Pat Metheny (57) schafft zeitlose Klangwelten. Der amerikanische Jazzgitarrist hat eine ganz eigene Vorstellung von musikalischer Ästhetik. Um diese umzusetzen, lässt er sich auch schon mal ein Instrument bauen, etwa seine 42-saitige Pikasso-Gitarre. Auch Gitarrensynthesizer setzt er ein, um seine Zuhörer auf ungewöhnliche musikalische Reisen zu schicken. Seinen Stil lieh er Musikern von Joni Mitchell bis zum Free-Jazzer Ornette Coleman aus. An diesem Wochenende erscheint sein neues Album „Unity Band“. Mit Metheny sprach Cem Akalin.
J&R: Herr Metheny, was bedeutet Ihnen Zeit?
Pat Metheny: Zeit ist für mich von Wesentlicher Bedeutung, ohne sich ihr devot hinzugeben. Wissen Sie, die fünf Sinne, die wir haben, reichen nicht aus, um sie zu erfassen.
J&R: Wie meinen Sie das?
Metheny: Ich hatte schon immer das Gefühl, dass wir eigentlich mehr als zehn Sinne bräuchten. Es gibt eine ganz konkrete Ebene, auf der Musiker, die improvisieren, dieses Gefühl dafür bekommen. Ich bin überzeugt, dass sie diesen siebten Sinn für Zeit haben, denn das ist eine Möglichkeit, sich in den Zeitstrom zu begeben und mit den Illusionen von Zeit zu spielen, sich Den Wellen hinzugeben und gegen die Zeit anzukämpfen. Ja, ich denke, das ist ein großes Thema.
J&R: Wie lässt sich Zeit in Musik ausdrücken? Gibt es andere Möglichkeiten als Takt und Rhythmus?
Metheny: Zeit ist die wichtigste Farbe der Musik, egal ob wir nun über Harmonien oder Rhythmus reden. Dein Gefühl für Zeit bestimmt deine Phrasierung, es beeinflusst, welche Note du spielst, dein Gefühl für Harmonien. Alles gehört zusammen. Ich denke, es ist so ähnlich wie mit der Schwerkraft.
J&R: Man weiß, dass sie da ist, aber man spürt sie nicht?
Metheny: Es gibt Aspekte der Zeit, die wir fast verstehen, aber wir verfügen noch nicht über die Werkzeuge, um sie zu bewahren. Wirklich gute Musiker haben vielleicht diese Fähigkeit etwas stärker entwickelt, um Zeit so wahrzunehmen, dass es ihnen möglich ist, dies weiterzugeben. Ja, ich glaube fest daran, dass es nicht auf den Rhythmus beschränkt ist, Zeitmusikalisch zu erfassen. Rhythmus wäre wohl das Naheliegende, aber ich denke, da ist noch mehr.
J&R: Vielleicht Ihre ganz spezielle Klangsprache? Ich glaube nämlich, dass Sie im Grunde auf der Suche nach der verlorenen Zeit sind, vielleicht auch nach der, die uns verborgen bleibt.
Metheny: Absolut! Genauso ist es!
J&R: Musik ist nichts Abstraktes: Es Gibt Musiker, die Bilder mit Klängen malen, andere sehen darin eine universelle Sprache, um sich auszudrücken. Was ist Musik für Sie?
Metheny: Sicherlich auch das, was Sie gerade beschrieben haben. Eines der schönsten Dinge von Musik ist ja, dass sie voller Illusionen ist, dass man Sprachen entwickeln kann, um sie auf die Musik zu übertragen. Was ist Musik? Was passiert da? Sie ist vielmehr als eine Abstraktion, weil sie unbestreitbar und unverzichtbar da ist. Musik ist etwas, das die Zeit verändert, sie anhält, sie zurückfließen lässt. Wenn du Musik machst, dann führt sie dich ganz nah an die existenziellen Geheimnisse heran.
J&R: Suchen Sie über die Musik nach Dem vollkommenen Augenblick?
Metheny: Ja, denn Musik hat geheimnisvolle Qualitäten. Für mich geht es auch um Fragen wie: Woher kommen wir? Wohin gehen wir, wenn wir nicht mehr sind? Das sind Fragen, die mit allen anderen zusammenhängen, also transzendentale Fragen, wie die nach der Liebe. Das sind Bereiche, die wir zu ergründen suchen. Wir haben Nasen zum Riechen, Augen zum Sehen, Hände zum Tasten, und mit Musik können wir uns dem Unfassbaren nähern.
J&R: Sie haben als Musiker vielleicht noch diese weitere, zusätzliche Wahrnehmung und die Möglichkeit, mit Ihren Mitteln diesen Geheimnissen nachzugehen. Auf „Bright Size Life“, Ihrer ersten Platte, die vor fast 40 Jahren erschien, kann man schon hören, dass Sie das versuchen, und zwar mit einem neuen Sound im Jazz.
Metheny: Ich habe immer versucht, eine Sprache oder ein musikalisches Universum zu finden. Manchmal war es sehr kompliziert, manchmal unglaublich einfach.
J&R: Auf diesem ersten Album gibt es ein zartes Stück mit dem Titel „Unity City“. Ihre neue CD heißt „Unity Band“. Gibt es da einen Bezug?
Metheny: „Unity“ (Einheit) ist etwas Gutes. Und es trifft auf meine Art der Musik absolut zu. Ich habe Von Anfang an immer ganzheitlich über Musik gedacht, mir ging es immer darum, Musik als Einheit zu sehen und nicht in seltsamen Kategorien zu denken. Ich kann zum Beispielmit dieser Bezeichnung „Fusion“ für eine Jazzrichtung nicht viel anfangen. Mir gefällt Das Wort „Unity“ viel besser. Es gibt aber auch einen sehr persönlichen Grund, warum ich die Band Unity genannt habe.
J&R: Nämlich?
Metheny: Ich komme aus Missouri, und da gibt es die Ortschaft Unity Village.
J&R: Der gehört zur Region Kansas City.
Metheny: Vor fast 100 Jahren haben Dort Charles und Myrtle Fillmore eine Kirche gegründet, die Unity- Church. Damals eine radikale Sache, denn es war zwar eine christliche Kirche, aber eine, die alle anderen Religionen tolerierte.
J&R: Gehören Sie dieser Kirche an?
Metheny: Nein. Aber mein Großvater, der in diese Region zog, brachte die Elektrizität dorthin. Die Fillmores und mein Großvater wurden enge Freunde. Die Familien Fillmore und Metheny sind bis heute sehr eng befreundet. Jeden Sommer gibt es an den Sonntagabenden Unity- Band-Konzerte im Park. Mein Vater spielte in der Band, mein Bruder und ich als wir Kinder waren auch. Mitmeiner neuen Band werden wir Im Sommer viel touren, und das erinnert mich an die Sommerkonzerte in meiner Heimatstadt.
J&R: Zurück zu Ihrem Sound: Was Sie auf Ihrem Album „Watercolors“ brachten und danach das weiße Album, dieser weite, breite Sound, das hat uns damals in den 70ern einfach nur umgehauen. Ich hatte stets den Eindruck, dass diese Musik nur unter dem Eindruck dieser weiten amerikanischen Landschaften entstehen kann. Stimmt’s?
Metheny: Natürlich ist sie geprägt von dem Frieden und der Ruhe, die die ersten 17 Jahre meines Lebens in Missouri geprägt haben (lacht). Ich war dann aber froh, endlich rauszukommen. Nein, im Ernst: Ich habe immer versucht, in meiner Musik ehrlich zu sein und die Wirklichkeiten meines Lebens darin widerzuspiegeln. Ich habe nie gedacht, dass ich es nötig hätte, mir einen anderen Background zu geben, den man vielleicht als Jazzer gebraucht hätte. Meine musikalischen Helden haben immer sehr klar gemacht, wer sie waren, was ihre Geschichte war. Denn Musik bedeutet im Prinzip, Geschichten zu erzählen. Die überzeugen nur, wenn du ehrlich bist. Und Sound ist dabei ein wichtiges Element. In meinem Fall glaube ich nicht, dass ich nur mit einem Sound auskommen muss.
J&R: Sie haben eine ganz eigene Klangästhetik entwickelt, einen Sound, der zwischen Akkordeon und trompetendem Urtier liegt. Auf dem Album „Offramp“ fragen Sie: „Are you going with me?” Wohin wollen Sie die Menschen entführen? Sind Sie ein musikalischer Kidnapper?
Metheny: (lacht) So habe ich das nie gesehen. Das klingt aber gut .Die Musiker, die ich mag, sind auf ihre Art Anführer. Ich habe immer gedacht, dass es ein großer Teil meines Jobs ist, Leutemitzunehmen, sie mit an einen imaginären Platz zu führen. Denn das ist genau das, was mit mir selbst geschieht ,wenn ich mit den besten Musikern zusammenarbeite.
J&R: Also sind Sie eher der Pilot im Flugzeugmit ungewissem Ziel?
Metheny: Manchmal habe ich schon ein sehr genaues Ziel vor Augen. Zum Beispiel beim neuen Album: Da stand das Konzept, bevor ich Überhaupt wusste, mit wem ich die Reise antreten würde. Manchmal liege ich nachts wach und denke: Wie kann ich meine Vorstellungen umsetzen? Manchmal kann es bedeuten, dass ich ein neues Instrument brauche, manchmal brauche ich eine neue Technik. Denken Sie an das „Orchestrion“-Projekt.
J&R: Das war ein analoger Klangerzeuger mit Holzplatten, Saiten, Becken, Bässen, Klavieren, Marimbas, die Sie alle über Schalter und Computer angesteuert haben. Als ich Sie damit vor zwei Jahren in der Kölner Philharmonie sah, dachte ich: Was für ein Riesenspielzeug!
Metheny Na ja, für meine Musik bedeutet das: Manchmal ist es eben umständlich zu einembestimmten Ort zu kommen.
J&R: Auf „Letter from home“ fragen Sie „Are we there yet“? Sind Sie mittlerweile angekommen? Und um das Spiel fortzuführen: Auf dem neuen Album heißt es „Come And See“. Was gibt es da zu sehen?
Metheny: Es ist schon witzig: Nach all diesen Jahren, die ich Musik mache, wollte ichwissen, ob es möglich ist, mit einemalternativen Ensemble etwas zumachen, das abseits der festgelegten Flugrouten liegt. Es sollte keine Mainstream- Classic-Jazz-Formation sein. Ich habe in den mehr als 40 Jahren meiner Musikkarriere eigentlich nur eine klassische Jazz-Combo mit einem Saxofonisten gehabt.
J&R: Das war „80/81“mitMichael Brecker und Dewey Redman.
Metheny: Ja, das war ein Album, das Viele Musiker beeinflusst hat. Ich wollte nochmal in diese Richtung gehen, musste aber akzeptieren, dass dieser Planet ohne einen wie Michael Brecker oder Dewy Redman auskommen muss. Das waren die beiden Saxofonisten mit einem transzendentalen, sehr tiefen Sound. Ich wollte unbedingt etwas Mit Chris Potter machen, dessen Projekte ich schon eine Weile verfolge. Ein phänomenaler Musiker.
J&R: Ich habe Chris Potter neulich mit Randy Brecker und der WDR-Big Band gehört. Täusche ich mich, oder hat er einiges von Michael Brecker?
Metheny: Wissen Sie, zu jedem Instrument gibt es Musiker, die Maßstäbe gesetzt haben, an denen sich alle folgenden Generationen messen lassen müssen. Beim Tenorsaxofon ist das John Coltrane. Entweder, du gehst seinen Weg, oder du machst dein eigenes Ding. Das schaffen nicht viele. Der erste Typ, der mit Coltrane ging und auf der anderen Seite des gewaltigen Bergesmit einemeigenen Stil herauskam, war Michael Brecker. Er hatte einen solch ikonenhaften Sound. Und Chris geht auch mit Coltrane, aber auch mit Brecker. Was Chris hat, ist dieses Bebop- Ding, sehr gradlinig, er geht mehr in Richtung Charlie Parker.
J&R: Michael Brecker starb vor fünf Jahren. Er war ein enger Freund?
Metheny: Ja, einer meiner besten Freunde. Ich kann nicht beschreiben, wie sehr ich ihn vermisse.
J&R: Glauben Sie an die Ewigkeit?
Metheny: Ich würde mich eher als Agnostiker bezeichnen. Es gibt einfach viel zu viele Dinge, von denen ich nichtweiß, ob es sie gibt. Um die Maßstäbe von Zeit und Raumtatsächlich erfassen zu können, fehlen uns ganz offensichtlich die Möglichkeiten.
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