Interview: Till Brönner über sein neues Album „Italia“ – Zwischen Rom-Nostalgie, Melancholie und handgemachter Musik

TILL BRÖNNER FOTO: Gregor Hohenberg

Warum widmet sich Deutschlands bekanntester Jazztrompeter ausgerechnet jetzt einem ganzen Album über Italien? Im Interview spricht Till Brönner über seine Kindheit in Rom, die Magie der 70er- und 80er-Jahre, melancholische Zwischentöne – und erklärt, warum für ihn Musik immer auch ein Stück Hoffnung ist.

Von Dylan Akalin

Ein ganzes Album über „Italia“. Warum? Warum jetzt?

Till Brönner: Das hätte ich auch schon viel früher machen können. Mir sind die Ideen ja nie ausgegangen. Ich bin ja in Italien aufgewachsen, und da war das ein Thema, wo ich dachte, das machst du mal jetzt, weil die nächsten Jahre hast du schon wieder so viel anderes vor. Jetzt gehen wir mal nach Italien. 

Musik an jeder Straßenecke

Sie haben Ihre Kindheit in Rom verbracht, und der Roman Spirit fließt stark in das Album ein. Welche Erinnerungen aus Ihrer Kindheit in Rom leben musikalisch in diesem Album – bewusst oder unbewusst – weiter? 

Brönner: Ich glaube schon, es ist eine Mischung aus bewusst und unbewusst. Insofern ist die Frage auch richtig. Das Unterbewusste war letztlich das, was Kinder so mitbekommen und welche Stimmung da so herrscht. Das war eine grundpositive Stimmung, gepaart von sehr viel Tradition und Geborgenheit und natürlich schönem Wetter und wunderbaren Aromen, die in der Luft lagen überall. Das war diese Welt aus tatsächlich nicht katalysiertem Benzin aus irgendwelchen Auspuffrohren (lacht), den Putzmitteln, die damals in Südeuropa verwendet wurden. Viel Gastfreundschaft, Herzlichkeit auch uns Deutschen gegenüber. Und natürlich Musik an jeder Straßenecke. Italien ist bis heute mit Deutschland und England sicherlich eines der Musikländer überhaupt weltweit. 

Tatsächlich?

Brönner: Italien steht ja für viel mehr als das Land, in dem es wunderbare Komponisten gegeben hat. Eigentlich hat Italien über Jahre so eine Art Europasound in meinen Augen geliefert, an dem sich die ganze Welt erfreut hat. Die Musik, inklusive der Filme, waren damals dafür zuständig, ein bisschen den Blick in die Zukunft zu ermöglichen.

Sie waren Anfang der 70er Jahre dort…

Brönner: Und da gab es schon den Disco-Sound, den Italo-Disco-Sound, der sich entwickelte. Es schwang allgemein musikalisch, auch mit Blick auf das Weltgeschehen, sowas wie Hoffnung in vielerlei Musik mit…

Wir kommen nachher nochmal zu diesem Thema. Als ich das erste Mal durch das Album gehört habe, also ohne zu wissen, aus welcher Periode die Originalsongs stammen, bemerkte ich gleich, dass Sound und Arrangements dieses Feeling und auch die Ästhetik aus den 70er und 80er Jahren transportieren. Was verbindet Sie mit dieser Zeit? 

Brönner: Wir sprechen ja auch über eine Zeit, in der Musik, egal, wofür man sich stilistisch entschieden hat, noch handgemacht war. Es gab noch keine Computer dafür. Das ging in den 80er-Jahren los und wurde trotzdem noch sehr dosiert eingesetzt. In der Musik aus den 70er-Jahren –  diese Fusion aus Einflüssen, gepaart mit Grooves und technischen  Errungenschaften – hört man doch immer noch das Handgemachte darin. Das ist natürlich etwas, das sich bei mir auf jeden Fall sehr stark ins Unterbewusstsein verlagert hat. 

Was heute doch wieder sehr gefragt ist…

Brönner: Ja, wir stellen fest, dass wir damit heute wieder voll im Trend sind, obwohl ich das Wort „Trend“ verabscheue, weil wir feststellen, dass wir gerade allerorten von dem überholt werden, was ja quasi per Knopfdruck und über künstliche Intelligenz herzustellen ist, während wir noch wissen, wie so etwas im Original klingt. Ich glaube, wirklich sagen zu können, dass auch die Kraft, die in dieser handgemachten Musik steckt, sich auch von allen heutigen Files oder Softwares oder ihrer künstlichen Intelligenz noch unterscheidet. Und das ist eine gute Erinnerung an diese Zeit. 

Hoffnung, Poesie, Weltoffenheit

Dieser italienisch geprägte europäische Pop der 70er/80er vermittelte eine besondere Atmosphäre – Hoffnung, Poesie, Weltoffenheit, aber auch eine gewisse Leichtigkeit, die indes auch mal ins Seichte kippen konnte. Glauben Sie, dass eine ähnliche Sehnsucht nach Menschlichkeit, Unbeschwertheit und Nostalgie heute wieder spürbar ist – und wie spiegelt sich das in Ihrer Arbeit wider? 

Brönner: Naja, wir haben das auf diesem Album ja nur in Ausnahmefällen, sagen wir mal, mit so einem Augenzwinkern eigentlich drauf. Diese Leichtigkeit in diesem lupenreinen Italo-Disco, die gibt es ja auf diesem Album hier gar nicht. Was ich aber sehr, sehr mochte, war eigentlich diese Verbindung aus der Musik, die allgemein in den 70ern zu hören war. Ich glaube, das kam verstärkt und sehr erfolgreich auch aus Italien. Nehmen Sie Adriano Celentano. Der ist jemand, der im Volksmund hier in Deutschland fast schon als Komiker galt, obwohl es sich hier um einen sehr unvorhersehbaren, vielschichtigen Künstler handelt, der sich nie so richtig hat in die Karten schauen lassen und der vor allen Dingen auch sehr viel Gesellschaftskritik nicht immer nur zwischen den Zeilen an den Mann und die Frau gebracht hat. 

…und der ein unfassbarer Live-Künstler war…

Brönner: Wir haben „L’Unica Chance“ von ihm aufgenommen und haben das aber von Sera Kalo neu interpretieren lassen. Wenn man sich das Original anguckt, diese Schwarz-Weiß-Performance auf der Bühne mit der farbigen Tänzerin. Dann merkt man, das hatte immer noch so ein bisschen was wie von diesem Civil Rights Movement und auch die Hoffnung oder auch die Kritik, die er dort anbringt. Die kann man gar nicht wegignorieren, wenngleich die Performance äußerlich ein bisschen klamaukig rüberkommt. 

Es war eben damals noch eine Mischung. 

Brönner: Ja, und zwar in einer Art und Weise, die sicherlich auch noch als geschmackvoll und trotzdem sehr hintergründig und lustig zugleich empfunden werden konnte. Ich weiß noch, wie Hildegard Knef mir immer erzählt hat, wie oft sie sich eigentlich auf dem roten Teppich schlecht gefühlt hat und das versucht hat, mit einem Lächeln und mit hohen Absätzen so wegzulächeln und zu laufen und wegzuspielen. Und ich glaube, das konnte man auch in der Musik aus jener Zeit finden. Vielleicht ist sogar die beste Musik unabhängig davon, über welche Dekade oder Ära wir uns unterhalten, immer dann, wie auch in der Kunst, am besten, wenn sich Gegensätze auftun. Ich sage mal: Lustige, leichtfüßige Musik mit doch irgendwo ernsten Hintergründen und Beweggründen. 

Ein Prinzip, das in Filmen ja auch gerne aufgenommen wird.

Brönner: Genau. In Filmen sehen wir so oft vermeintlich lustige Szenen mit ernster Musik oder ernste Szenen mit leichtfüßiger Musik. Das funktioniert in der Regel eigentlich ganz gut. Aber lustige Musik mit lustigen Inhalten wird oft wahnsinnig schnell belanglos. Davon haben wir versucht, uns fernzuhalten. 

Man hört das auch auf jeden Fall raus. Ich fand es ganz interessant, dass Sie sich in dem Pressetext zum neuen Album selbst als „wahnsinnigen Fan von Melancholie“ bezeichnen. Auch das trägt sich durch manche Stücke. Ich habe mich nur gefragt: Ist es Melancholie als kreatives Potenzial? Oder ist auch Melancholie Teil der Persönlichkeit? 

Brönner: Ich denke, dass das von Künstlern gar nicht so richtig zu trennen ist. Melancholie wird hierzulande ja eher wie so ein ernster Befund seitens des Hausarztes empfunden, während ich das natürlich als Künstler als wahnsinnig ergiebiges Terrain empfinde. Toots Thielemans hat das mal dieses Territorium zwischen der Träne und dem Lachen genannt und hat damit eigentlich eher die Musik aus Brasilien gemeint. Bossa Nova, was neben dem Drama der Traurigkeit immer wahnsinnig viel Hoffnung und eben trotzdem diese Zuversicht ausströmt, dass da auch mal wieder bessere Zeiten kommen oder man die Dinge vielleicht viel zu schwarzsieht. Auch das kann ja Musik auf wunderbare Art und Weise – wieder in diesem inzwischen ja manchmal sehr tristen deutschen, kritischen und negativen deutschen Alltag sowas wie Zuversicht reinbringen und das Gefühl „Mein Gott, morgen ist ein neuer Tag.“ Sowas finde ich künstlerisch wahnsinnig ergiebig. Und solange das nicht in eine Depression verfällt, finde ich das alles immer noch sehr schön. Zwischen Warm und Kalt muss so eine Reise auf einem Album schon auch vonstatten gehen dürfen.

Der Bereich von Liebe und Zwischenmenschlichkeit

„Amarsi un po’“, die dritte Single, ist ein Song von Lucio Battisti, ist ja so ein Klassiker über Nähe und Distanz. Der Song ist bei Ihnen eine rein instrumentale Neuinterpretation. Wie setzt man musikalisch so ein Spannungsfeld von Nähe und Distanz? 

Brönner: Indem man letztlich die Zutaten aus der Musik immer wieder in unterschiedlicher Art und Weise featured. Es ist sozusagen ein lebendiges Wechselspiel aus den Elementen Harmonie, Rhythmus, Melancholie durch Farbe, Fröhlichkeit durch Farbe. Im Musikunterricht lernen Kinder immer noch, dass Dur freundlich und Moll traurig ist. Aber es bleiben sehr, sehr viele Hinweise darauf, dass das Leben vor allen Dingen da, wo es nicht geklappt hat, einfach künstlerisch wahnsinnig ergiebig ist. Das haben bestimmte Kompositionen, sei es durch die Texte, sei es aber auch durch die Simplizität, also auch den Weg zum Wesentlichen, was Musikstücke über drei Minuten letztlich aufzeigen sollen. Sie sollen uns ja auch fordern. Sie sollen uns ja auch auf eine Art Reise mitnehmen. Und ich finde das gut. Mir kam eben noch so ein Punkt. Ich glaube, es gibt wenig Stellen im Leben und in der Gesellschaft, wo es irgendwen interessiert, warum etwas nicht geklappt hat – außer im Bereich von Liebe und Zwischenmenschlichkeit. Da sind wir an einem Punkt, wo man gar nicht oft genug darüber sprechen kann und erzählen kann, warum eine Liebe nicht hingehauen hat, warum unerwiderte Liebe so schmerzhaft ist. Das gilt auch in der Kunst und in der Musik. Aber das ist doch der Stoff, aus dem Menschen Trost und Verstanden werden für sich schöpfen. Und da ist die Musik, und Musik ist pure Emotion, ein wirklich wunderbarer Schlitten, auf dem es sich lohnt zu fahren und auch ein Heilmittel, wenn man so möchte. 

Nochmal zu den melancholischen Grundfarben. Wie sehr hilft Ihnen da die Trompete oder auch das Flügelhorn? Wie sehr hilft Ihnen das dabei? 

Brönner: Ich weiß nicht, ob es mir dabei hilft, das muss der Zuhörer beurteilen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass das wahrscheinlich ein Phänomen der Trompete oder der Blechblasinstrumente ist. Die Trompete ist ja auch ein Konzept der Einsamkeit. Sie kommt ja ursprünglich vom Schlachtfeld. Dort sollte sie als Signalinstrument letztlich überall und über alle Geräuschkulisse hinweg, zwischen Pulverdampf und Schüssen und viel, viel Leid hinweg ein Signal senden, wann es Zeit zum Rückzug ist oder zum Angriff blasen. Und auch in der Welt der Filmmusik wird Trompete wahnsinnig oft eingesetzt, um so ein bisschen zwischen Majestätisch, aber auch eben doch alleine und vielleicht auch etwas Endliches darzustellen. 

Die Trompete am Grab…

Brönner: … die Trompete in der Kirche. Es gäbe wirklich etliche Situationen, in denen man das Gefühl hat, dass die Trompete eine Funktion erfüllt. Und sie ist meistens sowas wie eine Stimme aus dem Jenseits. Oder vielleicht etwas, das auch wie die Mundharmonika das Potenzial zur Traurigkeit gleich mitbringt. 

Das stimmt. Sie haben ja auch mal auf den Gesang verzichtet und sich auf die Trompete als Hauptstimme entschieden. Nach was für Kriterien sind Sie da entschieden, die Trompete oder die menschliche Stimme als tragendes Element einzusetzen? Und Sie haben ja eine ganze Reihe von interessanten Gastsängerinnen und -sängern auf Ihrem neuen Album. 

Brönner: Als Instrumentalist ist die Antwort relativ naheliegend. Ich möchte natürlich relativ viel Trompete spielen (lacht). 

Manchmal singen Sie auch selbst…

Brönner: Ja, ja, ich singe natürlich auch auf dem Album. Aber es gibt Nummern, von denen weiß ich, die würde ich gesanglich gar nicht bewerkstelligen. Oder die würden gar nicht nach mir klingen. Da ich natürlich die Trompete als wesentlich langlebigeres Element zur Verfügung habe und das sicherlich auch mein Markenzeichen ist, habe ich natürlich entschieden, dass ich manche Songs, obwohl sie Songs sind und auch Texte haben, auf der Trompete spiele. Ich empfinde mittlerweile sogar, dass ich als Instrumentalist mit der Kenntnis des Textes oder mit der Kenntnis eines Textes auch als Instrumentalist, obwohl man den Text nicht hört, inzwischen viel überzeugender umgehen kann. Ich lese mir bei vielen Standards, die ich heute spiele, vorher den Text durch, vielleicht zu wissen, worüber ich spiele. Auch wenn man keine Worte hört. 

Über die Wahl der Sängerinnen und Sänger

Und wie kam es zu diesen von Ihnen eingeladenen Sängerinnen und Sänger?

Brönner: Das war dann die nächste Stufe. Okay, wenn du es nicht singst oder nicht spielst, dann sollte das jemand übernehmen, den du magst. Und ich meine mit Mario Biondi, den ich seit vielen Jahren kenne, oder Chiara Civello verbinden mich natürlich auch in diesem Zusammenhang mit dem Album sehr authentische Dinge, die sicherlich nicht die Frage aufwerfen: Warum habe ich die jetzt auf einem Italienalbum eingeladen? 

Bei anderen ist es ja sehr überraschend. Mandy Capristo habe ich jetzt auf so einem Album nicht erwartet. Giovanni Zarrella auch nicht.

Brönner: Ja, das ist so ein Ding mit Erwartungen. Damit habe ich es schon seit einigen Jahren nicht mehr so sehr. Das ist eigentlich ein sehr schönes Beispiel. Also, bitte richtig verstehen, aber Sie sind so gar nicht vertraut mit seinem Namen. Wenn wir beide uns jetzt über Giovanni Zarella unterhalten, dann wissen wir beide, dass er zurzeit einer der erfolgreichsten Fernsehmoderatoren und Interpreten ist, der eher so im Schlagerbereich unterwegs ist. Aber hätten wir das beide nicht gewusst und hätten uns jetzt zum Beispiel die „Quando Quando“ Version zusammen angehört auf meinem Album. 

Die ist wirklich toll! 

Brönner: Dann bilde ich mir zumindest ein, dass wir beide erstmal eher über die Musik als solche gestolpert wären oder uns amüsiert hätten oder vielleicht belustigt oder auch inspiriert gewesen wären. Das wäre die schönste Reaktion. Warum wir auf diesem Album eine Stimme wie Giovanni Zarella mit reinnehmen? Weil wir uns A kennen und B ist natürlich auch eine gewisse Form von Authentizität damit verbunden: Das macht hier ein deutscher Italiener oder ein Italo-Deutscher sozusagen, der sich ja nun auch schon seit ein paar Jahren mit der Frage befasst, wie man den Deutschen ihre große Italienliebe noch ein bisschen persönlicher gestalten könnte, ein bisschen näherbringen könnte, noch ein bisschen mehr erzählen könnte. 

Und Mandy Capristo?

Brönner: Mandy Capristo zählt in eine vergleichbare Riege. Die beiden kennen sich ja lustigerweise auch aus der Zeit, wo sie in Deutschland buchstäblich gecastet wurden. Und ich glaube, beide Elterngenerationen von Giovanni und auch von Mandy weisen diese deutsch-italienische Geschichte mannigfaltig auf. Wir sind quasi inklusive meiner Person alles Kinder dieser Kooperationen, die Kinder dieser Geschichte und der Nachkriegszeit, muss man auch sagen. Zudem ist Mandy Capristo eine unglaublich gute Gesangskünstlerin. Und sie ist tatsächlich auch noch eine sehr gute und enge Freundin unserer Familie. 

Der Fotograf und Autor

Sie sind nicht nur Musiker, sondern auch Fotograf, ein ganz hervorragender übrigens, Autor, Hochschuldozent. Welche Rolle spielen diese anderen kreativen Felder in der Gestaltung Ihrer musikalischen Projekte – insbesondere von „Italia“? Als Sie eben Ihre Erinnerungen aus Rom beschrieben, musste ich spontan an das Licht in dieser Stadt denken, an dieses unglaubliche Licht, das es, glaube ich, nur so in Rom gibt. Wie spielt das so mit rein, wenn Sie diese Stücke neu arrangieren?

Brönner: Das spielt natürlich ganz entscheidend mit rein. Wir hätten ja auch sagen können: Mein Gott, über Italien weiß man so viel. Der Coffee Table Schrank ist sozusagen gefüllt mit Literatur und mit Bildbänden als Fotograf. Da muss ich doch jetzt nicht noch dahin reisen, um dieses Album aufzunehmen. Aber genau das haben wir gemacht. Wir sind zweimal sehr intensiv und über mehrere Tage am Stück in Italien im Tonstudio gewesen und haben dieses Album dort auch in der Hauptsache mit italienischen Musikerinnen und Musikern aufgenommen. Und das, weil man natürlich durch die Erfahrung auch in Erinnerung hat, wie sehr diese Elemente vom Licht bis zur Mentalität, vom Duft des Landes und des Bodens dort auch bis hin zum Catering alles auf die Musik abfärbt, und zwar positiv. Und genau das war mir wichtig. Sowas in Zeiten wie diesen umzusetzen, obwohl eigentlich gar keine Budgets mehr dafür da sind, aber ich wollte sicherstellen, dass es eine authentische und sehr ernst zu nehmende Reise auch in Sachen Produktion wird. 

Und dann hatten Sie noch als Co-Produzenten auch noch Nicolas Conte. Wie wichtig war das für Sie? 

Brönner: Das war sehr wichtig, weil wir seit vielen Jahren befreundet sind und der Austausch über die Frage A, was gibt es B, was könnte man und sollte man machen und C, was sollte man auf keinen Fall machen, zusammen viel mehr Spaß macht. 

Ihre Leidenschaft fürs Kochen und Italien hatten Sie ja letztes Jahr schon mit einem Buch geteilt. „Ciao Roma“ heißt das das Kochbuch. Gibt es da eine kulinarische Entsprechung zum musikalischen Konzept, also ein Gericht, das sie mit einem bestimmten Stück auf dem Album verbinden würden?

Brönner: Das gibt es natürlich jetzt nicht konkret, das geht mir fast etwas zu weit in den Bereich des Bewussten. Ich glaube, dass wir mit dem Unterbewussten letztlich immer weiterkommen bei sowas. Das Unterbewusste ist natürlich für jemanden, der professionell Musik macht oder den Menschen seine Gedanken zumutet in Form von Bildern oder von Alben oder dergleichen, die eine Sache. Fakt ist aber, dass es unheimlich oft eine intuitive Geschichte ist. Und insofern glaube ich, dass das Improvisieren, was im Jazzbereich ein ganz wesentliches Merkmal ist, auch in der Küche immer mal wieder von großem Vorteil sein kann, manchmal sogar muss, wenn irgendwas fehlt im Kühlschrank. Da empfiehlt es sich natürlich festzustellen, dass es sich beim Herstellen von Gerichten auch um das Kultivieren und sogar Konzentrieren von Aromen handelt. Insofern ist meine Antwort auf die Frage eigentlich eher, dass ich festgestellt habe, dass all diese Disziplinen von der Fotografie übers Kochen bis zum Musikmachen eigentlich auf derselben Sammlung von Gesetzen fußen, wenn am Ende etwas Brauchbares oder sehr Sinnliches, sehr Leckeres oder gar Kontroverses herauskommen soll. 

Till Brönner auf Tour

Sie gehen ja bald wieder auf Tour. Wird das Album da auch irgendwie im Mittelpunkt stehen auf der neuen Tour? 

Brönner: Ja, selbstverständlich. Wir legen jetzt für den Herbst 2025 ein Augenmerk auf das Album und möchten natürlich den Menschen dieses Album vorstellen und würden uns wünschen, dass durch die Tour, die im März und April 2026 stattfinden wird, der nötige Hunger auf dieses Projekt geweckt wurde. 

Werden Sie da mit einer besonderen Besetzung auf Tour gehen? Sie haben ja da wirklich ein breitgefächertes Reservoir an Sänger, Sängerinnen, Musikern drauf. Wie wollen Sie das interpretieren? 

Brönner: Das werde ich spontan entscheiden. Aber es spornt natürlich, wenn ein Album ein Erfolg werden sollte, ungemein an, sich dann über die Live-Umsetzung auch nochmal genauso viele Gedanken zu machen wie über das Album. 

Till Brönner über Bonn und die Beethovenhalle

Letzte Frage aus Bonn, Ihrer Heimatstadt. Sie werden auch hier auftreten, mutmaßlich, wie ich höre, in der dann aufwendig sanierten Beethovenhalle. Bedeutet Ihnen das etwas, in Bonn aufzutreten? Ist das was anderes? Welche Erinnerungen verbinden Sie an die Beethovenhalle?

Brönner: Ja, natürlich. Sowohl die Stadt Bonn als auch die Bezirke drum herum sind mir sehr vertraut. Ich reise immer mit einem sehr angenehmen Gefühl hin. Ich versuche meistens einen Tag vorher oder einen Tag später noch dranzuhängen, damit ich nochmal die Chance bekomme, das so in mich aufzunehmen. Denn tatsächlich ist die Jugend und die habe ich dort verlebt, natürlich eine sehr prägende Angelegenheit. Es ist auch schön zu sehen, dass diese. anfängliche Depression, als die Hauptstadt von Bonn nach Berlin wanderte, sich inzwischen eigentlich eher so einem sehr angenehmen Gefühl gewichen ist von Identität, die sich jetzt im Rheinland wieder breitmachen konnte. Ich finde Bonn ein wunderbares Fleckchen Erde, mit dem mich eine ganze Menge verbindet. Mit der Beethovenhalle übrigens auch. Da durfte ich tatsächlich immer mal wieder spielen. Aber ich werde nie vergessen, wie ich damals von unserem Musiklehrer an der Schule plötzlich so ganz spontan mit unserer Klasse bei einer Probe mit Leonard Bernstein beiwohnen durfte. Eine Generalprobe, wo dann tatsächlich unsere ganze Musikklasse dasaß und diesem sehr beeindruckenden Mann zuhören konnte. Der auch ein hervorragendes Deutsch sprach und uns ganz explizit noch begrüßte zur Probe und sagte, dass es wahrscheinlich viel schöner wäre, jetzt der Probe zu lauschen als später dem Konzert. Denn er würde gleich ein paar Mal abbrechen und uns erklären, warum er abgebrochen hat. Das werde ich nie vergessen.