Ein Abend der Soundtracks: Bettye LaVette und Girls in Airports beim Jazzfest

Bettye LaVette (c) Jazzfest Bonn, Lutz Voigtländer

Wenn das Publikum trotz äußerst unbefriedigender Klangbedingungen einer Künstlerin stehend Applaus zollt, dann muss etwas ganz Besonderes geschehen sein. So wie am Sonntagabend beim siebten Doppelkonzert des Jazzfest Bonn. Betty LaVette, gekrönte Soul-Queen aus Detroit und selbstbewusste R’n’B-Sängerin, schaffte etwas, was nicht viele können: Allein mit ihrer Präsenz, der Kraft und dem Ausdruck ihrer Stimme die Leute in ihren Bann ziehen.

Von Cem Akalin

Bettye LaVette (c) Jazzfest Bonn, Walter Schnabel
Bettye LaVette (c) Jazzfest Bonn, Walter Schnabel

Auf dem Balkon der Aula in der Universität Bonn war der Sound weitgehend akzeptabel. Doch unten im Saal gab es nicht nur Beschwerden, so manche verließen gar den Saal. Dabei hatte die Kopenhagener Band Girls In Airports zuvor sogar einen umwerfenden Klang vorgelegt. Kein Wunder: Sie hatten einen eigenen Soundtechniker und auch ausgiebig Soundcheck gemacht. LaVette offensichtlich nicht. Sehr schade. Hinzu kam, dass es der Lady nicht gut ging. Und angesichts des steif sitzenden Publikums, dass sie zuvor schon hinter der Bühne beobachtet hatte, war der gerade 70 gewordenen Soul-Diva auch nicht wohl, wie sie hinterher in der Garderobe zugab. „Die sitzen ja mit verschränkten Armen“, habe sie gedacht. (siehe auch Porträt)

Dennoch: Ihre Eröffnung mit dem Dylan-Song „Unbelievable“ zeigte LaVette mit ihrer rauen, kräftigen und doch brüchigen Stimme, über welche kräftige Beschaffenheit ihr Instrument verfügt, aber auch was für ein eigenständiges kreatives Potenzial in ihr steckt.

Die zierliche Frau, die im schwarzen Bodysuit und hochhackigen Schuhen über die Bühne tänzelte und sich wand wie eine Schlangenbeschwörerin, sollte man nicht unterschätzen. Wenn sie Savoy Browns „When I Was A Young Girl“ singt mit all dem Spot und gleichzeitigem Schmerz einer Frau, die schon viel erlebt hat, bitter lacht über die Geheimnisse, die man hinter dem Gesicht vermuten könnte, geht es einem in Mark und Bein. George Harrisons Song “Isn’t it a pity” gerät zu einem trostlosen Zwiegespräch zwischen ihr und ihrem Gott:

“Isn’t it a pity, isn’t it a shame
How we break each other’s hearts, and cause each other pain
How we take each other’s love without thinking any more
Forgetting to give back, now isn’t it a pity.”

“Nights in White Satin”, ein Song der Moody Blues, den Justin Hayward als 19-Jähriger schrieb, handelt von einem emotionalen Zwischenreich, der Trauer und Enttäuschung einer vergangenen Liebe, Erinnerungen an weiße Satinwäsche, und der Aufregung einer neuen, ungewissen Liebe. Diese Hin- und Hergerissenheit der Gefühle, die Verzweiflung, der innere Ausbruch, der Wunsch, den Menschen, der einen enttäuschte, zu verfluchen, das alles kann wohl kaum jemand so gut verkörpern, wie Bettye LaVette. Egal, ob sie Geschichten über „Souveniers“ erzählt und eine weihnachtliche Landschaft zeichnet, oder den Stones-Song „Complicated“ zu ihrer eigenen Lebensgeschichte macht, die Geschichte einer Frau, die so harmlos wirkt, aber von allen unterschätzt wird, dann glaubt man dieser Frau einfach jedes Wort. Zum Schluss gab es nochmal Gänsehaut pur: der a capella vorgetragene Sinead O’Connor-Song „I Do Not Want What I Haven’t Got“. Es gab donnernden Applaus.

 

„Girls In Airports“ – nein, das ist nicht der Name einer Plastik-Pop-Band aus Tokio. Das Geheimnis um den Namen wollte Bandchef Martin Stender nicht verraten. Er erzählte aber einmal vom enttäuschten Gesicht eines Taxifahrers, der die Kopenhagener Band mal vom Flughafen abholte.

Girls in Airport (c) Jazzfest Bonn, Lutz Voigtländer
Girls in Airport (c) Jazzfest Bonn, Lutz Voigtländer

Der Stil der Truppe um den Tenorsaxophonisten ist ein Jazz mit  ungewöhnlichen und neuartigen Klängen sowie ein recht experimenteller Umgang mit Songstrukturen.  Man könnte diese sehr entspannte Form Psychedelic Jazz nennen, weil es in der Tat viele Berührungspunkte zur alten Rockbewegung gibt. Rückkopplungs-, Phasing- und Echoeffekte werden in der Regel nicht mit Effektgeräten erzeugt, sondern durch das ungewöhnliche Zusammenspiel der beiden Bläser, neben Stender Lars Greve am Tenor-, Baritonsaxophon und der Klarinette. Schleifen von Phrasen und Songfetzen gehören ebenso dazu, wie ein  kultiviertes Spiel von Genres. Klezmer wird unter freie Formen geschoben, an indonesische Gamelan erinnernde Rhythmusklänge über wilde Orgelorgien, marokkanische Klarinettenklänge über coole Keyboardteppichen.  Greve lässt sein Sax mal wie ein Didgeridoo, mal wie ein Schiffshorn klingen. Es scheppert, donnert und dröhnt, aber alles in einer so fein nuancierten Art und Weise, dass es eine wahre Klanglust ist. Mathias Holm ist ein Keyboarder mit der Vorliebe für schöne alte Sounds aus den 1970ern, der genau weiß, welche Knöpfe er bedienen muss. Großer Applaus für Kyle Crane! Dieser tolle Schlagzeuger war gerade erst drei Tage zuvor für Mads Forsby eingestiegen, der wegen eines Todesfalls in der Familie aussetzte. Insgesamt: „Girls in Airports“ – ganz, ganz großes Kino!

Girls in Airport (c) Jazzfest Bonn, Lutz Voigtländer
Girls in Airport (c) Jazzfest Bonn, Lutz Voigtländer