
Chris Wenner zeigt auf seinem dritten Album „Not Old Enough„, dass Tiefe, Erfahrung und musikalische Feinsinnigkeit nichts mit Alter zu tun haben. Mit rauwarmer Stimme, poetischen Texten und einer exzellenten Produktion gelingt ihm ein stilles Americana-Album, das lange nachhallt.
Von Dylan Akalin
Vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass wir etwa gleich alt sind. Vielleicht haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht. Vielleicht aber ist es auch die Kunst dieses Singer/Songwriters, mit seiner weichen Stimme, die zugleich Ermattung und hellwache Beobachtungsgabe, zugleich Nachdenklichkeit als auch jugendliche Unbekümmertheit ausstrahlt, und diesen wunderschönen kleinen poetischen Texten das innerste der Zuhörer zu treffen?
Mit „Not Old Enough“ legt der in Bonn lebende Chris Wenner ein bemerkenswert gereiftes Album vor – auch wenn der Titel etwas anderes suggeriert. Es ist sein drittes Album und die Erfahrung spricht aus jeder Zeile und aus der herausragenden Produktion , an der sicherlich auch Philipp Hoppen einen gehörigen Anteil haben wird.
Der Songwriter, der bereits mit seinem Debüt „New Born Man“ viel Lob für sein feinsinniges Songwriting einheimste, präsentiert auf seinem dritten Longplayer erneut eine Sammlung sorgfältig gearbeiteter Americana- und Folkpop-Songs – warm, ehrlich und durchzogen von einem Hauch Melancholie. Kaum zu glauben, dass das alles von einem Mann kommt, der erst mit Beendigung seines erfolgreichen beruflichen Lebens als Jurist mit dem ernsthaften Musizieren begonnen hat.
Die Stimme: sanfte Autorität
Wenner ist kein Vokalakrobat, aber genau darin liegt der Reiz seines Gesangs. Seine Stimme hat Tiefe und Ruhe, eine gewisse raue, leicht heisere Wärme. Sie ist unaufgeregt und gerade dadurch eindringlich – ein Erzähler, kein Prediger. Besonders in ruhigen Momenten wie in „Burning Bridges“ oder „The Valley Below“ entwickelt sein Gesang eine intime Direktheit, als würde er dem Hörer direkt gegenübersitzen. Auch in etwas flotteren Titeln wie dem bluesigen „Soul Café“ bleibt Wenner stets kontrolliert und präsent, ohne je ins Pathetische zu rutschen. Musikalisch liegt er mehr bei David Crosby und James Taylor als bei Crosby, Stills & Nash.
Produktion: Analoges Herz, moderne Seele
Die Produktion ist klar und warm, mit hörbarer Liebe zum Detail. Akustische Gitarren, dezente Percussion, Slide-Gitarren und gelegentlich eingesetzte Streicher oder Bläser schaffen ein organisches Klangbild, das Raum zum Atmen lässt. Nichts ist überladen, jede Note sitzt an ihrem Platz. Der Backgroundgesang immer geschmackvoll, diskret eingesetzt. Der Sound erinnert an klassische Singer-Songwriter-Alben der 70er-Jahre, wirkt dabei aber keineswegs nostalgisch oder angestaubt. Man spürt: Hier ist jemand am Werk, der die Wurzeln kennt, aber im Heute lebt, der eine Leidenschaft für guten Sound und gutes Songwriting hat.
Texte: Nachdenklich, poetisch, geerdet
Inhaltlich kreist „Not Old Enough“ um Themen wie Verlust, Erinnerung, das Vergehen der Zeit – und die kleinen Momente des Alltags, in denen sich das Leben verdichtet. Wenner schreibt keine politischen Songs, keine Statements, sondern persönliche Miniaturen, die oft mehr andeuten als aussprechen. Sie sind die Bekenntnisse eines Mannes, der gelebt hat, der sich aber trotz seiner Erfahrung eine gewisse verschlossene Unbekümmertheit bewahrt hat. Und es schwingt immer eine Sehnsucht durch, die von der Liebe zum Leben und Erleben geprägt ist. Das macht den Künstler nahbar, aber auch verletzlich.

In „One of These Days“ etwa singt er über verpasste Chancen, ohne ins Lamentieren zu geraten. Der Titelsong „Not Old Enough“ spielt auf poetische Weise mit dem Paradox von Reife und jugendlichem Aufbegehren – ein leiser Abgesang auf die ewige Selbstvergewisserung. Die Lyrics sind nie verkopft, aber oft doppeldeutig, offen für eigene Lesarten. Und wer sich darin verfängt, wer sich darauf einlässt, wird eine melancholische Freude erfahren.
Ein stilles, starkes Album
„Not Old Enough“ ist kein Album, das sich aufdrängt. Es verlangt Zeit und Aufmerksamkeit – und wird sie mit bleibenden Eindrücken belohnen. Chris Wenner gelingt das Kunststück, klassische Songwriting-Traditionen mit einer persönlichen Handschrift zu versehen. Seine Musik ist unzeitgemäß im besten Sinne: handgemacht, durchdacht, menschlich. Wer genug hat vom schnellen Konsum und nach Tiefe sucht, ist hier goldrichtig – und nwird das Album wieder und wieder hören wollen.