Es läuft: Während andere Festivals abspecken, wächst das achte Jazzfest Bonn 2017 erneut. Im kommenden Jahr werden etwa 6000 Tickets angeboten, 1000 mehr als 2016: 23 Konzerte Konzerte in drei Wochen. „Das ist eine Kunstrichtung, die nach wie vor sehr benachteiligt wird“, sagte der künstlerische Leiter des Jazzfest, Peter Materna, am Freitag bei der Pressekonferenz in der Deutschen Welle in Bonn. Er habe es sich zur Aufgabe gemacht, die Bedingungen für diese Sparte zu verbessern, und mit dem Jazzfest Bonn konsequent auf höchster Ebene diese „durchzudeklinieren“. „Die hohe Qualität des Programms ist uns nach wie vor sehr wichtig.“ Brad Mehldau wird der erste und einzige Einzelkonzert des Jazzfest Bonn in der Oper bestreiten.
Von Cem Akalin
Mit der Bonner Oper ist eine weitere Location hinzugekommen, sagte er. Auch einen neuen Hauptsponsor hat er: Phoenix-Reisen. Für das Festival steht Materna nach eigenen Angaben ein Etat von 300.000 bis 400.000 Euro zur Verfügung, davon sind 15.000 Euro Zuschüsse vom Land Nordrhein-Westfalen und 25.000 Euro von der Stadt Bonn.
Das Programm für 2017 kann sich wieder sehen lassen: von populären Spielarten bis zu avantgardistischen Klängen ist alles da. Eröffnet wird das Jazzfest Bonn am Freitag, 12. Mai 2017, im Telekom Forum von der Sängerin, Schauspielerin und Autorin Jasmin Tabatabai und dem David Klein Quartett. Tabatabai wurde kürzlich mit dem Echo Jazz als „Beste nationale Sängerin“ ausgezeichnet. Sie stellt ihr aktuelles Album „Was sagt man zu den Menschen wenn man traurig ist?“ Vor.
Der zweite Teil des Doppelkonzertes wird von der grenzüberschreitenden Jazzkantine gestaltet.
Am Samstag, 13. Mai 2017, lassen die WDR Big Band, ihr neuer Chefdirigent Bob Mintzer und Mike Mainieri das Projekt Steps Ahead wieder aufleben. Diese Supergroup wurde seinerzeit unter anderem von den Brecker Brothers in New York gegründet. Sicherlich eine spannende Angelegenheit. Der zweite Teil des Konzertes wird von der Tochter der stimmgewaltigen Jazz-Diva Dee Dee Bridgewater China Moses bestritten. Es geht sicherlich etwas souliger zu.
Niels Klein kennt man ja als Leiter des Bundesjazzorchesters, mit Tubes & Wires stellt er am Samstag, 14. Mai, in der Universität Bonn sein Klangexperiment vor, mit dem er sich zwischen den Welten von Jazz und elektronischer Musik bewegt. Zu der wunderbaren Band gehören Lars Doppler an den Keyboards, Hanno Busch an Gitarren und Bass sowie der wunderbare Jonas Burkwinkel am Schlagzeug.
Rebekka Bakken war ja bereits beim ersten Bonner Jazzfest dabei, die Besetzung ihres Quintetts stand noch nicht fest. Die 46-jährige Norwegerin gehört mittlerweile längst zu den Spitzen des Jazz gesangs.
Donnerstag, 18. Mai 2017, Post Tower: John Patitucci kennen fleißige Jazzfest-Besucher ja noch vom und vergessenen Konzerts mit Wayne Shorter im Telekom Forum. Diesmal kommt der Ausnahme-Bass, dessen vielseitige Virtuosität schon von Musikern wie Chick Corea, Herbie Hancock, B.B. King oder Natalie Cole in Anspruch genommen wurde, mit seinem eigenen Quartett nach Bonn.
Viktoria Tolstoy ist tatsächlich eine Nachfahrin des berühmten russischen Schriftstellers, die 42-jährige schwedische Sängerin wird den zweiten Teil dieses Abends bestreiten.
Vielleicht den spannendsten Festival-Tag wird es am Freitag, 19. Mai 2017, in der Brotfabrik in Beuel geben. Christopher Dell ist ein ungewöhnlicher Musiker, Materna nennt ihn schlicht „Brain“. Denn Dell ist tatsächlich ein Intellektueller in der Musikszene. Er lehrt „Improvisation im Städtebau“ und hat den Jazz mit der Architektur verbunden. Der Vibraphon, Komponist und Buchautor kommt mit dem Trio D.R.A.: mit Christian Ramond am Bass und Felix Astor am Schlagzeug.
Im zweiten Teil kommt Saxophonist Heiner Schmitz mit seiner Band Organic Underground, zu der unter anderem WDR Big Band-Posaunist Ludwig Nuss gehört. Schmitz steht in der Tradition des Bebop, was die Band aber nicht davon abhält, spartenübergreifende Reisen zu unternehmen.
Der Gitarrist Kurt Rosenwinkel machte seine ersten Schritte in der Jazzszene der 9er Jahre, und er gehört heute zu den einflussreichsten Jazzgitarristen. Er spielte unter anderem auch mit Brad Mehldau, Paul Motia und Joe Henderson. Seit 2007 lehrt er als Professor für Gitarre am Jazz Institut Berlin. Am Samstag, 20. Mai, spielt er im Haus der Geschichte mit seinem Trio Bandit 65, zu der Tim Motzer (Gitarre, Elektronik) und Gintas Janusonis (Drums) gehören.
Hildegard Lernt Fliegen ist eine Band des Meistersängers Andreas Schaerer. Die Schweizer Band ist hoch virtuos und musiziert auf alle höchstem Niveau. Komplizierte Arrangements und theatralischer Anschlag mischen sie mit Blues und Oper.
Die junge Pianistin Julia Kadel kennen die Bonner mit ihrem Trio haben die Bonner mit ihrem Trio kennengelernt. Am Samstag, 21. Mai 2017, wird sie ein Solokonzerts im Volksbank Haus geben. Das Hamburger Abendblatts beschrieb einmal sehr schön ihre Musik, die bestehe „aus null Gramm Retro Jazz, aber auch aus null Gramm Anbiederei an irgendwas vermeintlich derzeit Angesagtes“. Den zweiten Teil des Konzertes bestreitet das Bossarenova Trio.
Mittwoch, 24. Mai 2017, Beethoven-Haus Bonn: Olivia Trummer & Jean-Lou Treboux Die Pianistin und Komponistin Olivia Trummer ist nicht die erste, die sich der Herausforderung stellt und zwei scheinbar so diskrepante Genres wie Klassik und Jazz zusammenbringt: hier die Akkuranz des Geschriebenen, der vermeintlich kultiviertere Anschlag, dort die Spontaneität, Freiheit und rhythmische Energie des Jazz. Können sie zusammenkommen? Auf ihrem Album „Classical to Jazz One“ wendet sich Olivia Trummer einigen Werken der großen Meister Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Dominico Scarlatti zu und lässt daraus neue Kompositionen entstehen. Als kongenialer Partner in diesem Projekt steht ihr der Schweizer Vibraphon-Virtuose Jean-Lou Treboux zur Seite. Das Duo nimmt die klassischen Werke mit intuitivem Respekt auseinander und lassen eigene Ideen einfließen. Großes Kino!
Letzteres gilt auch für Roger Hanschel & das Auryn Quartett: Hanschel hat uns ja schon mit seiner Band Heavy Rotation in der Brotfabrik begeistert. Wenn einer das Zeug hat, die Klassik und den Jazz auf außerordentliche Weise zu verflechten, dann dieser großartige Wandler zwischen den Stilen. Das Aufeinandertreffen Hanschels und dieses geistvollen Quartetts, das vor einigen Jahren auf so glänzende Weise Joseph Haydns 70 Streichquartette eingespielt hat, dürfte mindestens eine mittlere Sensation werden.
Donnerstag, 25. Mai 2017, LVR-LandesMuseum Bonn: Neil Cowley kennt man ja vor allem als Pianist von Adele, aber Kenner der Szene erinnern sich vielleicht noch an ihn als Mitglied der in den 90er Jahren populären Acid Jazz-Band Brand New Heavies. Diesmal kommt Cowley mit einem klassischen Jazztrio. Auf dem jüngsten Album, auf dem sie von Brian Eno FX-Künstler Leo Abrahams unterstützt wurden, liefert das Trio ein charakteristisches Programm von klangvollen Looping-Songhooks, pochenden Rock-Pianomustern und barocken Gegenpunkten, aber durchaus in einem eher lockeren Groove.
Pianistin Rita Marcotulli und Akkordeonist Luciano Biondin haben den Jazz um die italienische Folklore bereichert. Die gebürtige Römerin begleitete auch immer wieder Stars der italienischen Musik wie den Liedermachern Pino Daniele oder Gianmaria Testa. Luciano Biondini, mit dem sie auch im gemeinsamen Quartett zusammenarbeitet, gehört zu den großen Virtuosen des aktuellen Akkordeon-Geschehens.
Freitag, 26. Mai 2017, LVR-LandesMuseum Bonn: Beim beim JazzTube-Festival der Stadtwerke gewann sie schnell die Herzen der U-Bahn-Passanten. Laura Totenhagen hat einen beeindruckenden Gesangsstil, den sie auch im Bundesjazzorchester immer wieder unter Beweis stellte. Nun beschreitet die 24-Jährige Kölnerin mit ihrem eigenen Quartett neue Wege: Die vier Musiker präsentieren Originals und Jazzstandards mit intimer Stimmung, mit ganz eigener Interpretation. Und Totenhagen liebt es ja, die Möglichkeiten ihres Vokalinstruments bis zu Grenzen auszuloten. Die leisen Töne, das Wispern und Schnattern, das sanfte Kratzen mit der Zunge und dazu ihr so sanfter Gesang sind äußerst spannend.
John Zorn wusste schon, warum er dieses Trio auf seinem Tzadik-Label herausbrachte: Omer Klein (Piano), Haggal Cohen-Milo (Bass) und Amir Bresler (Drums) machen einfach Freude. Das Trio hat Lust zu spielen, und das merkt man sofort. Es ist eine Lust die drei zu beobachten wie sie sich gegenseitig antreiben. Klein kommt aus der Danilo Pérez-Schule, und das bedeutet Energie, Dynamik, Tatkraft. Ein Kritiker beschrieb ihre Musik einmal so: „Eine musikalische Reise voller Weltschmerz und Chuzpe.“
Samstag, 27. Mai 2017, Bundeskunsthalle: Ellen Andrea Wang (Gesang, Kontrabass, Komposition) war gerade erst in Bonn und stand mit Manu Katché auf der Bühne der Beethovenhalle. Auch mit Marilyn Mazur und Sting war sie schon unterwegs. Die junge Norwegerin ist nicht einfach einzuordnen. Es ist eine Art Jazz/Country/Singer-/Songwriter, wobei sie auch gerne die Stimme elektronisch bearbeitet. Auf jeden Fall ist es Musik zum Träumen und Genießen. Zu ihrem Trio gehören Andreas Ulvo (Klavier, Keyboards) und Erland Dahlen (Schlagzeug).
Ebenfalls aus Norwegen stammt der 31-jährige Saxophonist Marius Neset, der sich zum Modern Creative bekennt. Der Musiker kombiniert Elemente des Experimentellen mit Fusion, Bop und Free Jazz und flechtet geschickt Stimmungen des Funk, Pop und Rock ein. Die Süddeutsche Zeitung stellte einmal verwundert fest: „„Was Marius Neset am Saxofon macht, ist nichts anderes als der Schritt in eine neue Dimension dieses Instruments.“ Das wird sicherlich ein anregendes Kontrastprogramm geben – und einen furiosen Festivalschluss.
Tickets gibt es zum beispiel bei BonnTicket.