Marillion in Köln: Wenn Sounds auf Sonnenstrahlen tanzen

Steve Hogarth, Sänger von Marillion. FOTO: Cem Akalin

Rund 3000 Fans feiern am Montagabend zwei Classic Rockbands: Marillion und Foreigner. Und die beiden sind glänzend aufgelegt. Es sind die besten Auftritte der beiden, die ich seit Jahren gesehen habe.

Von Cem Akalin

Was für ein Sustain! Steve Rothery steht links auf der Bühne neben zwei Türmen voller Technik und zieht seiner Stratocaster regelrecht die Töne aus den Saiten. Ausgerechnet bei „Afraid of Sunlight“ bricht die Sonne im Westen durch die Wolken, und die sanft wellenden Melodienreihen scheinen nur so über die Sonnenstrahlen zu gleiten. Rothery, letztes verbliebenes Gründungsmitglied der britischen Progrockband Marillion, genießt den Auftritt auf der Bühne des Kölner Tanzbrunnens ganz offensichtlich.

Steve Hogarth, Sänger von Marillion. FOTO: Cem Akalin
Steve Hogarth, Sänger von Marillion. FOTO: Cem Akalin

Sänger Steve Hogarth wird sicher immer mit Derek William „Fish“ Dick verglichen werden, den Vergleich braucht er aber nicht zu fürchten. Der 57-Jährige ist immerhin seit 1989 Marillions Stimme, und mir persönlich gefällt er sogar besser als Fish, der mir manchmal zu sehr einen auf „Peter Gabriel“ gemacht hat. Und die alten Stücke, die die Band zur Freude der Fans im zweiten Teil ihres gut einstündigen Sets spielte, kommen hervorragend rüber. Selbst „Kayleigh“, wohl der erfolgreichste Song der Briten, schenkt Hogarth eine Rockseele, bei Fish (sorry, Fans!) klang die Ballade manchmal arg süßlich.

Marillion startet mit „Power“, einem relativ neuen Song. Ein Song, der zurückhaltend zeigt, was die Band drauf hat, mit recht sparsamer Instrumentierung und einem eindringlichen Gesang. Drums und Bass bilden einen sehr effektvollen Boden, auf dem sich empathischer von genügsamer Gitarre begleiteter Gesang entfalten kann. Schon in den ersten Takten fällt der hervorragende Soundmix auf. Der gute Klang sollte sich auch später bei Foreigner fortsetzen. Es zeugt schon von einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein, mit solch einem eher stillen Song zu starten.

 

Steve Rothery
Steve Rothery

Und so geht es musikalisch sogar noch mehr in die Gegenwart: Es gibt ein paar sehr intensive Einblicke ins neue Album „Fuck Everyone and Run“ (FEAR). „The New Kings (I) Fuck Everyone and Run“ legt intensiv los. Neoprog at its Best. Schöne Arrangements, Steigerungen, ruhige Momente, durchdrungen von fetten Bässen, ins Mark gehende Gitarrensoli – und einem ganz hervorragenden Gesang. Ich freue mich jetzt schon aufs neue mittlerweile 18. Studio-Album, das am 23. September veröffentlicht werden soll.

„The New Kings“ besteht aus vier Teilen. Es ist eine Anklage des Neokapitalismus, der undurchschaubaren internationalen Verflechtungen. Es geht um die Rolle der Finanzwelt, des Geldes, der russischen Oligarchen und, sehr aktuell, den langsamen Niedergang Englands. Auf „Russia’s Locked Doors“ kann Hogarth wieder seine ganze Klasse zeigen, die wirklich wandelfähige Stimme, die Wechsel von Brust- und Kopfstimme. Es folgen die Teile „A Scary Sky”, das mit seinen vielschichtigen, traumhaften Sounds sicher die Herzen der Progrockfreunde höher schlagen ließ, und „Why Is Nothing Ever True?“

Mutig und großartig, den Fans schon so viel aus dem neuen Projekt zu präsentieren. Das trauen sich nicht viele und gehen lieber auf Nummer sicher.

Und dann geht es dann in der zweiten Hälfte zurück in die Erinnerungswelt der Fans. Das 1995er Album „Afraid of Sunlight“ bezeichnen viele Fans zu Recht als eines der besten der Band. Aus „Anoraknophobia“ (2001) gibt es „Quarz“ zu hören – mit einem unglaublich satten Bass von Pete Trewavas, gefolgt von einigen Stücken aus dem Erfolgreichen Album „Misplaced Childhood“ (1985): „Kayleigh“, „Lavender“ / „Bitter Suite III (Blue Angel)“ und „Heart of Lothian“. Zur Zugabe spielte die Band „Neverland“, wo Steve Rothery nochmal den Angriff auf die Gänsehaut startet. Gitarrensounds wie von einem anderen Universum! Effektvolle Drums (Ian Mosley), Klangteppiche von Keyboarder Mark Kelly… Rothery ist eben einer, der mehr auf der Linie eines David Gilmour steht. Er zieht die Leute lieber mit effektvoll setzenden Gitarrenlinien aus, als mit ultraschnellen Läufen Rennen zu bestreiten. Überhaupt: „Neverland“ könnte auch von Pink Floyd sein… Ein geiler Abschluss!

Hier geht’s zur Kritik „Foreigner“.