers Bundesjazzorchester (BuJazzO) spielten.
Im Hinblick auf dieses Konzert bittet Materna um Verständnis: „Wir bitten alle Konzertgäste, uns ein paar Tage Zeit zu geben. Sehr gerne würden wir diesen herausragenden Jazzmusiker in besonderer Weise ehren. In den kommenden Tagen wissen wir mehr“. Alle Konzertbesucher, die Tickets für das Konzert im Telekom Forum am 22. April gekauft haben, finden in den kommenden Tagen nähere Informationen auf der Homepage beziehungsweise im Newsletter des Jazzfest Bonn.
Erschüttert ist auch Julia Hülsmann. Die mehrfach ausgezeichnete Jazzpianistin hat mit Roger Cicero vor genau zehn Jahren das wunderbare Album „Good Morning Midnight“ herausgebracht, eine jazzige Vertonung der Lyrik von Emily Dickinson – vielleicht ein Projekt, an das Cicero jetzt mit seiner Band Jazz Experience anknüpft. „Tragisch“, sagt Hülsmann, die damals der Produzent Siggi Loch mit Cicero zusammengebracht hatte. Sie erinnert sich an den „wahnsinnig disziplinierten Menschen“, der ein guter Gesprächspartner gewesen sei, „einfach ein netter Mensch im tatsächlichen Sinne, sehr easy in der Zusammenarbeit“.
„Easy“ war es für den Sohn des Jazzstars Eugen Cicero sicher nicht immer. Klavierunterricht mit vier Jahren, als Zwölfjähriger wurde er schon als „Wunderkind“ auf Bühnen präsentiert, trat etwa im Vorprogramm der Chansonsängerin Helen Vita auf. Eugen Cicero, aus Rumänien stammender Pianist, der auch für seine Mozart- und Schubert-Interpretationen bekannt war, war eine Vaterfigur, die wie ein Monument über dem zart gebauten Roger ragte. Kinder von solch überragenden Persönlichkeiten haben es nicht immer leichter. Sie müssen sich vielfach umso mehr beweisen. Im BuJazzo galt Cicero als unfassbar talentierter wie disziplinierter Künstler.
Mit 18 Jahren spielte er als Solist im BuJazzO, mit 20 tourte er mit dem Rias-Tanzorchester unter Leitung von Horst Jankowski, mit der Berliner Band Soulounge veröffentlichte er die Alben „The Essence Of A Live Event“ (2003) und „Home“ (2004) und nahm mit 2003 am Montreux Jazzfestival teil. 1991 hatte er im holländischen Hilversum angefangen, Jazz zu studieren.
Cicero hatte 2006 gerade mit Hülsmann die wunderbar arrangierten Stücke eingespielt, als er einen Plattenvertrag von Warner bekam. Das Projekt wurde kaum zehnmal live aufgeführt, da untersagte die mächtige Plattenfirma Cicero weitere Auftritte. Für Roger Cicero war es aber auch eine Chance, aus dem mächtigen Schatten seines Vaters zu treten. Der Erfolg von „Männersachen“ gab ihm zunächst auch Recht, diesen Weg gegangen zu sein. Richtig glücklich machte es ihn aber wohl nicht.
„Jazz stand für mich vor allem für Freiheit. Bis heute gibt es für mich kein Genre, das so vielfältig ist und trotzdem nur vier kleine Buchstaben zur Verständigung braucht wie der Jazz. Die Fährte meiner frühen musikalischen Wurzeln wiederaufzunehmen, schien mir lange verlockend“, sagte er letztes Jahr kurz vor der Veröffentlichung seines feinen Jazz-Albums. Und bei den Leverkusener Jazztagen im November 2013 erlebte man ihn mit seinem Lieblingsprogramm tatsächlich außergewöhnlich befreit. Die Zeilen flossen nur so aus ihm heraus. „Moody’s Mood“ spielte er die ganze Bandbreite seiner stimmlichen Klasse aus. Es ist ja eher der Jazz der vierziger bis sechziger Jahre, die ihn geprägt haben, er wuchs mit den eleganten Klavierlinien von Erroll Garner und Oscar Peterson auf, die auch der Vater verehrt hatte, Cicero war der Mann mit dem Hut, der immer tadellos gekleidete Entertainer, der für die erwachsenen Gefühle zuständig war, eher für Ausgleich stand und sich auch für dem Mainstreamjazz nicht zu schade war, bei dem Ausbrüche eher kontrollierter Natur waren, Leidenschaft hatte seine Grenzen, wie bei einem wahren Gentleman eben.
Und Cicero war auch dieser ganz feine Mensch, der offenbar nicht so gerne Menschen enttäuscht. Und so kündigte er zuvor an, dass er mit seiner „Jazz Experience“, mit denen er auch Songs von James Taylor, Tom Waits oder den Beatles völlig neu interpretiert, ausschließlich englischsprachige Jazzversionen präsentiert, „damit unsere Auftritte nicht mit falschen Erwartungen besucht werden“.
Er freute sich unglaublich auf die Tour, die am 7. April in Frankfurt losgehen sollte und schon seit Monaten ausverkauft ist.
Einen Tag nach seinem letzten Live-Auftritt im Bayerischen Fernsehen traten plötzlich akute neurologische Symptome infolge eines Hirninfarktes auf, teilte seine Agentur gestern mit. Im Krankenhaus verschlechterte sich sein Zustand rapide. „Roger Cicero verstarb am Abend des 24. März im Kreise seiner Lieben ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Wir sind fassungslos und unendlich traurig. Unser Mitgefühl gilt in erster Linie seiner Familie“, teilt das Management mit.
Roger Cicero wurde erst kürzlich für seine beiden aktuellen Projekte „Cicero sings Sinatra“ und „The Roger Cicero Jazz Experience“ jeweils für einen Echo 2016 nominiert. „Auf Wunsch der Familie bitten wir von Kondolenzbriefen Abstand zu nehmen“, heißt es in der Erklärung weiter. „Roger Cicero würde sich sicher über eine Spende für die Organisation Save The Children freuen, die er jahrelang unterstützt hat und die ihm sehr am Herzen lag.“
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