CDU statt Lou! – Oder: Der Lange Weg zum Lou Reed-Interview

Lou Reed beim Konzert auf dem Kunst!Rasen Bonn am 29. Juni 2012. FOTO HORST MÜLLER

Von Cem Akalin

Lou Reed (70), die personifizierte schlechte Laune, Schöpfer solch wunderbarer Songs wie „Perfect Day“, „Walk on the Wild Side“ und vielen anderen, hat Lust auf ein Gespräch. Ganz spontan. Dabei hatte ich das Interview längst abgeschrieben. Denn es war immer wieder abgesagt worden. Schon im Vorfeld hatte Reed sein Management regelrecht ein Bewerbungsritual veranstalten lassen. Der Meister wollte vorher ein paar Arbeitsproben sichten, bevor er sein Okay gab.

Natürlich habe ich ihm einige meiner Interviews zugemailt, denn ich wollte unbedingt ein Interview mit Lou Reed führen. Ich meine: Lou Reed!?

Ein paar Tage später rief die Agentur an und teilte mir mit, dass Reed nun einem Gespräch zustimme. Aber er wolle vorher wissen, was ich von seinem „Lulu“-Projekt halte? „Cool. Ich finde das total spannend“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Warum?“ Man druckste ein wenig herum, formulierte recht diplomatisch, dass Reed kein Gespräch mehr mit Leuten wünsche, die sich über die Zusammenarbeit Reeds mit Metallica aufregten. Bei der letzten Promo-Tour soll es zudem einige Interviewpartner gegeben haben, die so jung waren, dass sie nicht einmal wussten, wer Lou Reed überhaupt war. Nein, wenn eins klar war, dann, dass Reed offensichtlich überhaupt keine Lust auf Interviews hatte.

Das sollte sich bewahrheiten. Zunächst sollte das Gespräch in Luxemburg stattfinden, dann in Dresden, dann per Telefon. Man wurde vorbereitet. Auch wenn seine Tour „From VU to Lulu“ heiße, für einen Überblick über sein Lebenswerk sei die Show zu kurz, meine der Meister. Und im Übrigen wolle er vor allem über sein Musik-Projekt Lulu reden. Das nehme einen besonderen Raum auf seiner Tour ein.

Doch dann hieß es entschieden: Nein, Lou Reed gibt während der Tour keine Interviews! Das war’s also.

Bis ich ganz unerwartet an einem Abend die Agentur am Apparat hatte. Mr. Reed sei gerade in guter Laune und wolle mir ein Interview gewähren. „Sorry“, hörte ich mich sagen. „Ich kann nicht.“ Als Redakteur beim Bonner General-Anzeiger war ich gerade unterwegs zu einer Mitgliederversammlung der Bonner CDU. Eigentlich nichts Besonderes. An diesem Abend aber schon. Denn es war der erste öffentliche Auftritt von Norbert Röttgen nach seinem Wahldebakel bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. CDU statt Lou! ‚Das war’s jetzt wohl endgültig!‘, dachte ich mir…

Ich hatte Glück. Es kam doch nochmal die Gelegenheit. Genauso spontan. Die nette persönliche Managerin von Lou Reed rief an. Der Meister weilte zum Entspannen für ein paar Tage in Südfrankreich. Seine bisherigen Konzerte in Paris und Berlin waren frenetisch gefeiert worden. Reed war wohl gut aufgelegt – für seine Verhältnisse. Er werde mit mir sprechen, sagte sie. Ich hörte sich näherende Schritte am Telefon, ein paar unverständlich geflüsterte Worte. Ein Knurren. Noch ein paar Worte, die mir wie ein Beschwichtigen vorkamen. Die nette Dame warnte noch mal  vorsorglich, Reed habe bisher jedes Gespräch abgebrochen. Und dann ist er am Telefon – und bleibt in der Leitung. Nur als es ihm zu privat wird, verabschiedet er sich knapp – immerhin mit einem „Auf Wiedersehen“.

 

Mr. Reed, Frank Wedekinds Drama Lulu wurde im vergangenen Jahr gleich zweimal auf deutschen Bühnen inszeniert: einmal von Ihrem Freund Robert Wilson in Berlin, und einmal von Markus Dietz in Bonn. Und Sie haben eine Vertonung des Stoffs mit der Band Metallica vorgenommen. Was macht den Stoff so interessant?

Reed: Zunächst einmal, weil es Bob Wilsons Idee war. Zweitens: Wedekind hat ja mehrere Versionen des Stücks geschrieben. Es ist eine berühmte Geschichte, und das schon für eine sehr lange Zeit. Es gibt eine Oper, und es gibt einen Film mit Louise Brooks als Lulu. Ich bin sicher, Sie kennen ihn.

Louise Brooks, der große Stummfilmstar. Die Lulu-Verfilmung von 1929 hieß „Büchse der Pandora“.

Reed: Hmhm. Alban Berg schrieb die Oper, er schrieb die Texte und komponierte die Musik, eine eigene Version des Lulu-Stoffs. Und Bob dachte, wir sollten es auch tun. Ich glaube, sein Interesse daran war die Leidenschaft. Und mein Interesse war es auch. Deswegen habe ich den Stoff auch aufgegriffen.

Es verlassen immer noch Zuschauer eine Lulu-Inszenierung. Wundert Sie das? Oder spricht das eher für das Theaterstück, dass es noch aktuell ist?

Reed: Das interessiert mich nicht. Mich interessiert nur, wie schöpferisch das Stück ist. Es ist wunderschön, immer noch wunderschön. Und ich denke, Bobs Inszenierung ist exquisit.

Mr. Reed, was bedeutet Ihnen die Freiheit der Kunst?

Reed: Wie wichtig ist Ihnen das Atmen?

Ich frage, weil man den Lulu-Stoff doch heute eher metaphorisch sehen kann…

Reed: Nein, das interessiert mich nicht. Wir tun doch nur unser Bestes, um das Schönste zu erschaffen, was wir erschaffen können. Wenn die Kunst erschaffen ist, ist sie da. Was danach damit geschieht, ist mir egal. Es hat nichts mit mir zu tun.

Wedekind schrieb das Stück vor mehr als 100 Jahren, zu einer Zeit, da man kaum zu seinen Gefühlen stehen durfte, zu einer Zeit, da Frauen eine sehr eindimensionale Rolle zugewiesen bekamen. Warum ist solch ein Stoff heute noch aktuell?

Reed: Ich habe keine Ahnung. Das Stück ist doch eine einzige leidenschaftliche Handlung, es ist voller Emotion, es geht um echte Gefühle, um Rollentausch, um problematische Sehnsüchte. Das sind doch Dinge, die heute viel relevanter sind noch als gestern.

Es ist auch ein Stück, das bürgerliche Moralvorstellungen angreift, vor allem die Doppelmoral.

Reed: Das will ich doch hoffen.

Sie haben selbst eine Zeit mitgemacht, in der es nicht einfach war, offen zu seinen sexuellen Neigungen zu stehen. Was meinen Sie: Wie weit ist die moderne Gesellschaft heute?

Reed: Oh, ich beantworte solche Fragen nicht. Ich habe zu solchen Themen absolut nichts zu sagen. Ich rede nur über Musik. Ich bin kein historischer Analytiker.

In Wedekinds Urfassung ist Lulu mehr Opfer als Täter, weniger Femme fatal als mehr naive Kund-Frau. Auf Ihrem Cover stellen Sie Lulu als Puppe dar, als etwas, das man benutzt. Sie wirkt müde, aber erwartungsvoll, überrascht, aber resigniert. Ist das die Art, wie Sie die Lulu interpretieren?

Reed: Nein, sie ist eine Frau, die sehr, sehr attraktiv ist und weiß, wie man seine Attraktivität einsetzt. Und das macht sie so gefährlich. Und am Ende wird sie genau deswegen umgebracht.

Es geht ja auch um Liebe, Treue, Dankbarkeit: Nach der Auffassung von Wedekind waren dies Eigenschaften, die Frauen zugedacht wurden, aber das Ziel hatten, Frauen zu unterdrücken.

Reed: Von wem?

Der Gesellschaft. Ist das…

Reed: Ich weiß nicht. Mich interessiert doch nur das, was ich geschrieben habe, wie ich die Lulu interpretiert habe. Was interessieren mich die Beweggründe eines toten Dichters?

Sie haben doch seinen Stoff für Ihre Musik ausgewählt.

Reed: Na und?

Ok, dann versuchen wir es so: Glauben Sie, dass Liebe und Gewalt eng beieinander liegen?

Reed: Sie machen Witze.

Warum sollte ich? Gewalt spielt in manchen Ihrer Songs eine Rolle, andererseits haben Sie die schönsten Liebeslieder geschrieben. Also…

Reed: Das ist das Gleichgewicht. (Pause) Lulu ist für mich keine Puppe. Sie lebt, sie atmet, sie ist eine zu tief menschliche Frau, die versucht, das Beste aus ihrem Leben zu machen.

Sie ist jemand, der die große Sehnsucht hat, ganz frei die Liebe voll auskosten zu können.

Reed: Sie fühlt die Grenzen nicht, die die meisten Frauen haben. Das ist meine Version von Lulu. Wenn Sie sie nicht mögen, hören Sie sich eine andere an.

Mr. Reed, Sie haben Andy Warhol Songs gewidmet, ja, mit „Songs for Drella“ gemeinsam mit John Cale ein ganzes Album. Er spielte in Ihrem Leben eine große Rolle…

Reed: Das ist eine historische Tatsache.

Was hat er Ihnen gegeben?

Reed: Hm.

Darf man mal wieder auf eine Zusammenarbeit mit John Cale hoffen? Oder ist das endgültig Geschichte?

Reed: Das wird es nie wieder geben.

Warum nicht?

Reed: Niemals. Weil es nicht in den Sternen steht.

Schade.

Reed: Das finden viele Leute. Und?

In Bonn wird gerade eine wunderbare Bilderschau gezeigt, die Warhols Zusammenarbeit mit Jean-Michel Basquiat und Francesco Clemente zeigt. Kannten Sie die beiden?

Reed: Natürlich.

Schauen Sie sich die Ausstellung an?

Reed: Auf jeden Fall. Es ist toll, dass Deutschland große amerikanische Künstler würdigt.

Ihre Tour heißt From VU to Lulu. Sie wollen also einen Bogen ziehen aus der Zeit von Velvet Underground bis heute. Eine Tour zum Lebenswerk.

Reed: Soweit es in solch einer kurzen Zeit möglich ist.

An welchen Projekten arbeiten Sie noch?

Reed: Ich werde einen Fotoband herausgeben mit dem Titel „Reime“.

Worum geht’s da?

Reed: Um alles.

Menschen?

Reed: Alles.

Ihre Frau Laurie Anderson auch?

Reed: Alles, einfach über alles.

Sie sind mit Laurie Anderson verheiratet…

Reed: Darüber spreche ich nicht. Ihre Zeit ist abgelaufen. Good bye.

 

Nachtrag: Über das Management lässt der frühere Velvet Underground-Mastermind seine sehr detaillierten Wünsche für seinen Bonner Aufenthalt übermitteln. Eine weibliche Fachkraft, die Shiatsu, also traditionelle chinesische Massagetechniken beherrscht, sollte wohl in Bonn zu organisieren sein, und auch seine Vorliebe für Bioprodukte (Blaubeeren, zwei grüne Äpfel, grüner Salat) dürften kein Problem darstellen.

Reed steht auf Tee und zuckerfreie Softdrinks. Und eine weitere ebenso herzliche wie rigorose Bitte des Meisters lautet: Alkohol- und Rauchverbot im Backstagebereich. Auch seine Fans in den vorderen Rängen bittet er, während des Konzerts auf jeglichen Nikotingenuss zu verzichten.

 


 

Zur Person

Lou Reed (70) war 1965 eines der Gründungsmitglieder der experimentellen Rockband The Velvet Underground. 1972 veröffentlichte Reed das Glam-Rock-Album „Transformer“, das ihm zum ersten Mal eine gewisse Popularität verschaffte – besonders der Song „Walk on the Wild Side“.