Dream Theater in Köln: Emotionale Prog-Metal-Gewitter und ein Wiedersehen mit Mike Portnoy

James LaBrie und James Petrucci von Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Von Dylan Akalin

Sie machen’s spannend. Erst ist die Bühne im Kölner Palladium von einem Vorhang verdeckt, das das Cover des neuen Albums „Parasomnia“ zeigt, in das Motive aus allen früheren Alben wie in einem Suchbild versteckt sind. Als der Vorhang endlich fällt, bleibt die Bühne dunkel, die Musiker erscheinen nur als Schatten, während sich weiße Laserstrahlen durchs Dunkel fräsen, sich auffächern und irrlichtern. Am Ende beschenkt die New Yorker Progressive Metal Band Dream Theater ihre Fans zum 40. Geburtstag mit einer fast dreistündigen reinen Spielzeit voller fantastischer Highlights – und jeder Menge Gänsehautmomenten. Ich freue mich jedenfalls schon auf die nächste Dream Theater Show: in Bonn auf dem KunstRasen am 10. Juli 2025.

Nach dem Tourneestart vor vier Tagen in London ist es erst der dritte Auftritt seit der Rückkehr von Mike Portnoy hinter dem Schlagzeug. Und der Mann hinter dem monumentalen Schalwerk mit drei Bassdrums und jeder Menge Trommeln, Becken und Schellen wird von den Fans frenetisch gefeiert. Die Familie ist zur 40th Anniversary Tour endlich wieder beisammen.

Wieder bei Dream Theater: Mike Portnoy in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Die Setlist ist sorgfältig ausgewählt und spiegelt die Essenz der 40-jährigen Bandgeschichte wider. Die Songauswahl führt uns auf eine musikalische Zeitreise, die sowohl Klassiker als auch neue Werke umfasste.

Metropolis

Der Abend beginnt mit „Metropolis Pt. 1: The Miracle and the Sleeper“, einem Klassiker aus dem legendären Album „Images and Words“ von 1992. Schon bei den ersten Noten spürte das Publikum die Magie, die dieser besondere Abend versprechen sollte. Ich habe jedenfalls Gänsehaut am ganzen Körper. Im Hintergrund auf dem Schlagzeugpodest laufen den ganzen Abend Videosequenzen, Bilder und Farbspiele. Jetzt begeben wir uns in fantastische Luftschiffe, während John Petrucci zu seinem ersten Gitarrensolo des Abends ansetzt. Ein Lehrstück, wie man mit der weiten Welt der Harmonien spielt und was es heißt, Timing und komplexe Taktstrukturen zu einem präzisen, äußerst zuverlässigen Zusammenspiel zu bringen.

Die nächsten Stücke sind zwar vom Album „Scenes from a Memory“, hängen aber inhaltlich zusammen, sodass sie miteinander verwoben sind: Die Bilder von Uhren, Kalenderblättern, Lavamassen, verwinkelten Treppen folgen den unlogischen Drehbüchern von Traumsequenzen.

John Petrucci: Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Ein zentrales Element des Konzerts ist der Rückblick auf die frühen Werke der Band. Songs wie „Pull Me Under“ und „Metropolis Pt. 1“ bringen die glorreichen Zeiten des Prog-Metal zurück und erinnern daran, warum Dream Theater als Pioniere dieses Genres gelten. „Metropolis Pt. 1“ zieht das Publikum mit seinen komplexen Rhythmen und melodischen Verläufen sofort in den Bann. Petruccis Gitarrensoli sind dabei nicht nur technisch meisterhaft, sondern berührten auch emotional. Es ist Einbetten von hochkomplexen Strukturen und der sagenhaften Virtuosität aller Bandmitglieder in emotionale Melodieführungen und Harmonien, was Dream Theater schon immer ausgemacht hat.

Echte Erinnerungen oder nur Träume?

Keine Ahnung, warum ich so ergriffen und geradezu glücklich bin. Sind es die Erinnerungen, die man mit einer Band teilt, die ich zumindest 1993 zum ersten Mal live erlebte? Vielleicht ist man ja dem Protagonisten aus „Metropolis“ Nicholas ja näher, als man denkt. Er erlebt Visionen eines früheren Lebens. Er beschreibt ein Gefühl des „Déjà-vu“, während er sich in einen Traum begibt, der ihm Hinweise auf seine vergangene Existenz gibt. Diese Visionen werden immer realer, und er wird von einer inneren Unruhe und Neugier getrieben, mehr über die Bedeutung dieser Erinnerungen zu erfahren. Die zentrale Frage ist, ob diese Visionen echte Erinnerungen oder nur Träume sind…

Jordan Rudess: Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

„Act I: Scene Two: I. Overture 1928“ verbindet verschiedene musikalische Themen, die später im Album wiederkehren. „Act I: Scene Two: II. Strange Déjà Vu“ wechselt zwischen sanften, atmosphärischen Passagen und kraftvollen, rhythmischen Abschnitten. Die wuchtigen Gitarrenriffs von John Petrucci und das präzise Zusammenspiel mit Jordan Rudess’ Keyboards machten den Auftakt zu einer wahren Offenbarung.

Alte Klassiker und emotionale Rückblicke

Was für ein Sound im Palladium! Während die Instrumente durchweg in der ganzen Halle glasklar rüberkommen, verschwimmt der Gesang in den vorderen Reihen, wo ich mich bis nach der Pause aufhalte. Weiter hinten ist er fantastisch. „The Mirror“ startet mit einem dumpfen, tiefen Sound, als käme er aus den tiefsten Schluchten der Erde, bis die Gitarre dieses Klangmassiv wie mit einem Skalpell durchschneidet. „Panic Attack“ aus ihrem 2005er „Album Octavarium“ ist tatsächlich ein einziger musikalischer Angriff. Als der hektische Bassriff von John Myung beginnt, wissen die Fans, was kommt. Das Riff wird dann von verzerrten Gitarren und Keyboards unterstützt. Die rhythmische Struktur ist geprägt von schnellen, ungeraden Taktarten (meist 5/8 und 7/8), was die chaotische, aufgewühlte Stimmung unterstreicht. Einfach nur irre, wie die Band das performt.

„Barstool Warrior“

Mir hat schon immer dieser harmonische Gitarrenriff mit den hymnischen und rhythmischen Arpeggio im Intro von „Barstool Warrior“ gefallen. Der Gesang von James LaBrie tritt ein und bleibt zunächst relativ zurückhaltend und emotional, um die introspektive Natur der Geschichte zu reflektieren. Die instrumentale Begleitung bleibt melodisch und unterstützt die Geschichte durch sanfte, aber komplexe Harmonien. James LaBrie, heute Abend nicht nur stimmlich auf hohem Niveau, sondern auch ausgesprochen gut gelaunt, weist zurecht auf den schönen Inhalt des Songs hin. Der „Barstool Warrior“, der Titelcharakter, ist eine metaphorische Figur, die für jemanden steht, der in seiner Routine und seinen schlechten Gewohnheiten gefangen ist. Er verbringt seine Zeit in einer Bar und träumt davon, aus seinem trostlosen Leben auszubrechen. Er sieht, wie die Zeit vergeht, während er die Einsamkeit mit Alkohol betäubt, unfähig, die nötigen Schritte zu gehen, um seine Situation zu ändern.

John Myung: Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Parallel dazu gibt es eine zweite Figur, eine Frau, die in einer unglücklichen Beziehung gefangen ist. Sie träumt ebenfalls davon, zu entkommen und ein besseres Leben zu führen, aber auch sie kämpft mit der Angst vor Veränderung und der Unsicherheit, die ein Neuanfang mit sich bringt.

Die zentrale Botschaft des Songs ist die Sehnsucht nach einem besseren, erfüllteren Leben, und gleichzeitig die Schwierigkeit, sich von seinen eigenen Ketten zu befreien. Beide Charaktere träumen davon, aus ihren tristen Umständen auszubrechen, doch ihre Ängste und Zweifel halten sie fest.

Prog-Metal-Feuerwerks

Die folgende Ballade „Hollow Years“ mit Bildern aus den Tiefen des Ozeans und Strandszenen ist wunderschön, besonders das Pianosolo von Jordan Rudess. Sehr Metal-mäßig reißt die Gitarre die Ruhe im Saal nieder, als „Constant Motion“ startet, sogar der Gesangspart erinnert etwas an Metallica, dazu laufen psychedelische Farbenspiele über die Sctreens. „As I Am“ beendet das erste Set, für eine kurze Pause.

Inmitten dieses Prog-Metal-Feuerwerks sticht für mich „The Spirit Carries On“ in der Zugabe besonders hervor. Der Song, der schon immer ein bedeutender Bestandteil der Live-Performance von Dream Theater war, gewinnt durch die Rückkehr von Portnoy eine noch tiefere Bedeutung. Hierbei ging es nicht nur um die Musik, sondern auch um die Botschaft der Vergänglichkeit und der Hoffnung. Petruccis gefühlvolles Solo und James LaBries intensiver Gesang schaffen eine fast intensive Atmosphäre.

Der neue Portnoy – musikalische Reife und Leichtigkeit

Ich bin mir nicht sicher, ob Portnoys Rückkehr nur ein nostalgisches Ereignis ist. Ich habe an diesem Abend den Eindruck, dass er sich mehr zurücknimmt, als es früher der Fall war. Während er früher oft als treibende Kraft und dominanter Charakter hinter der Bühne galt, zeigt er sich in Köln gelassener und reifer. In Interviews hatte Portnoy bereits erwähnt, dass er sich in das neue Bandgefüge einfügen möchte, das sich in den letzten 14 Jahren ohne ihn entwickelt hat.

Dies spiegelte sich in seiner Performance wider – präzise, technisch perfekt, aber ohne das Gefühl, sich in den Vordergrund drängen zu müssen. Seine Drums bildeten das Rückgrat der komplexen Arrangements und zeigten, dass er die Balance zwischen alter Intensität und neuer Leichtigkeit gefunden hat.

Mike Mangini und Mike Portnoy

Ich habe Mike Mangini sehr gemocht. Keine Frage. Beide sind beide herausragende Schlagzeuger. Ihre Spielweisen und Stile sind jedoch in einigen wichtigen Aspekten unterschiedlich, was die Dynamik und den Sound der Band beeinflusst hat, während sie jeweils hinter dem Schlagzeug saßen.

Mike Mangini ist bekannt für seine außergewöhnliche Präzision und technische Perfektion. Mangini ist ein Meister der Polyrhythmen, komplexen Taktarten und schnellen, präzisen Schläge. Vielleicht ist seine Spielweise oft klinisch, fast maschinell genau, denn er bringt eine starke Betonung auf Klarheit und Sauberkeit in jedem Schlag. Man muss sich nur mal einen Song wie „The Alien“ (von A View from the Top of the World) anhören, um seine extremen Fähigkeit zu erkennen.

Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Mike Portnoy hat dagegen einen sehr organischen, dynamischen Stil. Er verbindet seine technische Fähigkeit mit einem gewissen „Feeling“, das seine Spielweise lebendig und emotional wirken lässt. Portnoys Stil ist komplex und variabel, aber es gibt oft einen rohen, fast improvisatorischen Charakter, der seinem Spiel Tiefe verleiht. Er bringt oft eine explosive Energie in die Musik ein, was die Musik von Dream Theater in ihren frühen Jahren stark geprägt hat.

Neben den Klassikern waren auch neuere Songs Teil der Setlist. „A View from the Top of the World“, der Titeltrack ihres 2021 erschienenen Albums, war ein epischer Moment des Abends. Der über 20 Minuten lange Song zeigte die Fähigkeit der Band, komplexe musikalische Strukturen zu einem organischen Ganzen zu verweben. Der Track wechselte mühelos zwischen ruhigen, sphärischen Passagen und kraftvollen, progressiven Höhepunkten. Jordan Rudess’ Keyboards und John Myungs Bassspiel harmonierten perfekt mit den präzisen Gitarren von Petrucci und Portnoys energiegeladenen Drums.

Ausblick auf das kommende Album „Parasomnia“

Die Spannung des Abends wurde durch den Ausblick auf das kommende Album „Parasomnia“, das im Februar 2025 erscheinen wird, noch verstärkt. Es wird das erste Studioalbum seit „Black Clouds & Silver Linings“ (2009) sein, auf dem Portnoy wieder hinter den Drums sitzt. „Night Terror“, die erste Single des Albums, wurde an diesem Abend live vorgestellt und demonstrierte einmal mehr die kreative Energie der Band. Der Song, der sich thematisch mit Albträumen und schlafbezogenen Störungen auseinandersetzt, ist ein musikalischer Ritt durch intensive, düstere Klangwelten. Mit dieser Premiere schloss die Band die Brücke zwischen ihrer glorreichen Vergangenheit und einer vielversprechenden Zukunft

Das Konzert im Palladium ist mehr als nur ein Rückblick auf 40 Jahre Dream Theater. Es ist  ein Statement einer Band, die zeigt, dass sie immer noch die Fackel des Progressive Metal hochhalten und auch nach 40 Jahren ihrer Bandgründung noch das Maß aller Dinge in diesem Genre sind.

James LaBrie und Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
James LaBrie und Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
James LaBrie und Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
James LaBrie und Dream Theater in Köln 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski