Alice Cooper versammelt seine Originalband nach über 50 Jahren – „The Revenge of Alice Cooper“ ist ein grandioses Alterswerk mit Biss

Alice Cooper Band FOTO: earMusic/Jenny Risher

Es ist kaum zu glauben: Über fünf Jahrzehnte nach ihrem letzten gemeinsamen Album finden sich Alice Cooper, Michael Bruce, Dennis Dunaway und Neal Smith wieder im Studio ein – und liefern ein furioses Comeback mit dunklem Glanz, bissigen Texten und überraschender Frische. „The Revenge of Alice Cooper“ ist ein starkes Alterswerk, das nicht zurückblickt – sondern weitergeht. Wir besprechen die Vinyl-Version.

Von Dylan C. Akalin

Es ist einfach nur irre: Mehr als ein halbes Jahrhundert nach „Muscle of Love“ finden sich die vier überlebenden Originalmitglieder der Alice Cooper Band wieder im Studio zusammen – und das Ergebnis ist ein richtig gutes, vitales, clever komponiertes und durchweg unterhaltsames Rockalbum. „The Revenge of Alice Cooper“ ist nicht nur musikalische Revanche, sondern auch ein triumphaler Beweis dafür, dass man mit 75 Jahren noch immer höllisch Spaß machen kann.

Alice Cooper, Michael Bruce (Gitarre), Dennis Dunaway (Bass) und Neal Smith (Drums) spielen erstmals seit „Muscle of Love“ (1973) wieder zusammen – also nach etwa 51 Jahren. Und auch Gitarrist Glen Buxton („unser Keith Richards“), der 1997 starb, ist posthum in zwei Tracks vertreten: im Song „What Happened To You“ über ein altes Demo‑Riff, sowie in der neu gemixten Bonus‑Version „Return Of The Spiders 2025“.

Besonders spannend finde ich, dass der Produzent erneut Bob Ezrin ist, Co-Schöpfer der legendären frühen Alben wie „School’s Out“, „Billion Dollar Babies“ und „Love It To Death“. Er co‑schrieb Songs, spielte zusätzliche Instrumente und sorgte für den typisch makellosen, aber rohen Sound. Als er sich damals der etwas chaotischen und ziemlich avantgardistischen und anarchistischen Gang in Detroit annahm, war Ezrin selbst gerademal 21 Jahre alt.

Rückkehr der Untoten

Die Geschichte der Originalband liest sich wie ein Theaterstück mit wechselnden Akten. Da war die Blütezeit der frühen 70er – fünf große Studioalben, eine radikale Bühnenshow, der Schockrock wurde salonfähig. Dann kam der Bruch, Erst Alkoholexzesse, dann der totale Absturz aufgrund von Drogen und Selbstentfremdung, Solokarriere, Tod von Gitarrist Glen Buxton. Ein Tipp: In der ARD-Mediathek ist eine hervorragende Doku aus der Reihe „Frontmen“ über Alice Cooper zu sehen. Und nun: die Wiedergeburt.

Gemeinsam mit Produzent Bob Ezrin, der einst „Love It to Death“ veredelte und damit den Weg für den Weltruhm ebnete, begibt sich Alice Cooper zurück zu den Wurzeln. Die Chemie zwischen Dennis Dunaway (Bass), Michael Bruce (Gitarre), Neal Smith (Drums) und dem Altmeister des makabren Entertainments ist dabei so lebendig wie lange nicht. Ezrin, als Soundarchitekt stets auf der Höhe der Zeit, gelingt es, den klassischen Spirit einzufangen, ohne in Retro-Klischees zu verfallen. Das Album klingt dreckig, direkt, analog – Gott sei Dank nie altbacken. Und auch die Gesangsparts des Altmeisters sind einfach großartig. Wer ihn gerade live auf Tour gesehen hat, weiß, dass Vincent Furnier, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, es immer noch drauf hat – und zwar verblüffend gut. Immerhin ist er auch schon 77 Jahre alt.

Ein makabres Menü in 14 Gängen

Die 14 Stücke der Vinyl-Version kommen mir vor, wie eine verspätete Fortsetzung, eine konsequente Fortschreibung des klassischen Cooper-Sounds. Das Album eröffnet mit „Black Mamba“, einer dunklen, fast cineastischen Rocknummer mit einem markanten Gastbeitrag: Robby Krieger, einst bei The Doors, steuert ein geschmeidiges Gitarrensolo bei, das dem Song eine geheimnisvolle Note verleiht. Der Einstieg ist giftig – und wirkt wie der Biss, der den Rest des Albums in Gang setzt.

Was für ein geiles Artwork! The Revenge of Alice Cooper

„Wild Ones“ ist dann pure Energie – ein straighter Rock’n’Roll-Ritt, wie man ihn von der Originalband erwartet. Neal Smiths Schlagzeug rollt wie in besten Zeiten, Dunaways Bass groovt unwiderstehlich, und Bruce sorgt für das rotzige Riff-Fundament.

„Up All Night“ und „Kill the Flies“

„Up All Night“ und „Kill the Flies“ zeigen die humorvolle Seite: hier bricht sich Coopers Sinn für Alltagsgrotesken Bahn, bissig, lakonisch, immer mit einem Augenzwinkern. Das Stück über die lästigen Fliegen wirkt wie eine Parabel auf das Altern, auf kleine Neurosen, auf Unverwüstlichkeit.

„One Night Stand“ bringt dann einen soulig-schleppenden Vibe ins Spiel, mit Bluesanklängen und elegantem Minimalismus, während „Blood On The Sun“ sich zur epischen Rock-Nummer aufschwingt – über sechs Minuten Power, Dynamik und ein feines Gitarrensolo von Bruce, das in seiner Spannung beinahe filmisch wirkt.

Rotzig, hymnisch, fast punkig

„Crap That Gets In The Way Of Your Dreams“ ist einer der direktesten Tracks: rotzig, hymnisch, fast punkig in seiner Direktheit. Ein Schlag ins Gesicht für alle, die Cooper jemals als Museumsfigur abgetan haben.

„Famous Face“ und „Money Screams“ greifen klassische Rockthemen auf: Ruhm, Gier, Identitätsverlust – alles verpackt in clever arrangierte Midtempo-Rocker mit Refrains, die sich festsetzen. Gerade „Famous Face“ überzeugt durch ein feines Piano-Arrangement im Hintergrund – Ezrins Handschrift ist hier besonders hörbar.

„What A Syd“ und „Inter Galactic Vagabond Blues“

Mit „What A Syd“ und „Inter Galactic Vagabond Blues“ wird es verspielter. Ersterer ist eine jazzige Reminiszenz an vergangene Zeiten, ein Hauch von Cabaret Noir weht durch die Zeilen. Letzterer verbindet Raumfahrt-Metapher mit bluesiger Schwere, ein musikalischer Comictrip.

Gänsehaut „What Happened To You“, jener Song, in dem der verstorbene Glen Buxton noch einmal zu hören ist. Sein Gitarrenriff, aus einem alten Demo gerettet, zieht sich wie ein Geist durch den Song – melancholisch, aber nicht wehmütig. Es ist ein Tribut, der stolz auf Vergangenheit und Gegenwart blickt.

„I Ain’t Done Wrong“, eine Keith-Relf-Adaption (Yardbirds), holt den alten Blues ins Heute – roh, wild, leidenschaftlich. Und schließlich: „See You On The Other Side“. Der Schluss-Song ist eine Ballade, aber keine kitschige. Vielmehr ein dunkler, leiser Abgesang mit Hoffnungsschimmer. Ein Abschied? Ein Versprechen? Beides.

Stilistische Balance

Was das Album so stark macht, ist seine stilistische Bandbreite bei gleichzeitiger Ausgewogenheit. Es ist eine organische Erweiterungen des bekannten Alice-Cooper-Kosmos: harter Rock, psychedelische Elemente, Blues-Schatten, vaudevilleske Zwischentöne. Die Produktion besticht durch eine Direktheit, die sich in der klaren Rollenverteilung der Instrumente niederschlägt. Dunaways Bass ist griffig wie eh und je, Smiths Drums treiben, Bruce glänzt als Songwriter wie auch als Gitarrist. Und Alice selbst? Er röhrt, knurrt, erzählt – seine Stimme hat an Wärme gewonnen, auch an Brüchigkeit, an Charakter.

Kein Revival – eine Weiterentwicklung

Das vielleicht Schönste an diesem Album: Es ist keine Retro-Show, kein peinliches Klassentreffen mit altbackenem gegenseitigem Schulterklopfen. Es ist Album von Weggefährten, die sich ihre Neugier immer noch erhalten haben. Die Texte sind witzig, zynisch, klug, aber nie prätentiös. Es gibt keine Peinlichkeiten, keine falschen Jugendanbiederungen. Stattdessen: ein stolzes Alterswerk mit jugendlichem Herzschlag.

Ein Hinweis zur Edition

Die hier besprochene Vinyl-Version enthält 14 Tracks. Der Bonus-Track „Return Of The Spiders 2025“, ein Remix des 1970er-Tracks zu Ehren von Buxton, ist ausschließlich auf der CD-Version enthalten – ebenso wie das zusätzliche Stück „Titanic Overunderture“. Für Komplettisten lohnt sich also auch ein Blick über den Vinylrand hinaus.

„The Revenge of Alice Cooper“ ist nicht nur ein nostalgischer Schulterschluss – es ist ein rundes, kraftvolles Album. Es schlägt die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart mit spielerischer Leichtigkeit und zeigt: Die Spinnen von damals leben noch. Und sie beißen wieder.

Gäste – die zusätzlichen Musiker

Zuletzt noch ein Hinweis auf die Gastmusiker. So sehr die Rückkehr der Originalband im Mittelpunkt steht – „The Revenge of Alice Cooper“ lebt auch von den Akzenten, die ausgewählte Gastmusiker setzen, die den Sound erweitern.

Allen voran  den bereits erwähnten Robby Krieger, legendärer Gitarrist der Doors, der auf dem Opener „Black Mamba“ ein Gitarrensolo beisteuert, das wirkt, als käme es direkt aus einem psychedelischen Fiebertraum der späten Sechziger. Krieger spielt nicht in wildem Exzess, sondern mit der typischen Lakonie und hypnotischen Gelassenheit, die seinen Stil so einzigartig machen. 

Ein weiterer Gast, der maßgeblich zum Sound beiträgt, ist Gyasi Heus, ein junger, aufstrebender Gitarrist aus Nashville, der in den letzten Jahren durch seine extravaganten Glamrock-Shows und sein Stilbewusstsein als „Love-Child von Marc Bolan und Prince“ bezeichnet wurde. Gyasi (ausgesprochen: „Jah-see“) ist seit einigen Jahren schon der neue Leadgitarrist in Alice Coopers regulären Band. 

Heus bringt eine explosive Mischung aus Glam, Funk und Classic Rock ins Spiel. Auf mehreren Tracks spielt er Lead-Gitarre und liefert die vielleicht flamboyantesten Momente des Albums: seine Licks sind schillernd, verspielt, weniger auf Effekte aus, aber stets präsent – besonders in Songs wie „Famous Face“ oder „Inter Galactic Vagabond Blues“ blitzen seine Funk-Gene auf. Es ist, als würde man T-Rex durch einen modernen Filter hören – mit einem Augenzwinkern und viel Sinn für Theatralik. 

Und da ist noch Rick Tedesco, langjähriger Gitarrist und Techniker, der seit vielen Jahren mit Dennis Dunaway arbeitet. Er bringt sowas wie erdige Verlässlichkeit ins Album – seine Parts sind solide, strukturell wichtig, das rhythmische Rückgrat in einigen Stücken. Er hält die Bühne für die Extravaganzen frei – ein Arbeiter im Schatten.

Bob Ezrin selbst wird zum heimlichen fünften Bandmitglied: Er spielt Keyboards, Orgel, Percussion und steuert Background-Vocals bei. Seine musikalischen Einsätze wirken nicht nach außen hin spektakulär, aber sie verleihen dem Album jene Tiefe, die es so vielschichtig macht – sei es durch eine Hammondorgel im Hintergrund, eine unauffällige Pianolinie oder eine überraschende Percussionfigur.