Es war im Jahr 1963, und Pat Martino gehörte damals als 19-Jähriger zu Willis Jacksons Band, die ein Engagement im Small’s hatte, eine kleine Jazz Bar in Harlem. Wie üblich spielte die Band sieben Sets à 40 Minuten. Dazwischen gab es 20 Minuten Pause. Die nutzte der junge Martino, um ein paar Straßen weiter im Count Basie’s einen anderen Gitarristen zu hören, der damals schon für ihn eine Legende war: Wes Montgomery. Als er nach seinem Auftritt gegen 3 Uhr wieder rüberging, da standen sie an der Straßenecke vor Count Basie’s, die einflussreichsten Gitarristen des Jazz: Wes Montgomery, Les Paul, Grant Green und George Benson. Martino schloss sich ihnen an, um mit ihnen bis morgens acht Uhr beim Frühstück übers Gitarrenspielen zu fachsimpeln. Martino erzählt diese Episode in seiner 2011 erschienen Autobiografie „Here and Now!“, die es leider nicht in deutscher Übersetzung gibt.
Das Pat Martino Trio ist auf dem Jazzfest Bonn am 7. Mai 2015 zu hören. Auf dem Programm stehen zwei weitere Gitarren-Trios: das des Kölners Hanno Busch und des Wieners Wolfgang Muthspiel. Worin besteht der Unterschied der drei Jazzgitarristen? Alle drei sind eher introvertierte Musiker, technisch brillant und doch haben sie unterschiedliche Ansätze.
„Authentizität in der Musik ist heute so schwer fassbar.“
Die kleine Episode aus Pat Martinos Leben sagt viel über das mühselige Musikgeschäft, die harte Schule früherer Jazzmusiker, aber auch über die Vorstellungen des 70-Jährigen über den Jazz. Sie sagt einiges aus darüber, wo der Jazz entstand, nämlich nicht an den Musikhochschulen, sondern in den Clubs, in den Straßen von Harlem, New Orleans oder Saint Louis. „In Harlem war Jazz Teil des kulturellen Alltags“, erzählt Martino. Deswegen sei auch solch ein weißer, schmächtiger, junger Bursche wie Pat Martino, den sie alle nur „The Kid“ nannten, in dem überwiegend von Schwarzen bewohnten New Yorker Stadtteil akzeptiert worden. Für steht jedenfalls fest: „Authentizität in der Musik ist heute so schwer fassbar, weil die jungen Musiker nicht die Erfahrung machen, wie wir sie früher gemacht haben. Sie studieren den Jazz mit der Erwartung, einmal den Punkt zu erreichen, an dem man die Essenz der Authentizität absorbiert. Ich denke nicht, dass das geht, denn der Jazz wurde von so vielen Dingen beeinflusst.“ Von den Lebensumständen, von den Menschen in den Vierteln, ihren Gewohnheiten, ihrer unterschiedlichen Kultur, ja, sogar von dem von vielen Kulturen beeinflussten Gerichten.
Wer Martino live erlebt, der merkt gleich, dass dieser Ausnahmemusiker eins ist mit seiner Gitarre und dem Jazz. Sein vertrauter gedämpfter, zerebraler Ton, die so lässig hingeworfenen Sträuße rascher, prägnanter Noten, die er in einem technisch vollendeten wie klugen Ansatz der Gitarre verankert, die Wechsel von Melodieführung und Akkordfolgen kommen außergewöhnlich flüssig und locker. Martinos Linien sind reine Kreativität, sie werden geboren ohne Vorsatz, seine rasanten Noten lassen eine Idee nach der anderen ausbrechen, da wirbeln Riffs verdammt coolen Funks, durchbrochen von schnellen Rockfiguren, die sich in einer Reihe von Outnotes auflösen und sich anhören, als würden sie rückwärts gespielt.
Die erste Aufnahme eines Solos auf der elektrischen Gitarre stammt übrigens von 1935. Eddie Durham spielte es in einer Aufnahme von „Hittin‘ The Bottle“ im Swing Orchester von Jimmie Lunceford. Aber wirklich wichtig für die Jazz-Gitarre war ein anderer: Charlie Christian, ein Pionier und Ausnahmegitarrist, der die Gitarre erst zum Soloinstrument machte. Christian spielte mit dem Selbstvertrauen und Schwung der damaligen Saxophonisten und sein Stil stellte die Vorlage für alle, die nach ihm kamen, besonders für so einflussreiche Gitarristen wie Barney Kessel, Herb Ellis, Wes Montgomery, Grant Green und George Benson. Er war der erste, der wegging von dem staccato haften Spiel, der weiche, flüssige Linien spielte und dass er mit dem Saxophonisten Lester Young verglichen wurde, zeigte, dass er sich da an dessen eher elegantem Stil orientierte.
„Ich bin kein Freund zu vieler Noten“
An all diesen Gitarristen kommt kaum einer der Nachfolgenden vorbei. Sie haben den Stil geprägt – auch von Leuten wie Jimi Hendrix, Frank Zappa, B.B. King oder Prince. Hanno Busch gehört mit seinen 39 Jahren zu der Generation, die aus den Vollen schöpfen kann. Als festes Mitglied der Heavytones (TV Total) muss der Kölner die ganze Klaviatur der modernen Musik beherrschen. Der Absolvent des Konservatoriums von Amsterdam kommt von seiner Ausbildung zwar eher aus dem Modern Jazz, doch sein Stil ist durchaus auch vom Rock und Pop geprägt, liegt zwischen der Verpflichtung zur Melodiösität und einem experimentellen Anspruch.
Busch ist eher ein Suchender, er gehört nicht zu den Musikern, die ständig ein Statement setzen. Die komplexe Harmonik erinnert an John Scofield, die Gradlinigkeit und Zurückhaltung an Peter Bernstein und die Lyrik an Pat Metheny. „Ja, es stimmt, ich bin kein Freund zu vieler Noten“, sagt Busch schmunzelnd. Busch hat seinen Sound schon Leuten wie Sascha, Peter Herbolzheimer, Stefanie Heinzmann, Peter Kraus oder dem Saxophonisten Niels Klein und Cosmo Kleins Phunkguerilla geliehen. Nach so viel Pop habe er jetzt wieder „die Kunst in mein Leben lassen wollen“, begründet Busch sein Jazztrio, mit dem er gerade ein überraschendes Album herausgebracht hat. Überraschend, weil man von einem wie ihn sicherlich sehr viel mehr Fusion und weit weniger Experimentelles erwartet hätte.
Auch wenn Busch von sich selbst sagt, dass er sehr geplant in ein Konzert hineingehe, so lässt sein Musikkonzept doch ungemein viel Freiraum für überraschende Wendungen, für freies, organisches Wachsen. „In der Tat entwickeln sich viele Stücke aus dem Album immer weiter fort“, sagt Busch. Man darf gespannt sein auf den 11. Mai, wenn er mit Claus Fischer (Bass) und Jonas Burgwinkel (Schlagzeug) auf dem Jazzfest Bonn auftritt.
„Travel Guide“ gehört zu den Highlights des vergangenen Jahres
Für Überraschungen gut ist ganz bestimmt Wolfgang Muthspiel. Wer ihn beobachtet, wie er völlig versunken in sein Spiel, manchmal wie verwundert auf das Griffbrett schaut, kann nur erahnen was für eine Hingabe da für den Jazz ist. Diese Unbedingtheit, den richtigen Ton zu finden, diese Suche nach dem idealen Ausdruck, das Talent für geradezu atemberaubend schöne Momente und das alles verbunden mit einer so klaren Virtuosität lässt Muthspiel heute schon zu einer Legende werden. Sein aktuelles Album, das er mit den beiden Saitenkollegen Ralph Towner und Slava Grigoryan aufgenommen hat ist durchzogen von sakralen Momenten, klassischer Sensibilität und musikalischer Vollendung. „Travel Guide“ gehört sicherlich zu den Highlights des vergangenen Jahres.
„Der Haupteinfluss war eindeutig Metheny. Sein Timing, im Solo schlüssig zu sein und dauernd Melodien zu erfinden: Pat war für mich ein großartiger Held“, sagte er einmal in einem Interview. Kein Wunder, dass Gary Burton Muthspiel 1988 als Nachfolger von Pat Metheny in seine Band aufnahm. Der schon als Schüler als Hochbegabter geltende Muthspiel siedelte 1986 nach Berklee, um seine Kenntnisse komplexer harmonischer Zusammenhänge zu vertiefen.
Seine Karriere brachte ihn mit vielen bekannten Jazzern zusammen: Rebekka Bakken, Trilok Gurtu, Maria Joao, Dave Liebman, Peter Erskine, Paul Motion, Bob Berg, Gary Peacock, Don Alias, Larry Grenadier, John Patitucci, Brian Blade. Sein Leitsatz für Improvisation ist: Maxime für Improvisation ist, keiner Erwartungshaltung nachzugeben. „Man muss viel auslassen, viel die imaginierte Musik walten lassen“, erklärte der sonst so wortkarge Musiker einmal. Er müsse sich sehr bemühen, um aus diesem kleinen dynamischen Spektrum der Gitarre einen großen Raum zu erschaffen. Der große Raum des Jazz – das ist das Universum dieser drei Trios, ständig auf der Suche nach neuen Welten.
CD-Tipps:
Pat Martino: Joyous Lake (1976), Stone Blue (1998), Remember: A Tribute to Wes Montgomery (2006), We Are Together Again (with Gil Goldstein, 2013)
Wolfgang Muthspiel: Travel Guide (mit Slava Grigoryan und Ralph Towner) und Driftwood (mit Brian Blade und Larry Grenadier)
Hanno Busch Trio: Absent (2014)