Eine Erinnerung an einen Gitarristen vom anderen Stern

Heute vor 25 Jahren starb der texanische Bluesrock-Gitarrist Stevie Ray Vaughan: eine Würdigung von Cem Akalin.

Mit dem weißen Rüschenhemd, dem schwarzen Texas Hut, der kurzen bestickten Jacke und den weißen Schuhen sah Stevie Ray Vaughan aus wie eine Mischung aus Mariachi-Musiker und texanischem Landadel. Das war an einem Augusttag 1984, als der Rockpalast das Blueswunder aus Dallas auf die Loreley geholt hatte. Aber so war er. Er liebte auffälligen Silberschmuck am Hals und an seinen schwarzen Hüten, bunte Westen, altmodische weiße Hemden und theatralische Jacken. Das machte aus dem Bluesrockmusiker sowas wie eine Heldenfigur, eine Art Davy Crockett oder Zorro des Blues.

 The Complete Epic Recordings Collection Box-Set gibt es bei Amazon
The Complete Epic Recordings Collection Box-Set gibt es bei Amazon

Und viele sahen genau das in ihm. In Zeiten als MTV mit bunten Bonbon-Bildern den Popmainstream bestimmte, war es ausgerechnet ein weißer Junge aus Texas, der dem Blues neues Leben einhauchte und den Blues wieder in die Charts brachte. Der Siegeszug des Sonnyboys dauerte nicht lang. Schon nach gut acht Jahren auf den großen Bühnen des Rock erlosch am 27. August 1990 das Leben von Stevie Ray Vaughan bei einem tragischen Hubschrauberabsturz in East Troy, Wisconsin. Doch, so sind seine Fans überzeugt, seine Seele lebt weiter. Bonnie Raitt, eine seiner besten Freundinnen, sagte einmal über ihn: „Er war wahrscheinlich der heftigste Bluesmusiker, den ich je gehört habe. Er hatte einen Ofen in seinem Herzen, und er war der Inbegriff von allem, was dunkel und sexy, nachdenklich und leidenschaftlich ist.“

Der 31-jährige texanische Gitarrist Gary Clark Jr. bezeichnet ihn als einen Haupteinfluss auf seine Musik. „Sie können immer noch hier in Austin die Sixth Street runterlaufen und hören eine Reihe von jungen Gitarristen Stevie Ray Vaughan-Licks spielen. Und neulich traf ich einen 22-Jährigen in Melbourne, Australien, der enorm von Stevie beeinflusst war. Es ist eben eine globale Sache. Er ist einer der einflussreichsten Gitarristen überhaupt.“

Kenny Wayne Shepherd, Jonny Lang, John Mayer – sie sind alle SRV-Jünger. Selbst Pearl Jams Gitarrist Mike McCready bezeichnet SRV als größten Einfluss. Metallicas Kirk Hammett schrieb im vergangenen Monat eine Kolumne im amerikanischen GuitarWorld-Magazine: „Ich war einfach total weg von seinem Timing, seinem Ton, seinem Gefühl, Vibrato, seiner Phrasierung – einfach allem. Manche Menschen sind gerade geboren, Gitarre zu spielen, und Stevie war definitiv einer von ihnen.“

Als die Scheinwerfer Stevie Ray Vaughan trafen, da hatte er schon alle Schulen der großen Blues-Gitarrist absorbiert – einschließlich Jimi Hendrix und viel Jazz und Rockabilly. Er hatte einen unglaublichen Ton, der einen wie ein Monsterschlag treffen konnte. Hendrix‘ „Voodoo Chile“ ist an sich ja schon ein wildes, ungezähmtes Tier von einem Rockstück. Aber wenn SRV das Stück, das zum festen Repertoire seiner Liveauftritte gehörte, anschlug, da hatte man das Gefühl, dass eine Armee von Gitarristen über einen herfiel. Stevie Ray Vaughans lässige Virtuosität, sein tadellosen Sinn für Swing, sein klarer Sound ließen einen Blues Shuffle wie „Pride and Joy“ so hart aus den Lautsprechern krachen als wär es Metal.

 Couldn't Stand the Weather (Legacy Edition) Doppel-CD gibt es bei Amazon
Couldn’t Stand the Weather (Legacy Edition) Doppel-CD gibt es bei Amazon

Er und sein nicht weniger berühmter ältere Bruder Jimmie Vaughan wuchsen in Texas auf. „Mein Vater hatte einen Job, der es nötig machte, dass wir andauernd unterwegs waren. Wir wechselten wohl gut alle zwei Wochen die Schule“, erzählte Jimmie Vaughan später. Die Gitarre war für die beiden Jungs mehr als nur eine Ablenkung, vor allem für Stevie Ray war es eine Flucht in die Welt seiner Blueshelden: „Es war für ihn ein Instrument der Befreiung, sein magisches Schwert.“

Schon als Teenager spielten die beiden in Bands. Tommy Shannon, spielte noch in der Band von Johnny Winter als er eines Tages im „Fog“, einem Club in Dallas, den 14-jährigen Stevie Ray Vaughan spielen hörte und fasziniert von ihm war. Die Vaughan-Brüder wuchsen schnell zu lokalen Größen heran, vor allem in Austin, wo sich viele Bluesbands tummelten. 1972 bekam Stevie Ray das Angebot bei einer Bluesrock-Tour mitzumachen, dazu sollte er aber mit seiner Band ein paar Aufnahmen in LA machen. Es war das erste Mal, dass er raus aus Texas kam. Und es sollte nochmal zehn Jahre dauern, bis er den internationalen Durchbruch haben sollte.

1981: Irgendwie schaffte es der Manager von Stevie Rays Band Double Trouble, Mick Jagger ein Video der Band zu zeigen. Dieser war so begeistert, dass er die Band auf seiner Party in Manhattan spielen ließ. „Das war Wahnsinn!“, erinnerte sich Schlagzeuger Chris Layton. Denn auf der Party tummelten sich jede Menge Leute aus dem Musikgeschäft. Rhythm-and-Blues-Produzent Jerry Wexler vermittelte die Band, die noch nicht mal eine Platte rausgebracht hatte, fürs Jazz Festival Montreux. Als das unbekannte Trio im Sommer 1982 dort die Bühne betrat, auf der eigentlich eine Akustikband angekündigt worden war, erhielt sie zunächst nur höflichen Applaus, später neben viel begeistertem Beifall aber auch Buh-Rufe.

Unter dem Publikum war aber ein bekannter Musiker, der völlig begeistert war: Für David Bowie war SRV der beste „urbane“ Bluesgitarrist, den er je gehört hatte. Ob er auf seinem neuen Album mitspielen wollte, fragte Bowie Vaughan. „Klar, ruf mich an.“

In der Hotelbar gesellte sich noch Jackson Browne dazu. Man jamte bis morgens sieben Uhr, und Browne bot den jungen Bluesmusikern schließlich an, wenn sie mal in LA wären, dürften sie gerne mal ein paar Aufnahmen in seinem Studio machen. Die Truppe nahm ihn beim Wort. Es war Thanksgiving, und die Tontechniker hatten offensichtlich überhaupt keine Lust, die Feiertage im Studio zu verbringen und ließen die drei merkwürdigen Typen aus Texas nur auf irgendwelchen alten Bändern aufnehmen. 72 Stunden später war „Texas Flood“, Vaughans Debütalbum, aufgenommen – und wurde ein Welterfolg.

Bowie rief tatsächlich an. Eric Clapton erinnerte sich später, dass er Bowies Let’s Dance-Album im Auto gehört habe und sofort am nächsten Telefon anhielt, weil er wissen wollte, wer dieser einzigartige Gitarrist war. Das war 1983.

Es war diese Mischung aus jungenhaftem Charme, seine unbändige Leidenschaft für die Musik, die Unbedarftheit, dass ihn jeder sogleich ins Herz schloss. Für B.B. King war er wie ein Sohn. „Er hatte immer so viele Fragen, wie ein kleiner Junge, und er folgte mir überall hin und war glücklich, wenn wir über Musik reden konnten“, so B.B.King später.

Es lief gut für den Texaner. Man war ständig auf Tour, er spielte mit allen Gitarrenhelden seiner Jugend. Doch der Druck forderte seinen Tribut. Alkohol und Drogen richteten ihn geradezu nieder. Eric Clapton, der selbst diese Zeit hinter sich hatte, sprach SRV darauf an, doch der winkte ab. Er habe alles in Griff.

Hatte er nicht. Schon bei den Aufnahmen zum „Live Alive“ bemerkte er selbst, dass er „nicht gut in Form“ war. 1986 brach Stevie Ray Vaughan während einer Deutschland-Tour im Hotelzimmer zusammen. Darauf beschlossen er und Tommy Shannon, eine Entziehungskur zu machen. Stevie Ray begab sich einen Monat in eine Klinik in Atlanta.

Vor den ersten Auftritten war er nervös. Er wusste nicht, ob es auch nüchtern so gut laufen würde. Er stellte plötzlich fest, dass er praktisch nie nüchtern oder ohne Drogen auf der Bühne gestanden hatte. Doch es lief besser als je zuvor. Bei einem Gastauftritt bei seiner Freundin Bonnie Raitt spielte er gar so gut, dass sie das überzeugte, auch in eine Klinik zu gehen. Sein letztes Album „Family Style“, das er mit seinem Bruder aufnahm, sollte eine Referenz an all die großen Blueser sein: Albert King, B.B.King, Johnny Watson, T-Bone Walker, Lonnie Mack, Freddie King. Doch er sollte sein Erscheinen nicht mehr erleben.

Sein letztes Konzert im Alpine Valley im Süden von Wisconsin soll sein bestes gewesen sein, behaupten viele. Dort spielte er mit Eric Clapton, Robert Cray, seinem Bruder Jimmie und Buddy Guy. „An diesem Abend zeigte er, dass er vielleicht der größte Gitarrist überhaupt war“, erinnert sich Bonnie Raitt. Und Jimmie Vaughan sah es so: „Stevie war irgendwie unwirklich. Er war wie von einem anderen Planeten. Und wir alle wussten das.“