Steve Howe im Interview: Yes hat einen unzweifelhaften Anspruch

Yes kommen im Mai auf Europatour. FOTO: Ratay-Music

Die britische Progressive Rock-Band Yes Ende der 1960er Jahre den populären Beat und den Psychedelic Rock zu einem neuen Stil verband, fiel sie schon wegen ihres Sängers auf: Jon Anderson, der Mann mit der ungewöhnlich hohen Stimmlage und den fantasievollen Kostümen, die ihm eine Zeitlang Marianne Evans aus Bonn schneiderte, Witwe des Badfinger-Musikers Tom Evans. Ab 1970 wurde die stilprägende Musik von Yes vor allem durch Steve Howe beeinflusst. Der Gitarrist, der auf manchen Stücken auch live auf der Bühne mehrmals die Instrumente wechselt, ist bekannt für seine Obsession, Klangfarben zu kreieren.

Für viele stießen Yes neue Türen in der muffigen und beatorientierten Gedankenwelt der 1970er Jahre auf. Diese neue Klangwelt, die ungewöhnlichen Texte, die Bilder von Roger Dean auf ihren Plattencover – das alles war so, als hätte Yes etwas geschaffen, auf das die jungen Leute damals gewartet hatten, aber nicht wussten, dass es so etwas überhaupt geben könnte. Das galt auch für die Musik anderer Bands, die einen ähnlichen Weg wie Yes gingen: King Crimson, Genesis, Jethro Tull… Am 23. Mai 2016 spielt Yes zwei Alben, die für den Beginn und das Ende der 1970er Jahre gelten, live im Bonner Brückenforum (Beginn 2015 Uhr): „Fragile“ und „Drama“. Mit Steve Howe sprach Cem Akalin.

Gibt es für dich so etwas wie eine Erweckung? Wie hast du deinen Stil entwickelt?

Steve Howe: Ich bin ja 1970 zu Yes gestoßen, nachdem die Band schon einige Alben gemacht hatte. Mein Stil passte zur Band, und der war beeinflusst worden von der Geburt der  instrumentalen Gitarrenmusik, zum Beispiel der Shadows und anderen Rock ‚n‘ Roll-Bands. Und dann entdeckte ich Chet Atkins, sehr geschmackvoll, stilistisch sehr reif. Ich sah Leute wie Wes Montgomery und andere große Gitarristen, die mich inspiriert haben.

Dein Stil, der von Flamenco, Blues und Rock, Klassik bis hin zum Country ja alles absorbiert und zu etwas Neuem kreiert hat, ist so ungewöhnlich, dass man dich unter allen Gitarristen sofort heraushört. Was ist dir an deinem Sound wichtig, wie gehst du vor?

Yes-Logo: FOTO: NoiseNow
Yes-Logo: FOTO: NoiseNow

SH: Der Gitarrensound ist sowas wie eine Stimme. Du hast deine eigene Stimme, ich habe meinen eigenen Stimmklang. Es hängt auch davon ab, wie du die Gitarre spielst. Wes Montgomery zum Beispiel schlug die Saiten meistens mit dem Daumen an. Das gab ihm einen so individuellen Sound. Ich benutze zum Beispiel sehr ungewöhnliche Plektrums.

Ja, ich habe gelesen, dass das welche sind, die es gar nicht zu kaufen gibt und aus einem bestimmten Material  sind.

SH: Genau. Außerdem benutze ich Jazzgitarren für Rock ‚n‘ Roll. Ich stand schon immer auf dem Farbenreichtum von Vollresonanz-Gitarren. Das war sicher die Basis meines Sounds. Aber bei der Suche nach meinem Sound, da habe ich auch immer wieder mal die Gitarre gewechselt, bis ich gemerkt habe, dass ich in der Gibson tatsächlich das Fundament für meinen eigenen Sound habe. Als wir an „Fragile“ gearbeitet haben, da habe ich die akustische Gitarre für mich wieder entdeckt. Damals habe ich mich gefragt, ob die Leute mich dennoch am Stil wieder erkennen.

Und?

SH: Ja, haben sie. Ich denke, dass ein Teil meiner Ausdrucksform sicherlich die Mischung unterschiedlicher Gitarren und Stile ist. Ich spiele auch mal ein Banjo, die Mandoline oder oft die Steel-Gitarre, die zu meinen Lieblingsgitarren gehört.

… und für diesen singenden, wiegenden, hymnischen Sound sorgt…

SH: Sie erzeugt genau die Stimmung, wie ich sie mir vorstelle! Ich denke, Sound kommt mit deiner Persönlichkeit.

Der Einfluss von Wes Montgomery ist zwar sicherlich manchmal durchzuhören. Und trotzdem liegen doch große Unterschiede zwischen Euch. Da muss es noch etwas anderes geben, das dir wichtig ist. Stimmst du mir zu, dass das, was du mit deinen Gitarren erschaffst, eine Art von erhabener Schönheit ist?

SH: Oh, das ist nett, dass du das sagst. Nachdem ich meine Identität durch meinen Sound gefunden habe, ist die Art wie ich spiele, wie ich die Saiten anschlage, die Akkorde, die ich auswähle, die Melodien, die ich schreibe, bemerkenswert (Er benutzt das altenglische Wort „phenomenous“). Mit anderen Worten: Das ist genau die Musik, die ich hören will und die ich spielen möchte. Diese Musik ist mein Zuhause! (lacht)

Das klingt jetzt alles …

SH: … durchdacht und anspruchsvoll. Ich weiß. Aber es ist einfach die Art, wie ich die Gitarre spiele. Ich kann nicht anders. Das Endprodukt steht für genau das, was du bist. Ein Sänger steht mit seiner Stimme da. Er kann sie nicht ändern. Nimm Tony Bennett! Er singt wie Tony Bennett! Und die Leute lieben es. Es geht um Identität. Du bekommst sie nicht, weil du sie unbedingt willst. Oft weiß man nicht einmal, wo sie herkommt.

Und so ist es auch mit dem Gitarrenspiel?

SH: Richtig.

Was bedeutet dann Schönheit für dich? Hast du eine eigene Definition dafür?

SH: Oh ja. Danke, dass du mich nochmal zurück zum Faden bringst. (lacht)  Ich liebe schöne Gitarren, ich liebe wunderschönes Gitarrenspiel. Weiß du, ich mag keine Leute, die ihre Gitarren auf der Bühne zerschlagen, die einfach nur nach Schmutz („Grunge“) klingen. Das ist nicht effektiv. Das ist für mich ein eindimensionaler Anspruch. Wenn diese Leute wüssten, wie schwer es ist, eine gute Gitarre zu bauen, würden sie sie nicht zerschlagen. Wie kann man nur?

Schönheit!

Das Plakat der Tour. FOTO: NoiseNow
Das Plakat der Tour. FOTO: NoiseNow

SH: Ja! Schönheit kommt in der Kunst vor. In der Natur. Das Gesicht einer schönen Frau hat eine gewisse Symmetrie. Wir lieben schöne Frauen aufgrund dieser besonderen Linien, die dein Unterbewusstsein als „schön“ erkennt… Entschuldige bitte, dass ich nicht von Männern rede! (lacht) Das ist auch in der Musik so. Wenn Leute einen Song mögen, sagen sie in der Regel, dass sie die Band oder den Sänger lieben. Aber eigentlich ist es der Sound, der sie anspricht. Deshalb spielen Produzenten im Kreativprozess der Musik eine so große Rolle. Deswegen sollte man lernen, wie man Leute mit einer Tonfarbe erreicht. Auf „The Yes Album“ hatte ich wirklich einen sehr ernsthaften Ansatz, was meine Klangwirkung angeht, und Eddy und ich haben sehr intensiv daran gearbeitet.

Eddy Offord war eine Legende als Produzent in  der Progrock-Szene. Er hat ja nicht nur Euch, sondern auch Emerson, Lake & Palmer produziert.

SH: Eddy wusste genau, wie er die Gitarre auf einem bestimmten Level aufs Band bringen konnte. Er wusste alles über Kompression und EQ (Equaliser), über Tongestaltung und  Tonfrequenzen. Ich hatte zunächst meine Zweifel, aber es half meinem Sound ungemein.

Welche anderen Gitarristen haben für dich einen „schönen Sound“?

SH: Es gibt viele erfolgreiche Gitarristen mit einem großartigen Klang, Leute wie Jimi Hendrix, Jimmy Page, Jeff Beck, Brian May. Das war damals eine wunderbare, reiche Ära. Wir könnten jetzt sicher eine halbe Stunde lang Gitarristen mit tollem Sound aufzählen, und es gibt welche, die zwischendurch auch mit sehr grässlichem Klang gespielt haben. Das mag ich nicht. Das hat mit Schönheit nichts zu tun, eher mit dem Gegenteil. Selbst wenn du Kontraste brauchst. Aber Schönheit steckt ja in so vielem. Wenn wir über Schönheit reden, dann reden wir eigentlich über die Natur. Und die Musik steht für  sowas wie ein Symbol für die Natur. Musik imitiert die Natur…

An was denkst du, wenn du deine Gitarrenparts komponierst? Denkst du in Bildern, Gefühlen…?

SH: Oh, das ist nicht einfach… an Wasser, Farben auf Papier. Mein Wasser-Farben-Papier ist eine Gitarre und ein Aufnahmegerät.

Du arbeitest wie ein Maler?

SH: Mhm. Wenn ich etwas komponiere, dann warte ich nicht darauf, dass ich genug für ein Bild zusammenhabe. Meistens habe ich genug Ideen im Kopf, um vier oder fünf Stücke daraus zu machen. Ich warte nicht auf Inspiration. Musik machen hat auch etwas mit Arbeit zu tun. Wenn ich drüber nachdenke, dann ist die Inspiration die Kunst, die Technik das Medium, dies umzusetzen. Aber der Rest ist Arbeit. So wie bei einem Maler. Hockney bemalt ein Papier nicht einfach mit schwarzer Farbe und schreibt Hockney drunter. Wie ein Bild entsteht, ist ein kreativer Prozess – so wie bei der Musik.  Da spielen Instinkte mit, Erfahrungen, Wissen und das Vertrauen in deine Ideen. Wenn du einen Traum hast, dann ist der härteste Weg schon getan!

Wenn man dich live erlebt, dann wirkst du sehr in dich gekehrt, konzentriert, aber nicht verkrampft, diese Vielschichtigkeit deines Sounds erfordert sicher viel Konzentration. Ist es auch Arbeit für dich?

SH: Nein, überhaupt nicht. Denn die Arbeit liegt ja hinter mir. Die Proben, die Ideen, wie man einen Sound umsetzt, das alles liegt hinter uns. Wenn ich auf der Bühne bin, bin ich ein Künstler. Dann will ich einfach nur die Musik live präsentieren, ich will die Musik und das Gitarrenspiel genießen. Ich möchte … respektiert werden, für das, was wir geschaffen haben. Man will herausstechen. Aber wenn du auf der Bühne bist, dann denkst du nicht viel nach. Das ist auch nicht gut. Das wäre destruktiv. Auf der Bühne geht es darum, etwas zu gestalten, das dir wirklich Vergnügen bereitet.

Du genießt also den Live-Moment?

SH: Oh ja, natürlich. Sonst würde ich nicht mehr auftreten. Nein, es ist wirklich sehr aufregend. Es treibt dich, weiter vorwärts zu gehen, und du willst keine Hindernisse dabei haben, weder von irgendeinem verrückten Kerl in der ersten Reihe, der rumbrüllt, noch von irgendeinem technischen Desaster. Ich meine, der Sound ist deine Lebensader!

Ich habe Euch vor zwei Jahren in Mainz erlebt. Da habt ihr komplett die beiden Alben „The Yes Album“ (1971), „Close to the Edge“ (1972) und „Going for the One“ (1977) gespielt, kein einziges Stück vom gerade neu erschienen Album Heaven & Earth. Warum?

SH: (lacht) Naja, das Album war noch nicht raus. Auf der Tour davor haben wir „Fly From Here“ gespielt. Als wir letztes Jahr mit Toto unterwegs waren, haben wir ein paar Stücke aus „Heaven & Earth“ gespielt. Aber weißt du, wir haben eine Reihe von Alben gemacht, die unter Yes-Freunden sehr beliebt sind. Die neueren Alben sprechen vor allem die Fanbase an…

Ihr wollt also ein größeres Publikum erreichen?

SH: Naja, die Wellen, die unsere neuen Alben schlagen, sind kurz. Und es ist kompliziert, Platten mit Yes zu machen, also aus einem emotionalen und musikalischen Blickpunkt aus gesehen, nicht aus Businessgründen. Nun, wir müssen einen Weg finden, wie wir die Leute erreichen… (lacht) Weiß du, was ich meine?

Die Konzentration auf frühe Alben auf Euren Touren hat also nichts mit Nostalgie zu tun? Oder mit einer Sehnsucht nach der Vergangenheit?

SH: Nein, ich mache keine Platten, weil ich Sehnsucht nach der Vergangenheit habe! Mein letztes Solo-Album hieß bezeichnenderweise „Time“…

Und gerade hast du mit „Homebrew 6“ eine Solo-Reihe fortgesetzt, die du vor 20 Jahren begonnen hast. In diesem Jahr stehen auf der Tour „Fragile“ und „Drama“ auf dem Programm. Warum diese beiden Alben?

Yes Drama Yes FragileSH: „Fragile“ haben wir auf der US-Tour gespielt, und es kam ganz großartig an. Da haben wir es zusammen mit „Close To The Edge“ aufgeführt. In Europa haben wir es nie an einem Stück gespielt, und die Abfolge der Stücke auf dem Album ist ganz interessant. Es bietet viel Abwechslung mit Soli und Gruppenspiel… „Drama“ ist eine ganz andere Sache. Es ist ein ziemlich Gruppengetriebenes Album. „Fragile“ stand Anfang der 70er Jahre, „Drama“ am Ende. Ich finde die Kombination ganz interessant.

„Drama“ hat für mich eine andere Soundphilosophie, es steht schon für die Klangästhetik der 1980er Jahre.

SH: Ja, das New Age hatte sicherlich seine Wirkung auf uns gehabt, so wie Asia, mit der ich in den 80ern auch gespielt habe, auch diese Momente hatte. Deswegen gibt es Songs wie „Owner of a Lonely Heart“. „Drama“ ist ein großartiges Album, und ich bin sehr stolz darauf. Es war ein sehr besonderes Musikprojekt mit Trevor Horn, der viel Leidenschaft in das Projekt gesteckt hat. Das war ein großartiges Team.

Und heute?

SH: Ich glaube an die Musik, wie an nichts anderes auf der Erde! Yes ist irgendwie was anderes… Ich weiß auch nicht… Es ist eine verzwickte Sache. Ich bin immer noch voller Neugierde, um Neues zu machen. Und solange die Flamme noch brennt und uns inspiriert, so lange werden wir auch noch weiter Platten machen – mit Jon, Billy und Allen und Geoff…

Die früheren Yes-Mitglieder  Jon Anderson, Rick Wakeman und Trevor Rabin haben sich jetzt auch zusammengetan. Was denkst du darüber?

SH: Ich habe noch nichts gesehen oder gehört von ihnen. Ich wünsche ihnen viel Glück. Ich meine, Yes hat einen unzweifelhaften Anspruch. Jeder kann es spielen, wenn er ihm gerecht wird. Dann wird es eine wunderbare Sache.

Rick Wakeman sagte gerade, die Idee von Yes sei mit Chris gestorben.

SH: (lacht laut auf) Warum spielt er dann noch Yes?

Wer hat denn den wahren Yes-Sound?

SH: Kein einzelner! Das ist ja nichts, was man herumreicht wie einen Hut! Chris fände so eine Aussage nicht gut, „Yes würde mit ihm sterben“. Ich weiß das! Er hätte ihm widersprochen. Genau das war es, was er nicht wollte.

Chris Squiers Tod ist ein herber Verlust. Er hat das Bassspielt revolutioniert. Es wird die erste Tour ohne ihn sein.

SH: Nein, wir haben schon ohne Chris gespielt. Aber es wird die erste Tour in Europa ohne ihn werden.

Wird Billy Sherwood ihn ersetzen können?

SH: Billy macht das hervorragend. Und es ist ja nicht leicht, diese komplexen, vielschichtigen Stücke zu lernen. Natürlich fehlt uns allen Chris. Und tatsächlich hatte ja Chris ihn selbst gebeten, für ihn einzuspringen. Ursprünglich sollte Billy ihn nur vertreten, aber dann kam es anders… Und Billy ist ohne Zweifel ein großartiger Musiker.

Schließt du aus, dass es noch mal eine Zusammenarbeit mit Jon Anderson und Rick Wakeman kommt?

SH: (nach einer Pause) Die Frage entbehrt eigentlich der Logik. Weiß du… (Pause) Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Es reicht nicht aus, einfach zu sagen, ich möchte in einer Gruppe sein. Es ist mit vielen Verpflichtungen und viel Einsatz verbunden.

Es ist ja schon im richtigen Leben schwierig, Menschen zu treffen, mit denen man seine Gedankenwelt teilen kann.

SH: Ja, aber du musst eben auch akzeptieren, wenn es nicht mehr richtig läuft. Persönlichkeiten und Kreativität verbinden sich schlecht, wenn der Fluss das Fundament unter der Brücke weggerissen hat. Dann muss du dich eben mit anderen Leuten zusammentun! Es ist was anderes, wenn du deine Solo-Projekte verfolgst oder in einer Gruppe bist, wo du auch mal Kompromisse eingehen musst! Jetzt mit Jon Davison und Geoff Downes geht das Konzept Yes weiter. Wir haben gelernt weiterzugehen. Wir vertrauen nicht auf Nostalgie, sondern auf Fortschritt. Unsere Musik kann nicht in Nostalgie verharren, weil es dann kein Progressive wäre!

 

Tourdaten:

17.05. – HAMBURG, Mehr Theater
19.05. – FRANKFURT, Alte Oper
20.05. – LEIPZIG, Haus Auensee
21.05. – BERLIN, Admiralspalast
23.05. – BONN, Brückenforum
24.05. – STUTTGART, Hegel Saal
25.05. – MÜNCHEN, Circus Krone
27.05. – CH-ZÜRICH, Volkshaus