Von Dylan Akalin
Das Covern von Beatles-Songs durch Jazzkünstler ist ein faszinierendes Phänomen, das die Vielseitigkeit und den zeitlosen Reiz der Musik der Beatles unterstreicht. Zahlreiche Jazzsänger und -bands haben sich im Laufe der Jahre daran versucht, die ikonischen Melodien, Harmonien und Texte der Beatles in den einzigartigen Stil des Jazz zu übersetzen. Eine der bekanntesten Jazzinterpretationen der Beatles stammt von dem legendären Pianisten und Bandleader Herbie Hancock. Sein Album „The New Standard“ aus dem Jahr 1996 enthält eine Version von „Norwegian Wood (This Bird Has Flown)“. Hancock interpretierte den Song mit einem funky, rhythmusbetonten Ansatz, der typisch für sein Spiel ist. Er verlieh dem Stück eine ganz neue Energie und Dynamik, während er dennoch die Grundstruktur und den Charakter des Originals bewahrte.
Neubearbeitungen eine neue Dimension
Jetzt also auch das Trio um Pianistin Julia Hülsmann, Posaunist Nils Wogram und Vibraphonist Christopher Dell, das am Samstag nach Mirna Bogdanovic im Landesmuseum Bonn auftritt. Gerade Letzterer bringt in diese Neubearbeitungen eine neue Dimension, die man von ihm übrigens so auch nicht kennt. Dass Dell einer ist, der wohlüberlegt an sein Spiel geht und durchaus Leidenschaft in sein Spiel bringt, weiß man. So emotional wie an diesem Abend habe ich ihn jedenfalls noch nicht erlebt. Beim Opener „Eleanor Rigby“ hält sich der Mann in dem zugeknöpften bordeauxfarbenen Anzug noch zurück und überlässt die Soli Hülsmann und Wogram. Wogram schafft es dann schon im Intro der der zweiten Nummer, „Norwegian Wood“ die an nassen Asphalt in Paris erinnernde Melancholie eines Film Noir zu verpassen. Das ist wirklich ungewöhnlich und lässt aufhorchen, wie Christopher Dell damit umgeht. Er zieht das Tempo an, stampft wie gewohnt auch mal mit dem Fuß während des Spiels auf, tritt einen Schritt zurück, als wollte er wie bei einem Gemälde den Gesamtüberblick behalten, legt erneut an und jagt durch die Harmonien, das einem schwindelig werden könnte. Das Publikum rast. Auch, als Wogram von dieser Dynamik angesteckt sein Solo spielt. Später wird sich Dell auch bei Hülsmann neubearbeiteten düster-mürrischen Version von „Yesterday“ geradezu in Rage spielen.
Es bleibt nicht aus, dass man immer wieder an andere Vertreter des Jazz denken muss. Etwa an das wunderbare Album „Come Together: Guitar Tribute to The Beatles“ des Gitarristen Joe Beck. Da interpretiert Beck Beatles-Klassiker wie „A Hard Day’s Night“ und „Eleanor Rigby“ auf seine eigene einzigartige Weise, indem er komplexe Jazzharmonien und improvisatorische Elemente einfließen lässt. Beck nutzt seine Fähigkeiten als Jazzgitarrist, um die Melodien neu zu interpretieren und ihnen eine ganz neue klangliche Dimension zu verleihen. Wogram legt diese beim Intro zu „Paperback Writer“ auf eine abstrakte Ebene, und Hülsmann greift eher dessen rhythmische Struktur auf, um dann sehr geschickt in die Melodie überzuleiten.
Was macht die Band aus „Blackbird“? Diesen wunderschönen, kleinen Song hat Cassandra Wilson auf ihrem Album „Loverly“ aus dem Jahr 2008 interpretiert, auf eine äußerst einfühlsame und emotionale Weise, wie ich finde. Wilsons warme, ausdrucksstarke Stimme verleiht dem Stück eine intime Atmosphäre und vermittelt die melancholische Stimmung des Originals auf eine ganz eigene Art und Weise. René Marie hat ebenfalls eine bemerkenswerte Version von „Blackbird“ präsentiert. Auf ihrem Album „I Wanna Be Evil (With Love to Eartha Kitt)“ von 2013 präsentiert Marie den Beatles-Klassiker von einer tiefen Emotionalität aus mit einem starken Sinn für Ausdruck. Marie verleiht dem Stück eine gewisse Intensität und Dramatik, während sie gleichzeitig die Einfachheit und Schönheit des Originals bewahrt.
„Blackbird“ von den Beatles
Ähnlich geht die Jazzpianistin und Komponistin Hiromi Uehara, besser bekannt als Hiromi, vor. Auf ihrem Album „Voice“ von 2011 präsentiert Hiromi eine kraftvolle und dynamische Version des Beatles-Songs. Mit ihrem virtuosen Klavierspiel und ihrer innovativen Herangehensweise an das Arrangement haucht Hiromi dem Stück neues Leben ein. Sie verleiht „Blackbird“ eine erfrischende Modernität und lässt dabei dennoch die zeitlose Schönheit des Originals erkennen.
Hülsmann/Wogram/Dell haben das Stück in einen abstrakten und einen konkreten Teil aufgegliedert. Dells experimentelles Intro dauert gut vier Minuten, die das Trio als Ganzes einsetzt und die Posaune das Thema trägt.
Warum covern Jazzkünstler die Beatles? Zum einen haben die Beatles einen enormen kulturellen Eindruck hinterlassen, der bis heute nachklingt, und sind eine der einflussreichsten Bands der Musikgeschichte. Ihre Songs sind zeitlos und haben Generationen von Musikern inspiriert, unabhängig von ihrem eigenen musikalischen Genre. Für Jazzkünstler bieten die Melodien, Harmonien und Texte der Beatles eine reiche kreative Grundlage, auf der sie ihre eigenen Interpretationen entwickeln können.
„The long and winding road“
Darüber hinaus bieten Beatles-Songs eine Fülle von Möglichkeiten für Jazzmusiker, um ihre Improvisationsfähigkeiten zu demonstrieren und ihre individuellen künstlerischen Visionen auszudrücken. Die komplexen Harmonien und eingängigen Melodien der Beatles-Songs bieten eine ideale Plattform für Jazzmusiker, um ihr handwerkliches Können zu präsentieren und gleichzeitig eine Verbindung zu einem breiten Publikum herzustellen, das die Originalversionen der Songs kennt und schätzt – und so die Ansätze der Jazzer vielleicht sogar viel besser versteht.
Ein weiterer Höhepunkt des Abends ist für mich Hülsmanns Solo-Performance zu „The long and winding road“. Da zeigt die gebürtige Bonnerin und in Berlin auch als Professorin Lehrende, warum Jazzfest-Leiter Peter Materna sie offenbar schätzt und mittlerweile zu sowas wie einen Stammgast beim Jazzfest Bonn gemacht hat. Die Pianistin hat ein breites Vokabular und bleibt sich dennoch treu. Da vermengt sie abstrakte Sounds mit schrägen Metren, lässt die Töne stolpern, sich aufrappeln, bisweilen wie bei einer lustigen Begleitung zu einem Stimmfilm, lässt Melodiepuzzles aufblitzen. Da moussieren hohe Töne wie Eiskristalle am Fenster, es ist ein emotional-intelligenter Umgang mit der Grundlage, die immer stärker aus den Schwaden der Sounds zu erkennen ist. Toll.