Was für ein erstklassiger Konzertabend! Lisa Simone und das Ramon Valle Trio sorgten für brillante Unterhaltung, bewegende und amüsante Momente, vor allem aber für einen tollen Musikgenuss.
Von Cem Akalin
Vielleicht hat der Jazz schon längst eine universelle Sprache gefunden. Eine Sprache, in der nur noch Nuancen an die Herkunft des Künstlers erinnern. Wie definiert sich „deutscher Jazz“? Oder „amerikanischer“? Oder „kubanischer Jazz“? Muss man die Zutaten von Salsa, Nueva Trova oder Timba herausschmecken, wenn ein kubanischstämmiger Jazzpianist in die Tastenhaut? Gewiss nicht.
Und Ramon Valle, dessen Englisch von einem starken lateinamerikanischen Akzent durchwachsen ist, ist ein Künstler, der sich musikalisch nicht einengen lässt. Das bewies der kleine, quirlige, äußerst sympathische Musiker mit seinem fantastischen Trio am Donnerstagabend in der Posttower-Lounge. Auch dieser wunderbare Jazzfest-Abend war ausverkauft, und Peter Materna, künstlerischer Leiter des Festivals, hatte wieder einmal ein sicheres Gespür gezeigt, indem er den weniger bekannten Valle mit der großartigen Sängerin Lisa Simone für diesen Abend gebucht hat.
Valle startete das Konzert mit einem vielschichtigen Spiel. Nach einem kammermusikalischen Intro ließ er sich in orientalisch anmutende Gedankenwelten treiben, feuert seine beiden Mitspieler mit kräftigen Akkorden an, schlägt halb stehend die Tasten an, murmelt vor sich hin, sucht immer wieder den Blickkontakt zu Omar Rodriquet Calvo (Bass) und den sagenhaften Liber Torriente, die er mit den Augen zu dirigieren schien.
Auch bei „Si Volviera“ wollte keine karibische Stimmung entdeckt werden, auch wenn die Truppe dem Publikum die Sonne in den schönen Jazzclub holte. Doch die lyrischen Harmonien ließen eher an skandinavische Weisen denken, ließen Wahlverwandschaften zu Martin Tingvall oder Esbjörn Svensson vermuten. Die wunderbare zwölfminütige Version von „Free At Last“ hatte den Flow eines Keith Jarrett und die zauberhafte Eleganz eines Lyle Mays.
„Cinco Hermanas“, seinen fünf Schwestern gewidmet, kam dem karibischen Rhythmusgefühlt schon näher, ein humorvolles, sehr energisches Stück, auf dem auch Valles Rhythmusgruppe ihre ganze Größe ausspielen konnten. Das rollende, von retardierenden Phrasen lebende „Levitanto“ oder die Zugabe „Principa Enano“ steckten voller Ideen und kleinen halb verborgenen Nebenschauplätzen. Ramon Valle, das scheint klar, hat seine musikalische Sprache längst ausgemacht. Und die spricht er perfekt.
Die Begeisterung beruhte sicher auf Gegenseitigkeit. Valle spürte die Energie, wie er immer wieder ausrief, und spielte diese voll aus. Ein tolles Erlebnis! Begeisterter Applaus für das Trio und den Mann, der zu jedem Stück eine nette Geschichte zu erzählen wusste, waren Ehrensache. Dass er nach diesem Konzert massenhaft CDs verkaufte eine logische Konsequenz.
Ganz so dramatisch, wie in ihrem Eröffnungsstück „Tragigue Beauty“ beschrieben, war ihr Auftritt nicht. Lisa Simone lässt allerdings zunächst ihre Musiker nach und nach die Bühne betreten, bevor sie kommt. Ihr musikalischer Direktor und Gitarrist Hervé Samb wird in Frankreich zu Recht als die „große Offenbarung des afrikanischen Kontinents“ gefeiert. Was der gebürtige Senegalese aus seiner akustischen Gitarre herausholt, ist wirklich verblüffend: Dieser Jazz-Rock-Electro-Bop vermischt mit akustischer Finesse, Blues und einem Stück verklärtem Afrika macht aus den Kompositionen, die fast alle aus Lisa Simones Feder stammen, etwas ganz Besonderes. Er beginnt gleich mit einem katzengeschmeidigen, doch funkigem Groove, in das Sonny Troupé am Schlagzeug einsteigt und später am Abend mit einem epischen Solo das Publikum begeistern wird. Die Becken schön tief gehängt, weiß der Musiker aus Guadeloupe immer, wie viel Dynamik die einzelnen Stücke vertragen, welche sensiblen Becken- und Glockenklänge erzeugt werden müssen, um dem eigenständigen Soul-Gospel-Blues-Pop der Simone gerecht zu werden. Wäre einmal interessant Troupé mit seinem eigenen Quartett zu hören.
Reggie Washington hat die Ruhe eines Ron Carters, aber die vielfältige Raffinesse eines top ausgebildeten New Yorker Großstadtmusikers. Der 54-Jährige hat schon mit dem New York Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta gearbeitet, kann aber auch abgehen wie ein Marcus Miller. Die Liste der Musiker, mit denen er schon gespielt hat ist lang: Sie reicht von Branford Marsalis, Salif Keita über Cassandra Wilson, Ravi Coltrane bis Steve Coleman.
Die 53-Jährige tat sich zunächst ein wenig schwer, und das Publikum machte es ihr auch nicht leicht, wenn sie versuchte, mit ihm in Kontakt zu treten. Ihre Ansagen wirkten dadurch ein wenig steif und einstudiert. Doch wer eine Simone ist, gibt nicht so leicht auf! Nach einer musikalischen Vorstellung ihrer Band stimmt sie in das wilde „Revolution“ ein, zu dem Samb verzerrte Akkorde spielt.
Schon bei ihrer Hommage an die eigene Mutter schien aber alle Anspannung abzufallen. Die eingängige Klage gegen die Sklaverei „Ain’t Got No, I Got Life“, die Nina Simone so stark vorgetragen hatte, wird bei Lisa sehr viel bluesiger, das Tempo schien auch etwas herausgenommen. Samb lässt sich mit einem äußerst rohen Bluessolo auf die Stimmung ein. Ein ganz großer Moment an diesem Abend.
Lisa Simones Version „If You knew“, das ihre Mutter 1965 an ihre damals dreijährige Tochter schrieb, war ein beachtliches Geschenk ans Publikum. Ihre Stimme klang dunkler als die ihrer Mutter, wies diese mikroskopisch kleinen Risse, was der Ballade eine sehr bewegenden Ton gab. Wischte sie sich am Ende eine Träne aus dem Auge?
Biografischen Charakter hatten auch die anderen Songs, die sie aus ihrem an diesem Samstag erscheinenden Album „My World“ sang. Neben dem Titelstück auch „Expectations“ (mit dem schönen Refrain „Expectations versus reality/ Always gets the better of me/ Expectations versus reality/ Always leaves me open to anything“. Und der Song “This Place”, erklärte sie, galt ihrem Zuhause in Südfrankreich, dem Haus, in dem ihre Mutter vor dreizehn Jahren starb. Überraschend: eine Art Calypso-Version von Leonard Cohens „Suzanne“.
Bezeichnenderweise beendete Simone ihr Konzert mit einem Gebet, einem musikalischen. Das sehr gospelbetonte „I Pray“ verfolgten die meisten Zuschauer dann stehend – und ausgiebig applaudierend. Ein sehr bewegender und beeindruckender Auftritt.