Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025: Ein Prog-Metal-Märchen voller Wucht, Virtuosität und Gefühl

Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Mit Hitchcock-Intro, cineastischem Sound und einer Setlist wie ein psychologischer Thriller liefern Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn ein atemberaubendes Konzert ab. Die Rückkehr von Mike Portnoy zeigt Wirkung – selten klang die Band so lebendig, komplex und emotional aufgeladen. Ein Abend voller Gänsehautmomente und progressiver Perfektion.

Von Dylan C. Akalin

Was für ein Intro in ein großartiges Konzert! Das Thema aus Alfred Hitchcocks „Psycho“, komponiert von Bernard Herrmann, leitet den Abend mit der Progressive-Rock-Band Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn auf ebenso konsequente wie dramatische Weise ein. Die nervenzerreißenden, durchbohrenden Streicherklänge mit den harschen, repetitiven Motiven und der folgenden fast wiegenden Melodie kündigen Suspense, Aufregung und Vorfreude gleichzeitig an.

Ums vorwegzunehmen: Dream Theater sind in Bonn sogar noch besser als bei ihrem Auftritt im Kölner Palladium im Oktober 2024. Die Rückkehr von Mike Portnoy ist inzwischen kein Ereignis mehr – sie ist wieder Realität. Und diese Band wirkt in dieser Besetzung kompletter, spontaner, lebendiger als je zuvor.

Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Diese Band verbindet auf so faszinierende Art Kopf und Seele, intelligente Virtuosität und technische Finesse mit emotionalem Ausdruck, erstaunlicher Musikalität und leidenschaftlichem Songwriting. Da treffen brachiale Metalriffs auf zappaeske Achterbahnfahrten, Pink-Floyd’sche Soundereignisse auf meisterhafte Soli. 

Und es wäre nicht Dream Theater, wenn die Setlist nicht nur musikalisch eine gewisse Einheit bildet, auch inhaltlich ist sie derart intelligent durchdacht, dass man nur staunen kann, wie Songs aus unterschiedlichen Alben doch eine gemeinsame, zusammenhängende Geschichte erzählen können. Viele der Songs sind thematisch miteinander verwoben und ergeben gemeinsam eine Art psychologische und spirituelle Reise, die man vielleicht in fünf Etappen unterteilen kann: Einstieg in die Dunkelheit, Zerfall und Chaos, Selbsterkenntnis und Konfrontation, Ritual und Transformation sowie Erlösung und Rückkehr.

Es ist ein musikalischer Spannungsbogen, der von innerem Druck über Aggression zur Katharsis führt. Und dazu die Bilder, die inszenierten Schattenspiele auf der Bühne – einfach Hammer! Glücklicher kann man als Dream Theater Fan kaum nach Hause gegangen sein als an diesem 10. Juli 2025 vom KunstRasen Bonn!

Fantastische Songaufbauten

Ja, es ist ein Konzert ab, das Form, Technik und Emotion in selten gesehener Dichte vereint – getragen von Songs, die zwischen virtuosem Wahnsinn und melodischer Klarheit pendeln. Die rund 3000 Fans feiern die Band auch nach ihrem Abgang nach fast zweieinhalb Stunden reiner Spielzeit noch minutenlang, so dass James LaBrie (Gesang), John Petrucci (Gitarre), John Myung (Bass), Jordan Rudess (Keyboards) und Mike Portnoy (Schlagzeug, im Bademantel) nochmal auf die Bühne kommen und sich bei den Fans bedanken.

Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Ich muss heute mal etwas mehr über diese fantastischen Songaufbauten eingehen, weil es mich einfach umgehauen hat, mit welcher Leichtigkeit und Nonchalance diese Musiker mit krummen Takten und Harmoniewechsel umgehen. Der Abend beginnt mit „Night Terror“ vom aktuellen Album „Parasomnia“, einem Stück über Angstzustände und psychische Belastung, über die Nachtseite der Seele. Der Song strahlt düstere Energie aus und verstärkt das mit einem schwer groovenden 7/8-Takt, synkopierten Riffs und dissonante Voicings. Und Portnoy treibt hier schon nicht bloß an, sondern kommentiert das Geschehen, spielt mit Akzenten, Ghost Notes, metrischen Überlagerungen. Es ist ein Höllentrip durch grüne Nachtlandschaften und wolkige, unbestimmte Tunnel eines Albtraums. 

„Strange Déjà Vu“, „Through My Words“, „Fatal Tragedy“

„Strange Déjà Vu“, „Through My Words“, „Fatal Tragedy“ (aus Metropolis Pt. 2): Diese Stücke gehören zu einer Konzeptgeschichte über Reinkarnation, Mord und Identitätskrise. Sie erzählen von einem Protagonisten, der von Visionen heimgesucht wird und nach Wahrheit sucht – eine getriebene, suchende Seele. „Strange Déjà Vu“ entfaltet im Wechsel zwischen träumerischem E-Piano und harschen Gitarrenriffs eine Art psychologischem Thriller, begleitet von Bildern einer Feuerbrunst und alten Schwarz-Weiß-Fotografien.

Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Bei „Through My Words“, zart im 3/4-Takt, muss sich LaBrie tatsächlich ein paar Tränen wegwischen, klopft sich dann aufs Herz, und die Fans klatschen gerührt. Bei „Fatal Tragedy“ zieht die Band einen nahezu barocken Kontrapunkt aus Keyboards und Gitarre auf. Die rhythmischen Verschiebungen von Portnoy – etwa 6 über 4 oder punktierte Halbe gegen Viertel – bauen Spannung auf wie ein Hitchcock-Finale.

Aggression und Erhabenheit: „Panic Attack“ bis „Hollow Years“

„Panic Attack“ beginnt mit einem Basslauf von John Myung, ursprünglich in C#-Moll, der in stoischer Präzision vorantreibt, während Portnoy mit Doublebass und Splash-Cymbals das rhythmische Chaos zähmt – oder befeuert. Ein Blitzgewitter zu Bildern von verlassenen, beängstigenden Räumen bis wir in einem Raum sind, in dem der Protagonist sich gegen die Zwangsjacke wehrt. „Panic Attack“ explodiert geradezu in einem komplexen Wechselspiel aus C#-Moll-Riffs und Sechzehntel-Bassläufen von John Myung. Portnoys Spiel ist hier aggressiv und detailverliebt: schnelle Doublebass-Passagen treffen auf verzögerte Beckenschläge und synkopierte Wirbel. 

Danach die große Zäsur: „Barstool Warrior“, in Dur-Moll-Schattierung komponiert, öffnet sich in ein melodisch ausgeschmücktes Gitarrensolo mit singendem Ton und wohl über ein Volume-Pedal gespielt. Petrucci phrasiert hier auf seiner Gitarre wie ein klassischer Cellist, schwebt über Harmonien zwischen D-Dur und B-Moll. 

Jordon „The Wizzard“ Rudess

Und dann ist Jordon „The Wizzard“ Rudess alleine auf der Bühne, spielt auf einem seiner diversen elektronischen Keyboard-Spielzeuge. Was für ein Soundzauberer! John Petrucci beginnt langsam, hat einen klaren Sound mit sattem Hall, Fingerpicking-Technik, die Keyboards wechseln zu tiefen Tönen, so tief, dass es fast dröhnt, als Petrucci mit seiner Gitarre in den blassblauen Himmel davonsegelt. Gut fünf Minuten dauert das Zwischenspiel, als dann „Hollow Years“ beginnt. LaBrie singt reduziert, innig, beinahe zerbrechlich, und verleiht der Ballade eine besondere Wahrhaftigkeit.

Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

„Take the Time“ schließt das erste Set als stilistisches Feuerwerk: funkige Strophen, jazzige Akkorde, Salven von Gitarren, ein Wechselbad der Tonarten (u. a. E-Dur, G-Dur, C-Dur), ungerade Takte – ein Kaleidoskop, das trotz aller Vielfalt nie ausfranst. Nach 70 Minuten ist dann erstmal eine Pause angesagt.

„As I Am“

Nach der Pause steigt die Band mit einem schweren „As I Am“ ein. Meine Güte, wie kann man nur in diesem rasanten Tempo so saubere Töne aus der Gitarre rausholen? Der Laserstrahl wirkt da wie eine zusätzliche Unterstützung. Der Track wirkt eh wie ein Statement: kompromisslos, tight, kraftvoll, fett. Portnoy spielt hier hart und kantig, nicht als Rückkehrer, sondern als Dirigent. Indes: Die Toms kommen mir etwas sehr hoch eingestellt vor.

Kriegsbilder in Schwarz-Weiß, der Nebel kriecht auf die Bühne, die Laser brechen sich da durch: „The Enemy Inside“ hält das Energielevel, während das neue Stück „Midnight Messiah“ eine andere Farbe ins Spiel bringt – orientalisch gefärbte Skalen, verschobene Betonungen und dissonanter Harmonik lebt, die Keyboards klingen wie ein Klosterchor – ein düsteres Ritualstück.

„Wish You Were Here“

Farbwirbel und bunte Strahlen begleiten „The Dark Eternal Night“: Breaks und witzige Klaviereinlagen zu Comicstrips und einem Instrumentalteil wie beim Schnelldurchlauf – bevor das hypnotische Riff von „Peruvian Skies“ einsetzt. Die Band dehnt den Song zu einer mehrteiligen Suite, lässt ihn langsam anschwellen, Jordan spielt Sounds, die von Pink Floyd sein könnten und spielt dann tatsächlich „Wish You Were Here“ an, während auf der Leinwand seltsame Strukturen wie aus entfernten Paralleluniversen ein tolles Farbenspiel liefern. „Da kommen mir doch tatsächlich die Tränen“, sagt ein Typ neben mir. Die Nummer mündet am Ende in ein metallisches Finale mit donnerndem Crescendo.

Finale mit Tränen und Triumph

Der Höhepunkt folgt mit „The Count of Tuscany“. Eine 20-minütige Reise in fünf Akten – von mystischer Erzählszene über jazzige Zwischenspiele bis hin zu hymnischer Auflösung. Der Song moduliert von E-Moll zu G-Dur, über lydische Harmonien in ein erlösendes Finale, bei dem das Publikum andächtig lauscht. In dieser progressiven Suite stimmt einfach alles, die mystisch flirrenden Gitarren, die Zwischenspiele in lydischer Harmonik bis zum majestätischen Finale, bei dem die Band wie unter einem von Meteoritenschauer überdecktem Himmel stehen.  Hier zeigt sich, wie durchkomponiert Dream Theater mittlerweile agieren. Portnoys Spiel reicht von federleichten HiHat-Akzenten bis hin zu cineastischen Steigerungen – ein Masterplan in Schlagzeugform.

Mit „The Spirit Carries On“ ist es, als würde sich der Kreis schließen. Portnoy spielt hier zurückgenommen, fast meditativ. LaBrie singt diese Gospel-eske Ballade mit brüchiger Klarheit, während Rudess’ Piano den Raum öffnet. Das Finale begleiten Stacheldraht in Nahaufnahmen: „Pull Me Under“, der Klassiker, das Vermächtnis – aggressiv wie 1992, aber mit der Weisheit von heute. Ein Traum!

Unsere Meet & Greet-Gewinner Harald und Bodo mit Dream Theater im Backstage-Bereich
Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Dream Theater auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Setlist Dream Theater, 10. Juli 2025, KunstRasen Bonn

Set 1:

Night Terror
Strange Deja Vu 
Through My Words 
Fatal Tragedy
Panic Attack
Barstool Warrior
Hollow Years
Take The Time

(Intermission)

Set 2:

As I Am
The Enemy Inside
Midnight Messiah
The Dark Eternal Night
Peruvian Skies 
The Count Of Tuscany
The Spirit Carries On 
Pull Me Under