Chino über Culcha Candelas neues Album, Rassismus und Engagement

Interview mit Chino über das neue Album von Culcha Candela. FOTO: another-dimension/Oliver Rath

Nach zwei Jahren Pause und reduziert um zwei Bandmitglieder hat Culcha Candela an diesem Freitag ihr neues Album Candelistan herausgebracht. Man kennt die Ohrwürmer wie „Hamma!“, „Monsta“ oder „Berlin City Girl“. Und auch das neue Werk Candelistan ist wieder voller tanzbarer Gute-Laune-Stücke, die HipHop, Dancefloor, Soul, Funk, Latin und Reggae miteinander verbinden. Dennoch: Eine reine Party-Band sind Culcha Candela, deren Namen sich zusammensetzt aus der Verballhornung des englischen „Culture“ und dem spanischen Wort für Feuer, nicht. Die vier Musiker mit den unterschiedlichen ethnischen Backgrounds – Johnny Strange hat Wurzeln in Uganda, Itchyban in Polen, Don Cali in Kolumbien und DJ Chino in Korea – greifen aktuelle Themen nicht nur in ihren Texten auf, sondern beziehen auch Stellung etwa beim Flüchtlingsthema, auch wenn das zu Anfeindungen im Internet führt.

Mit Chino sprach Cem Akalin.

In dem Stück „Traumwelt“ Eures neuen Albums singt Ihr: „Ich lebe in meiner Traumwelt, weck mich nicht auf (…) Alles so schön, wenn man die Augen nicht aufmacht.“ Diesen Gefallen will ich dir jetzt nicht tun. Was siehst du, wenn du die Augen aufmachst in Deutschland im August 2015?

Chino: Tja, es fällt einem ja wirklich schwer, in diesen Tagen die Augen zu schließen, und die Aussage in dem Song ist natürlich sarkastisch gemeint. Wenn man die Augen offenhält, ist es teilweise schon sehr prekär, was man sieht.

Zum Beispiel?

Von wegen zugeklebte Münder! Culcha Candela hat was zu sagen -- und sie zun es auch! FOTO: another-dimension/Oliver Rath
Von wegen zugeklebte Münder! Culcha Candela hat was zu sagen — und sie zun es auch! FOTO: another-dimension/Oliver Rath

Chino: Aktuell ist es natürlich die Flüchtlingsthematik, die gesamtgesellschaftlich ja ziemliche Wellen schlägt. Dem können wir uns ja auch nicht entziehen. Das macht uns schon Sorge, was da passiert. Diese Anschläge, die negative Stimmung, die im Land herrscht. Das macht schon betroffen, und man versteht nicht, wie diese Stimmung von Leuten ausgehen kann, die noch vor wenigen Jahren und Jahrzehnten selbst in hoffnungsloser Lage waren.

Du meinst jetzt die Menschen im Osten Deutschlands?

Chino: Ja, aber auch das, was noch früher geschah. Die Geschichte ist ja noch nicht so alt… Wie kann man so schnell vergessen, wo wir herkommen, wo unsere Wurzeln liegen? Das macht mich tatsächlich traurig und besorgt.

Vor ein paar Tagen habt ihr auf Facebook einige Fakten aus einem Bericht von Pro Asyl gepostet, etwa dass Deutschland bei der Zahl der Asylanträge nur im Mittelfeld liegt. Und dann kamen natürlich wieder diese Kommentare, die anfangen mit „Ich bin ja kein Nazi oder Rassist, aber…“

Chino: Das sind mir die liebsten Genossen! Wenn Sätze so beginnen, dann weißt du ja schon, wohin die Reise geht! Das wirklich besorgniserregende ist ja, dass in diesen Diskussionen so eine Dynamik entsteht, in der sich Leute trauen, krasse Haltungen zu formulieren und sich dann auch noch gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Wir haben eigentlich versucht, diese Themen nicht so stark emotional anzugehen, sondern mit puren Fakten zu argumentieren.

Es gab auch viele Fans, die kommentierten, sie wollten lieber Eure tolle Musik hören und nicht mit Politik „belästigt“ werden. Überrascht dich, dass vielen die Gute-Laune-Musik offenbar lieber ist als die Inhalte?

Chino: Nicht so richtig. Wir sind zwar auch immer als die bunte Spaßtruppe wahrgenommen worden. Aber es ist uns ja auch schon immer ein Anliegen gewesen, bei all dem Spaß nicht den Kopf auszuschalten. Der echte Culcha Candela-Fan, der auch unsere Konzerte besucht, weiß das. Die Leute, die solche Kommentare schreiben, haben offenbar unsere Grundhaltung nicht verstanden.

Da waren es nur noch vier: Culcha Candela. FOTO: another-dimension/Oliver Rath
Da waren es nur noch vier: Culcha Candela. FOTO: another-dimension/Oliver Rath

Ihr moderiert die Diskussionen aber schon ziemlich engagiert. Einem habt Ihr geantwortet: „Realität kann wehtun…“ Das Titelstück“ Welcome to Candelistan“ ist ja praktisch ein sarkastischer Blick auf genau diese Art von Diskussion. Ist das Eure Art, solche Theman anzupacken?

Chino: Grundsätzlich schon. Missstände in aller schroffen Deutlichkeit zu benennen, ist aus Musikersicht ja ziemlich langweilig. Wir wollen solche Themen mit einem Augenzwinkern behandeln und schon gar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger.

Für was steht denn Candelistan? Welches Grundgesetz gilt dort?

Chino: „Welcome To Candelistan“ ist ein lustig gemeintes Manifest: Jeder ist hier willkommen, er muss nur nett sein. Die einzige und wichtigste Regel lautet: „Be nice!“ Eine einfache Aussage, aber mit diesem Satz ließen sich viele Probleme und Konflikte lösen.

Wie sieht es bei Euch aus? Eure unterschiedlichen ethnischen Backgrounds könnt Ihr ja nicht verleugnen. Wirst du oft mit Rassismus konfrontiert?

Chino: Ich persönlich glücklicherweise nicht so häufig. Wir sind ja alle gut integrierte Deutsche und sind teilweise in Deutschland geboren. Ich denke, da wird es eh schwieriger, einen anzufeinden. Aber wir sehen in unserem privaten Umfeld, dass es da schon negative Erlebnisse gibt. Das ist einfach nur schade, dass es sowas heutzutage noch gibt.

Nervt es eigentlich als Multikulti-Band bezeichnet zu werden?

Chino: Das ist so ein Label und „Multikulti“ hat ja mittlerweile auch so einen negativen Touch. Es ist eine Bezeichnung von Leuten, die ein Phänomen von außen betrachten für Leute, die nicht wirklich Teil des Ganzen sind. Dabei sind wir ja vollwertige Teile einer Gesellschaft und nicht eine Ausnahmeerscheinung. Deshalb macht es nicht wirklich Spaß, so bezeichnet zu werden.

Aber Ihr spielt ja schon mit diesen unterschiedlichen kulturellen Backgrounds, auch musikalisch: Eure Musik ist von vielen Musikströmen beeinflusst, Ihr singt häufig Mehrsprachig.

Chino: Weil das auch Teil unseres Zusammenhalts ist. Das gehört auch zum Konzept: alles zu vermischen, auch die Sprachen.

Das neue Album gibt's in Bonn bei Mr.Music oder bei Amazon.
Das neue Album gibt’s in Bonn bei Mr.Music oder bei Amazon.

Auf Eurem Album dreht sich ja ziemlich viel um dieses Thema des Wegguckens. Wie kommt’s? Ist das etwas, was euch stark aufstößt? Dass die Leute nur an „Modellmaßen und ‚ner fetten Karre“ interessiert sind, wie es in einem Song heißt?

Chino: Die Kernaussage des Albums würde ich eher so zusammenfassen: Steh‘ zu dir selbst, trau dich, dir deine eigenen Meinungen zu bilden und such nach dem, was dich wirklich glücklich macht und hör nicht darauf, was andere sagen. Das taucht in ganz vielen unserer Songs auf. Das ist so ein Grundgedanke, den wir alle unterschreiben würden.

Ihr geht mit viel Spaß und Ironie an die Themen an. Auf Facebook sprecht Ihr politische Themen an, Ihr engagiert Euch für viele Organisationen wie Kein Bock auf Nazis, Afrika Rise, die Arche, etc. Wie hängen Eure Wurzeln, Eure Musik und das politische Engagement zusammen?

Chino: Das ist alles ganz eng miteinander verknüpft. Wir haben schon immer, auch, als uns noch kein Mensch zuhören wollte, den Anspruch gehabt, etwas verändern zu wollen. Wir wollen etwas bewegen und auch etwas zurückgeben. Außerdem haben alle unsere Engagements einen Fokus auf junge Leute.

Einfach nur eine Happy-Party-Band zu sein, reicht Euch nicht aus?

Chino: Auf keinen Fall!

Um nochmal die Musik anzusprechen: Als Larsito und Mr. Reedoo die Band verlassen haben, dachten viele, Culcha Candela werde es nicht mehr lange geben. Jetzt kommt Ihr mit einem Album heraus, das die musikalischen Grenzen sogar noch ein wenig weiter ausgedehnt hat. Hat das Euch nochmal so einen Push gegeben?

Chino: Ja, das ist interessant. Nach der letzten Platte, die 2011 rausgekommen ist, haben wir noch 2012 gespielt und wollten dann eigentlich so eine Zäsur machen. Nachdem wir ein paar Jahre durchgepowert haben, wollten wir eine kleine Pause einlegen. Das war eigentlich für ein Jahr angelegt. In dieser Pause haben sich dann Larsito und Reedoo entschlossen, andere Wege zu gehen. Der eine wollte sein Studium fortsetzen, der andere hatte sein Solo-Projekt im Auge. Nach dem ersten Schock haben wir übrigen vier dann gesagt: Wir haben noch richtig Bock, weiterzumachen und Gas zu geben. Wir sind in der Zeit dann sogar noch enger zusammengerückt. Die neue Zäsur hat sich sogar noch als Segen herausgestellt.

Warum?

Chino: Weil die Motivation bei den anderen zwei wohl auch nicht mehr so hoch war. Umso höher war sie bei uns. Wir haben uns Zeit gelassen für das Album, und ich finde, es ist richtig schön geworden und wir sind richtig stolz drauf.

Gibt es ein Lieblingsstück auf dem Album?

Chino: Ich geh jetzt gleich in den Probenraum und wir werden mein aktuelles Lieblingsstück spielen: „Du weißt“. Ich liebe den, weil der so abgeht. Und ich werde dir jetzt ein Geheimnis verraten: Wir haben den Song für die Bühne neu instrumentiert und haben Bläser dabei. Der macht wirklich mega viel Spaß! Ich freu mich total auf die Tour.