Graue Wolken ziehen leuchtend durch den dämmrigen Abendhimmel. Danger Dan sitzt am weißen Zarenbourg Piano. Die Bühne ist dunkel, und er singt „Eine Gute Nachricht“. Ein Liebessong, in dem es um die Unwahrscheinlichkeit geht, jemanden zu treffen, den man liebt. Ja, bei der Antilopen Gang ging es am Sonntagabend auf dem KunstRasen Bonn auch durchaus emotional und fast ein wenig romantisch zu. Dafür sorgte nicht zuletzt der Soloteil von Danger Dan, bei dem das Liebesglück auch stets mit einem humorvollen Augenzwinkern besungen wird: „Ich hab ’ne gute Nachricht und ’ne schlechte auch/Zuerst die schlechte: Wir zerfallen zu Staub/Wir werden zu Asche, kehren in das Nichts/Zurück aus dem wir alle einst gekommen sind/ Und jetzt die gute, heute nicht.“
Von Dylan Cem Akalin
Die Antilopen Gang mit Danger Dan, Koljah Kolerikah und Panik Panzer starteten unterstützt von DJane Jenny Sharp um 20.27 Uhr mit ihrem Programm. Es war nicht mal 20.28 Uhr, als das Publikum schon komplett stand und Party machte. Zwar war auch dieses Konzert unter Corona-Bedingungen als bestuhlte Veranstaltung konzipiert. Doch wer kann bei diesen Rhythmen und dieser Energie der fantastischen Drei noch sitzenbleiben?
Sehr vieldeutig: Bevor es losging, ertönte aus dem Off Hildegard Knefs „Von nun an geht’s bergab“. Der selbstironische autobiografische Song der Knef wurde mehrfach gecovert, zuletzt von den Beatsteaks, auch von Samy Deluxe und Heike Makatsch. Eine tolle Verbeugung vor der widerspenstigen Legende.
„Antilopen gibt ‘ne Party und ihr kommt nicht rein“
„Antilopen gibt ‘ne Party und ihr kommt nicht rein“, rufen die Drei in ihrem Opener „Pepsi und Basmatireis“, ein tanzbarer Spottgesang auf exklusive Partys, nur mit dem Unterschied, dass hier die Etablierten nicht reinkommen: Da fliegt der mainstreamige TV-Philosoph Richard David Precht ebenso raus wie der längst im Establishment angekommene Medienkritiker Sascha Lobo oder die Grüne Claudia Roth. Und im zweiten Song „Die Kyngz sind back“ werden gleich Gier und Überheblichkeit und platter Rap-Jargon auseinandergenommen. Die Anarchopunkband Oi Polloi, die von sich reden macht, weil sie schon mal Israel-Flaggen verbrennt, kriegen hier ihr Fett weg, und auch die Pegida-Bewegung („Spaß, ich entwickel‘ biologische Waffen/Und setze sie ein auf der Montagsmahnwache!“).
Nein, die Antilopen Gang macht gute Musik und hat Rhythmus im Blut, und in einigen Dingen sind sie regelrecht kompromisslos, und das sind Rassismus, Antisemitismus, Rechtsradikalismus und überhaupt jede Art von Herabwürdigung. Und es sind nicht einfach nur ein paar runtergerasselte Statements, die die Drei von sich geben. Die Musiker beziehen eindeutig Stellung. Das wissen die Fans und sind von der ersten Minute mitten drin in diesem Ereignis aus Politpunk, Pop, Hip-Hop, Protestsongs, Liedermachertum, Soul und Tanzparty.
Anderthalb Stunden spielt sich die Gruppe quer durch ihren musikalischen Werdegang. Besonders schön: Danger Dan war offenbar mal ein Bonner. Sechs Wochen lang habe er mal auf dem Weihnachtsmarkt Stifte verkauft. Und der Roboter-Elch auf dem Glühweinstand gegenüber habe ihn so genervt, dass er einmal nachts versucht habe, ihn aus Langeweile mit dem Lasso runterzuholen. Ohne Erfolg. Das erzählt er, bevor er sich ans Piano setzt und „Lauf davon“ singt. Später erzählt er von seiner Freundin aus der Breitestraße. Und weil diese studierte und er nicht, sei er jede Nacht unterwegs gewesen in Bonn. Vor allem im „Bla“, aber auch schon mal im „Session“, dem Musikclub an der Gerhard von Are-Straße.
„Ich klau‘ mir was ich will, ok“
Der Anarcho-Aufruf zum Ladendiebstahl („Army Parka“) wurde im Refrain natürlich mitgegrölt: „Ich schlender‘ durch das KaDeWe/Ohne Geld im Portemonnaie/Ich klau‘ mir was ich will, ok/Alléz, alléz, alléz, alléz“. „Pizza“ ist ein Rap mit Punk-Attitüde über die simplen Lösungen der Populisten („Pizza“). Xavier Naidoo bekommt hier seine Zeile für seine rechtspopulistische Gesinnung. Das runde Hefeteiggebäck mit Tomaten und Käse aus Italien wird hier zu sowas wie einem Friedenssymbol, ja vielleicht zu einem subversiven, weil unverdächtigen Werkzeug der Revolution.
„Es kommt die Zeit…!“, ruft Koljah – und schon fängt die Menge an, das Tote Hosen-Lied „Wünsch Dir Was“ anzustimmen. „Ihr seid auf dem falschen Konzert“, lachen die Drei von der Bühne. Bei der Gang heißt es nämlich „Wünsch dir nix“.
Es ist ein Abend unter Freunden und unter Gleichgesinnten. Und das ist gut so. Bei „Beate Zschäpe hört U2“ werden die Mittelfinger in die Luft gereckt, bei „Globuli“ gelacht und getanzt. Besonders schön ist es ja, dass sich die Antilopen Gang alle vornimmt, gerade die vermeintlich coolen Gangsta Rapper mit ihren sexistischen, herabsetzenden Texten: „Ihr wisst ja, dass wir angetreten sind, um mit den Mythen der Populärkultur aufzuräumen, dass es ok sei, wenn man seine Ex-Freundin aufs Übelste beschimpft. Und wenn ich diese Typen sehe, verstehe ich, warum sie verlassen wurden.“ Und sie singen ein Lied auf eine „Errungenschaft“, das Verlassen dürfen. „Trenn Dich“ – ein wunderschöner Song mit vielen Wahrheiten. Und ein Beweis, dass die Jungs auch Gespür für großartige Melodien und Gefühle haben.
Und wie sie bei „Pack It Up“ mit dem Rhythmus von „Jump Around“ von House of Pain spielen und dabei ein ironisches Lied über ihr Durchhaltevermögen singen, ist großartig. Dass Danger Dan mit Worten umgehen kann, hat er mit seinem Solo-Album bewiesen. Im akustischen Mittelteil präsentiert er drei Songs daraus. „Eine gute Nachricht“ ist einfach hinreißend, wie er es schafft, mitten in ein Liebeslied auch noch eine Botschaft zu stecken, nämlich sich nicht irgendwelchen bekloppten Predigern hinzugeben, wenn man grad mal durch ist. Und dann kommt natürlich auch der Erfolgssong „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“, bei dem dann mittendrin plötzlich das Piano „explodiert“ und Danger Dan die letzte Strophe nochmal anstimmt.
Kleine Anfrage der AfD zur „Bewertung der Musikgruppe ‚Antilopen Gang‘“
Nicht fehlen durfte auch die obligatorische Erwähnung des ehemaligen vierten Bandmitgliedes NMZS, der sich 2013 das Leben nahm. Die drei verbliebenen Mitglieder widmeten ihm das Stück „Enkeltrick“, das, so erklären sie, auf eine Idee ihres verstorbenen Freundes zurückgehe.
Die Antilopen Gang steht für politische Haltung, und weil die links ist und das Trio insbesondere Faschisten und Antisemiten ins Visier nimmt, hat die AfD im Düsseldorfer Landtag am 21. Juni eine Kleine Anfrage über die „Bewertung der Musikgruppe ‚Antilopen Gang‘ durch nordrhein-westfälische Sicherheitsbehörden“ gestellt (Drucksache 17/14275). Keine Ahnung, ob das Konzert in der Bonner Rheinaue jetzt observiert worden ist.
Mit ihrem Song „Anti Alles Aktion“, einem der ältesten aus dem Repertoire, rundeten die Künstler den wunderbaren Abend schließlich ab und brachten das Publikum noch einmal ordentlich zum Ausflippen. So mancher konnte es denn auch nicht ohne Pogo-Einlage lassen und nutzte den heftigen Körperkontakt zu leeren Stuhlreihen im hinteren Bereich. Nun denn.