Schon dieser erste Ton, der sich wie der Bohrer beim Zahnarzt ins Hirn fräst, wie „ein sorgloses kaltes Gerät“, wie es in dem Song heißt, und sich dann mit breiten synthetischen Sounds und fetten Gitarrenriffs ausbreitet wie eine Schockwelle. Durchs Dunkel dringen dann die betörenden Singstimmen von Jon Courtney und Chloe Alper durch. Das Thema von „Silent Genesis“ wird dich tagelang nicht mehr loslassen. Die Eindringlichkeit des Konzertes von Pure Reason Revolution in der Kantine Köln auch nicht. Sie spielten vor Gazpacho. Eine Konzertkritik.
Von Dylan Cem Akalin
Pure Reason Revolution machen keine Musik für den flüchtigen Augenblick. Die Songs sind von intelligenter Tiefgründigkeit, von emotionaler Rätselhaftigkeit, und genau so ist auch die Musik, die voller spannungsgeladener Dynamik ist, mitunter von widerstandkräftiger Zartheit wie ein Spinnennetz und sich dann in einem Ausbruch entlädt, der dich wie einen Sog mitreißt. Allerdings tritt die Band ohne Sängerin Chloë Alper auf. Die sei aufgrund anderen Verpflichtungen leider verhindert, hieß es auf Facebook. Mit Annicke Shireen wurde zwar ein exzellenter Ersatz gefunden, dennoch fehlte Alper besonders beim Gesamtsoundeindruck, aber das minderte den Genuss des Konzertes keineswegs.
„Silent Genesis“ und „Ghosts & Typhoons“
Endlich kann man die Londoner live erleben – nach ihrer gut zehnjährigen selbstauferlegten Abstinenz und dem kulturellen Loch der Pandemie. Und das Quartett um die Schlüsselfigur Jon Courtney, der freilich die Mehrzahl der Stücke schreibt, und auch Annicke Shireen genoss ihren Auftritt ebenso wie das Publikum.
Die Band hatte seit fast zehn Jahren kein Album mehr gemacht, nachdem sie zunächst mit dem gefeierten Debüt „The Dark Third“ im Jahr 2006 für Furore gesorgt hatte. Dann folgten zwei Alben, die eher in Richtung Elektronik und Pop gingen. Dann verkündete die Band, es sei alles gesagt und lösten sich auf – bis dann vor zwei Jahren „Eupnea“ erschien. Das Album vereinte alles, was sie bisher gemacht hatten, orientierte sich aber deutlich an den Stärken des Debütalbums. Die Platte wurde gefeiert.
In Köln spielten sie indes lediglich zwei Songs daraus, „Silent Genesis“ und „Ghosts & Typhoons“ mit seinen berauschenden Arrangements, den Gegensätzen zwischen Alpers feinen Gesangslinien und dem schweren Angriff von Gitarre, Bass und Drums. Die meisten Stücke waren indes aus dem bei Fans so gefeierten Erstling „The Dark Third“, das übrigens gerade nochmal in einer 180 Gramm-Vinyl-Ausgabe erschienen ist.
„It’s the halcyon gaze…“
Ihre Texte stecken voller rätselhafter Hinweise und Warnungen vor Interpretationen. „Wenn in „Silent Genesis“ noch vor „gebrochenen Bedeutungen“ und „verschleierter Einbildung“ die Rede ist, steckt „Ghosts & Typhoons“ voller Andeutungen auf die Philosophie. „It’s the halcyon gaze, it’s the drama in the alchemy“ (…) „It’s a flash & a blur; it’s the sober in the cold light of day“, heißt es bei PRR, bei Nietzsche: „…es sind tiefe stille, bald grüne und schlüpfrige Honig-Augen/sein halkyonisches Lächeln/der Himmel sah blutig und grausam zu“.
Es ist Teil des Konzepts, wenn wunderschön ineinander verschlungener männlicher und weiblicher Gesang, sphärische von Pink Floyd beeinflusste klangliche Abgründe auf unerbittliche Wände aus E-Gitarren und elektronischen Dimensionen treffen. Die merkwürdigen Bilder im Hintergrund verstärken den Eindruck des Geheimnisvollen, schwarz-weiße Ansichten konstruierter Realitäten.
Mit „Phantoms“ gab es schon mal einen Eindruck vom kommenden Album „Above Cirrus“ (6. Mai 2022), ein elektronischer Track, der mit Tribal Drums startet und Exzesse von Doom-Riffs über Anklänge von Post-Rock und den typischen Gesangspart legt.
„The Bright Ambassadors of Morning“
Aber mit Songs wie „Apprentice of the Universe“ zeigt PRR, dass sie es auch verstehen, leichtfüßige Melodien für sich stehen zu lassen. Das gut zehnminütige „The Bright Ambassadors of Morning“ aus dem Mini-Album „Warningary Tales for the Brave“ bezieht sich Pink Floyds „Echoes“: Fette Sounds, einfach geile Gitarreneinsätze, ein vielschichtiges, fast suiten-artiges Werk mit vielstimmigen Gesängen, die bisweilen entfernt an die Beatles erinnern und Anklängen an Psychedelic Rock. Mit den Möglichkeiten des Mantra arbeitet die Band auch bei „Arrival / The Intention Craft“, bei dem zunächst allerlei merkwürdigen Sound zum Einsatz kommen. Wie so oft geht es auch hier um nicht sichtbare Realitäten, am Abend sehen wir im Hintergrund Bilder von Soundkurven, Landschaften wie aus der Quantenmechanik. Und dazu Zeilen wie diese: „Waveband cadence daylight grew/I see blue the ocean ride/Vision denied, we’re too high, sold his eyes/Light shines through on the sharpened knives.“ Da kommt „Bullitts Dominæ“ schon richtig hymnisch rüber, „Deus Ex Machina“ sperrig-schräg und die Zugabe „AVO“ für PRR-Verhältnisse geradezu minimalistisch. Ein ganz starker Auftritt.