
Ein drohender Abendregen bleibt aus, doch auf der Bühne entlädt sich ein musikalisches Gewitter: The Dead South bringen beim Konzert auf dem KunstRasen Bonn düsteren Bluegrass, anarchischen Charme und stampfende Energie. Zwischen Whiskey-Romantik und Wildwest-Furor wird das Publikum Teil eines mitreißenden Spektakels – staubig, rau und voller Geschichten.
Von Dylan C. Akalin
Am Ende donnert und blitzt es dann doch – allerdings nur auf der Bühne und von den Lautsprechern. Dabei liegt von Anfang an ein dunkelgrauer Himmel lwie ein schweres Tuch über der Rheinaue, als die vier Männer von The Dead South ziemlich pünktlich kurz nach 20 Uhr die Bühne auf dem KunstRasen betreten. Gut 2500 Fans sind gekommen und blicken auf die schöne Kulisse mit den Whiskey-Fässern und der weißen herrschaftlichen Hausfassade im Hintergrund. Immer wieder sieht es so aus, als wolle ein Abendregen losbrechen, doch die Wolken zeigen Gnade – und vervollkommnen stattdessen das Bühnenbild für eine musikalische Grenzüberschreitung zwischen Bluegrass, Country und dunklem Folk: The Dead South.
Einlass in die düstere Wildnis
Mit „Snake Man Pt. 1 – Intro“ beginnt das Set fast zeremoniell, bevor „Snake Man Pt. 2“ sofort mit knochentrockenem Sound und Gospel-Attitüde übernimmt. Schon diese beiden Stücke zeigen, worum es an diesem Abend geht: Um das makabre Spiel zwischen Ernst und Ironie, Wildwest-Romantik und rebellischem Bruch mit musikalischer Reinheit.

Der Sound ist ziemlich direkt, die Instrumente grenzen sich gut voneinander ab und bilden ein organisches Ganzes. Ein Schlagzeug ist weit und breit nicht auszumachen – doch dank Colton Crawfords Bassdrum, Danny Kenyons bauchigem Cello und der percussiven Spielweise von Banjo und Mandoline und etlichen per Fuß geschlagene Perkussion fehlt es nie an Druck. Stattdessen entsteht eine eigenwillige Klangarchitektur, die an eine Scheune voller Geheimnisse erinnert – roh gezimmert, aber voller versteckter Raffinesse.
Und mit ihren weißen Hemden, schwarzen Hosenträgern und Hüten sehen The Dead South eh aus, als hätten sie gerade ihr Tagwerk geschafft. Ihr Aussehen: irgendwo zwischen Amischen, Zimmerleuten und Postkutschenräuber, wie man sie von Vintage-Postkarten kennt. Doch was auf den ersten Blick folkloristisch wirkt, entpuppt sich schnell als Inszenierung einer anarchischen Energie.
Zwischen Feuer, Furor und Finesse
„20 Mile Jump“ und „Son of Ambrose“ liefern Tempo und Tanzbarkeit, während „Boots“ mit nervös-moralischem Unterton daherkommen. Bei „Yours to Keep“ bezaubert Nate Hilts mit einem sonoren Gesang, der unweigerlich an Hank Williams III erinnert: ein dunkles Grollen, das auf der Bühne durch seine Augenbraue flackert wie eine halb angesteckte Zigarette.

Scott Pringle sorgt mit seiner Mandoline für melodisches Flirren, und Danny Kenyon verwandelt sein Cello in ein multifunktionales Musikinstrument – Basslinie, Leadinstrument und Unheilverkünder in einem. Und der Mann hat eine rauchige Stimme, als hätte er die Nacht zuvor mehr als eine Flasche Hochprozentigem gekillt. Dazu passt sein augenzwinkerndes Säuferdrama „Time For Crawlin‘“
Aber er kann auch Gefühle zeigen – mit seinem Cello. Besonders in „Clemency“ oder „Completely, Sweetly“ verleiht es der Musik eine klagende Tiefe, die man in diesem Genre selten so eindringlich hört.
Die Performance: Western-Chic trifft Bühnen-Beben
Das Publikum macht mit. Nicht nur bei „In Hell I’ll Be in Good Company“, bei dem gepfiffen wird. Melodiös wohlgemerkt. Spätestens bei „Honey You“ wird klar: Diese Musik lebt nicht nur vom Klang, sondern vom Zusammenspiel zwischen Band und Zuhörerschaft.
Nate Hilts interagiert charmant mit dem Publikum, mit einem verschmitzten Humor, der fast komödiantische Züge trägt. Es ist diese Leichtfüßigkeit, die den Abend trotz seiner dunklen Themen – Tod, Verrat, Verlorenheit – nie ins Melodramatische kippen lässt. Stattdessen: musikalische Selbstironie mit Bart und Banjo.
Zwischen Bluegrass-Tradition und Punk-Instinkt
Die Songs erinnern in ihrer Struktur an klassische Murder Ballads, erzählen aber in der Sprache des 21. Jahrhunderts – mit Seitenhieben, absurdem Humor und der gelegentlichen Umarmung des Abgründigen. In „Black Lung“ oder „That Bastard Son“ klingt das fast ein wenig wie ein Comic von Cormac McCarthy, vertont von einem Bluegrass-Ensemble mit Punk-Attitüde. Dunkel, poetisch, geheimnisvoll.
Die Einflüsse sind vielfältig: Neben traditionellen Namen wie The Carter Family oder Johnny Cash schimmern auch The Misfits oder The Doors durch – wie auf den Crossover-EPs der Band angedeutet.

Die Songs sind wie staubige Landstraßen voller unerwarteter Kurven – mal wild, mal weich, immer ungeschliffen, aber ehrlich und voller Geschichten. Was sie so faszinierend macht? Vielleicht ist es diese Mischung aus Nostalgie und Gegenwartsdrang, aus Fiddle-Folk und Fußstampfen, aus makabren Märchen und lebendiger Show.
Wer heute da war, verlässt das Gelände mit einem Lächeln – und vielleicht ein bisschen Staub auf der Seele. Auf jeden Fall blieben wir alle trocken – jedenfalls äußerlich.

🎶 Setlist – The Dead South, Bonn, 27. Juli 2025:
1. Snake Man (Pt. 1)
2. Snake Man (Pt. 2)
3. 20 Mile Jump
4. Son of Ambrose
5. Boots
6. Yours to Keep
7. Travellin’ Man
8. The Recap
9. That Bastard Son
10. Black Lung / A Little Devil
11. Broken Cowboy
12. The Dead South
13. In Hell I’ll Be in Good Company
14. Honey You
15. Clemency
16. Completely, Sweetly
17. Banjo Odyssey






