Stillstand ist das Ende, Kunst ist Bewegung. Bewegung bedeutet in einem schöpferischen Leben, sich fortwährend im kreativen Fluss zu befinden. Efrat Alony ist so eine Musikerin, bei der es keinen Halt gibt. Bei aller konzeptionellen Kontinuität überrascht die israelische Sängerin immer wieder mit ihrem Mut und ihrem Willen, sich neue Räume zu schaffen. So auch am Dienstag beim Doppelkonzert des Jazzfest Bonn, diesmal im Forum des Hauses der Geschichte.
Mit elektronischen Loops schuf sie sich eigene vokale Backgrounds, Oliver Leicht steuerte diesen so geschaffenen neuen Kulissen kühne Klarinettenklänge bei, die er bisweilen, elektronisch seziert, zu völlig neuen Klangerfahrungen ausbaute. Frank Wingold, den man als experimentierfreudigen und virtuosen Gitarristen kennt, begab sich ebenso immer wieder auf rätselhaftes Terrain: Klänge aus unbekannten Dimensionen zu Alonys beeindruckenden Stimmfarben. Dass über allem diese für sie typische Melancholie lag, die indes alles andere als mit trübsinnigem Kolorit gestrichen war, kennt man von ihr. Da klingt sogar ein Song mit dem Titel „Happy“ irgendwie gar nicht so fröhlich. Da spielt die in Berlin lebende Künstlerin gerne mit den westlichen Erwartungshaltungen. Ganz großes Kino: Ornette Colemans Trauermarsch „Lonely Woman“ in einer entschleunigt-abstrakten Neuinterpretation.
Ein Trio, das es so sicherlich (leider) nie wieder so in Bonn zu sehen geben wird: Der wunderbare Wiener Gitarrist Wolfgang Muthspiel mit Larry Grenadier (Bass), die schon bei Gary Burton zusammen spielten, und Jorge
Rossy (Drums). Die beiden haben schon viele Jahre mit Brad Mehldau fantastische Produktionen eingespielt. Wer einen edlen Trioabend erwartet hatte, wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Das Trio zeigte sich als ausgezeichnet aufeinander eingespielte Gemeinschaft,
Muthspiel ist sowohl in der klassischen und als auch in der Tradition der Jazzgitarre zu Hause. Das zeigte sich wieder einmal bei seinem so wohldurchdachten und präzisen Spiel auf der halbakustischen und der klassischen Gitarre. Man hört aus seinen Klangformen heraus, dass er neben dem Jazz auch für Ensembles für zeitgenössische Musik schreibt. Vieles von seinem klaren Sound ist eingebettet in die ECM-Landschaft: Manfred Eichers Klangästhetik liegt über vielen seiner Stücke, ein Stück musikalisches Manifest.
Dem stimmungsvollen Stück „Cambiata“, das sicher gut als Soundtrack zu einem Wenders-Film mit seinen einsamen Protagonisten passen würde, folgte die Upbeat-Komposition „Uptown“. Das Tempo nahm bei „Highline“ wieder Fahrt auf. Muthspiel spielte über ein Loop-Pedal kurze Linien ein, die Schleifen bildeten, über die sich der
Gitarrist treiben ließ. Das Ganze bekam dann so einen Kühnheit, dass Muthspiel zwischendurch sogar tanzte wie ein Indianer um ein Freudenfeuer. Dazu gab es schöne mit dem Bogen gespielte Basslinien.
Auch wenn Muthspiel immer wieder musikalische Hommagen an Musiker wie Brad Mehldau oder Michael Brecker darbot, so ist die Verwandtschaft zu Gitarristen wie Pat Metheny oder Ralph Towner sicher nicht zu verleugnen.
Einer der Höhepunkte: Muthspiels schon berührende Version von „Amelia“ – als stillen Genesungsgruß an die großartige Joni Mitchell, die schwer erkrankt ist. Ein ausgezeichneter Abend.
(Cem Akalin)