Er nennt sich einfach nur „Der Graf“ und gilt mit seiner Band Unheilig als einer der erfolgreichsten deutschen Musiker. Gerade ist sein neues Album „Gipfelstürmer“ erschienen, und es hat schon die Verkaufscharts erobert. Dennoch: Der Graf will aufhören. Eine Abschiedstour – dann ist Schluss. Wirklich? Mit ihm sprach Cem Akalin.
Da kämpft einer sein Leben lang für seinen Traum, stürmt den Gipfel – und zieht sich plötzlich zurück. Wie kannst du an solch einem erfolgreichen Punkt Schluss machen?
Der Graf: Das ist einfach zu beantworten, denn jegliche Art von Erfolg kann Familie nicht ersetzen. Die Entscheidung aufzuhören ist über etliche Wochen und Monate in mir gereift. Ich habe mir reichlich Zeit für die Entscheidung des Abschieds genommen und habe mir die Entscheidung auch nicht leicht gemacht.
Und es bleibt dabei?
Der Graf: Mit der Gewissheit des musikalischen Abschieds habe ich das neue Album „Gipfelstürmer“ geschrieben und produziert. Die neuen Songs fühlen sich nun so unglaublich frisch und toll an, dass ich spüre, dass ich das musikalisch beste und emotionalste Unheilig- Album in meiner gesamten Diskografie geschrieben habe.
Das Album beinhaltet so viel autobiografische Momente…
Der Graf: …wie noch kein Unheilig Album zuvor. Richtig! Ich habe immer gesagt, dass ich am Gipfel meiner Karriere aufhören möchte, und ich spüre, dass dieser Moment jetzt gekommen ist. Zudem ist es einfach so, dass ich wieder mehr Zeit mit meiner Familie verbringen möchte. Ich war als musikalischer Langzeitreisender über viele Jahre verreist und möchte endlich wieder zu Hause ankommen – ohne Kompromisse.
Da du dich privat von den Medien total abschottest, kennt man nicht mal dein Alter. Eins ist aber klar: Die Stones sind weitaus älter als du, und die sagen immer noch nicht „Zeit zu gehen“.
Der Graf: Das ist richtig, aber ich kann von meiner Seite aus nur dazu sagen, dass jeder Mensch diese Entscheidung für sich selbst treffen muss. Ich habe mich für meine Familie entschieden und möchte nach meinem Abschiedskonzert am 10. September 2016 im Kölner Rhein-Energie-Stadion einfach mehr Zeit mit meiner Familie verbringen.
Bist du bist ein Familienmensch?
Der Graf: In den letzten Jahren war ich als musikalischer Langzeitreisender immer in der Weltgeschichte unterwegs, reiste von Interview zu Interview und von Hotel zu Hotel. Wenn ich dann mal zu Hause war, dann musste ich mich gedanklich schon wieder auf die nächsten Termine konzentrieren und vorbereiten. Ich hatte nie die Zeit, mich emotional auf meine Familie und meine Freunde einzulassen. Und das fehlt mir einfach extrem. Ich bin ein sehr harmoniebedürftiger Mensch, der gerne mit seiner Familie und seinen Nächsten zusammen ist.
Du könntest ja auch einfach „Hinunter Bis Auf Eins“ gehen und musikalisch etwas ganz anderes machen. Warum tust du das nicht?
Der Graf: Ich kann keine halbherzigen Dinge machen, und so handhabe ich es bereits mein ganzes Leben lang. Ich wäre persönlich kein Typ für solch einen Weg.
Was hast du die nächste Zeit vor?
Der Graf: Ich werde das Leben erst einmal in aller Ruhe auf mich zukommen lassen und mit meiner Familie die Zeit genießen. Ich muss all die vielen Dinge des Alltags aufarbeiten, die in den letzten Jahren liegen geblieben sind.
Was sind das für Dinge?
Der Graf: Das sind ganz einfache und normale Dinge, wie einfach mal seine Freunde und Verwandten besuchen zu fahren. Mein Plan ist eigentlich ganz einfach: Eben ganz bewusst keinen Plan für meine Zukunft zu haben.
Klingt verlockend…
Der Graf: Um mir selbst ausreichend Zeit zu geben, die Dinge mit Abstand zu betrachten und neu zu sortieren, brauche ich Freiraum und Zeit.
Nach welchen Sternen greift so einer, der so viel erreicht hat?
Der Graf: Die Prioritäten sind eigentlich die banalsten und einfachsten der Welt. Ich habe diese niemals aus den Augen verloren und kehre nun nach meiner langen Reise an den Ursprung allen Schaffens zurück. Ich folge meinem Herzen auf dem Weg nach Hause – zu meiner Familie und meinen Freunden. Das ist der Weg, den viele vor mir auch bereits gegangen sind und der eigentlich für jeden Menschen auch verständlich und nachvollziehbar sein sollte, der ein Zuhause hat und weiß, wohin er gehört.
Dein Album „Gipfelstürmer“ ist ja ein einziger Abschiedsbrief – ein Adieu, für das du die gesamte emotionale Bandbreite ausschöpfst: Da schmettern die harten Gitarrenriffs, aber auf Songs wie „Zwischen Licht und Schatten“ – meiner Meinung nach der beste Song, den du je geschrieben hast – beweist du wieder mal Deine Klasse. Mehr Gänsehaut geht nicht. Ganz schön gemein, mit so einem Song zu gehen…
Der Graf: Vielen Dank für die netten Worte. Das freut mich sehr zu hören. Meine Ansprüche an meine Texte und meine Musik sind ja nicht geringer geworden, nur weil dies mein letztes Studioalbum ist. Wer mich kennt, der weiß, dass ich mit Herz und Seele dabei bin und meine Alben ein Spiegel meiner Seele sind.
Auf dem neuen Album „Gipfelstürmer“ gibt es viele Themen in den Liedern. Vergänglichkeit, Liebe, Trauer und Freundschaft sind nur einige der Themen. Ist es Dein autobiografischstes Album?
Der Graf: Jeder Song erzählt auf seine Art und Weise einen Lebensabschnitt meines Lebens während der vergangenen drei bis vier Jahre. Das neue Album habe ich in den letzten drei Jahren geschrieben und produziert. In meiner Musik und meinen Texten verarbeite ich meine Emotionen und Vorkommnisse des Alltags. Ich habe schon immer gesagt, dass Menschen, die meine Musik und Texte analysieren, mich besser als Menschen kennenlernen werden. Die „Unheilige“ Musik und ganz besonders dieses neue Album ist ein ganz wichtiger Abschnitt meines Lebens.
Beim Abschied von „Wetten dass..?“ hast du deinen TV-Abschied bekannt gegeben.
Der Graf: Das habe ich ganz bewusst so getan, weil ich mich in den letzten Monaten meines musikalischen Abschieds ganz auf die gemeinsame Zeit mit den Fans auf den Konzerten konzentrieren möchte. Ich möchte jedes Konzert einatmen und innehalten. Die Konzerte mit den Fans haben mir immer neue Kraft und schöne Momente geschenkt, die ich zum letzten Mal ganz bewusst erleben möchte. Ich möchte mich später an all die vielen tollen Dinge erinnern können, die wir erlebt haben.
Dein Schlusssatz?
Der Graf: Ich möchte mich bei all den Lesern für die Aufmerksamkeit und wunderschöne Zeit in den letzten Jahren bedanken. Bleiben Sie uns gewogen. Ihr Graf.
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