67 Minuten reinste Freude: Mirna Bogdanovic beim Jazzfest Bonn

Mirna Bogdanovic Group FOTO: Jazzfest Bonn/Lutz Voigtländer

Ein verblüffend schöner wie ungewöhnlicher Jazzabend im Landesmuseum Bonn. Am Samstagabend zeigt uns der Vibraphonist Christoph Dell im Trio mit Pianistin Julia Hülsmann und Posaunist Nils Wogram, dass er mehr ist als der „Brain“ der deutschen Jazzszene, wie ihn Jazzfest-Kurator Peter Materna mal bezeichnete. Der Mann steckt voller Geheimnisse. Und Mirna Bogdanovic beweist, dass sie vor einigen Tagen zu Recht den Deutschen Jazzpreis 2024 für ihr Album „Awake“ bekommen hat.

Es kommt nicht häufig vor, dass sich nach einem Jazzkonzert Melodiefetzen derart ins Unterbewusstsein festsetzen, dass sie dich noch im Schlaf beschäftigen. Das ist mir jedenfalls nach dem Auftritt der Mirna Bogdanovic Group passiert – und ich bin froh, dass ich mir ihr Album gekauft habe.

Mirna Bogdanovic bedient sich vieler Elemente unterschiedlicher Genres, um ihren sehr eigenen Jazzstil zu schaffen. Ihre außergewöhnlich guten Gesangsfähigkeiten und ausgezeichnete Beherrschung ihrer Stimme in jeder nur erdenklichen Phase eines Songs hilft ihr dabei, eine eigene Gattung zu schaffen, die vage zwischen Jazz, Fusion, Art-Rock und Alternative-Pop liegt. Um sie stimmlich und musikalisch zu beschreiben hilft es vielleicht, wenn man sich die Klarheit einer Flora Purim und ihren Gesang etwa auf dem „Light as A Feather“-Album dieser frühen Phase von Chick Coreas Return To Forever vorstellt, dazu die Sanftheit von Pedro Aznar bei der Pat Metheny Group, die Unbekümmertheit des Alternative Rock einer Alison Sudol und die Eindringlichkeit von Lee Douglas bei der Band Anathema beimischt. Nur um mal eine Vorstellung zu haben, welche Bandbreite diese Künstlerin da mit unglaublicher Leichtigkeit auf der Bühne präsentiert. Das Publikum ist jedenfalls ebenso beeindruckt wie ich und spendet kräftigen Applaus für die Band und Mirna Bogdanovic, die zudem sehr sympathisch durch den Abend führt.

Mirna Bogdanovic Group Jazzfest Bonn/Lutz Voigtländer

Die schrägen Akkorde, die sie beim Opener noch mit ihrer Ukelele unterstützt, und die ganz leichte  Brazil-Note zu Beginn lassen zunächst einen leichten Jazzabend erahnen. Doch es dauert nicht lange, bis Band und Sängerin uns mit ungewöhnlichen Wendungen überraschen. Mirna demonstriert beeindruckende Spannweiten ihrer Stimme, die Band baut eine Spannung bis zum Zerreißen auf. Die Stimme wird von einem instrumentalen Flirren unterstützt. Das Gitarrensolo von Peter Meyer klingt auf der Platte noch ein wenig wie Al di Meola mit angezogener Handbremse, live hat er einen runden, klaren, sehr sauberen Sound und startet zunächst mit oriental Moods und dreht zum Teil etwas rockig auf. Hier schon sind passagenweise Anklänge an Artrock zu erkennen. Die Band würde auf jedem Progrock-Festival gefeiert. Meyer begeistert immer wieder mit seinen Improvisationen, besonders gut gefällt es mir bei „I Know What You’ve Done“, vielleicht auch, weil er den Wechsel des Stimmausdrucks so empathisch übernimmt. Die zwei Mikrophone, die Mirna auf der Bühne benutzt, sind unterschiedlich eingestellt, auf einem hat sie diesen recht trockenen und unmittelbaren Sound ihrer Stimme, auf dem zweiten mehr Hall, ein leichtes Echo, das den Vocals eine breitere Nuance verleiht, fast wie eine zweite Stimme.

Povel Widestrand ist ein Liebhaber des manifesten Ausdrucks. Jeder Ton hat seine eigene Berechtigung. Das unterstreicht er selbst bei einem zarten Intro wie zu „Clocks“. Die Zehn-Minuten-Nummer trägt eine positive Melancholie, die an die frühe Pat Metheny Group erinnert. Im Mittelteil scheint die Zeit stehenzubleiben, die Struktur zerfällt wie in einem surrealen Traum. In der Live-Version kommt diese Sequenz wilder rüber, dabei hält Bassist Matthias Pichler, der später bei „Crossroads“ ein auffällig schönes Solo spielt, die kraftvolle Balance für die rasenden, leidenschaftlichen Ausbrüche von Schlagzeuger Philip Dornbusch.

„Me or You?“ ist so ein Stück der Band, das im Spannungsfeld zwischen britischem Alternative Pop, Jazz und Artrock liegt. Total unter die Haut geht ihre Neuinterpretation von Angie Stones „Wish I Didn’t Miss You“. Eigentlich ist es ein völlig neuer Song. Vom Motown-Disco ist auch nicht mal ein Hauch übrig. Diese Eindringlichkeit, der Fokus auf das wesentliche des Songs, die Weite der zurückhaltenden Instrumentierung, das Geradlinige der Stimme lässt sofort die Körperhaare aufrichten. Bei der Zugabe „Manipulative Mind“ demonstriert die Band noch mal ihre ganze Größe, die darin besteht, sich gegenseitig auch in leisen Tönen zu unterstützen. Das waren 67 Minuten reinster Freude.