„Das ist so schön, dass er wieder so gesund ist.“ Mitten im Song „Do kanns zaubere“ flüstert mir das meine Frau zu. Typisch. Während unsereiner in Erinnerungen schwelgt und an die Jugendjahre denkt, an die Rheinterrassen, die Mensa Nassestraße, ans Kölner Stollwerck, an die Demo gegen die Nachrüstung am 10. Juni 1982 auf den Bonner Rheinwiesen, da denkt diese Frau tatsächlich an das eigentlich Naheliegendste: die Vergänglichkeit, den Zauber des Augenblicks.
Auf der Bühne singt Wolfgang Niedecken gerade die Zeilen „jede andre hätt jesaat: Et ess zo spät,/dä Typ ess fäädisch, nä, dä Typ/ dä krisste mer wirklich ni‘ mieh hin.“ Fünf Jahre ist es her, dass der Ober-BAP seinen Schlaganfall nicht nur überlebt hat, sondern wieder genesen ist. Und dann haut er am Freitagabend auf dem Bonner Kunst!Rasen solch ein Konzert raus. Dreieinhalb Stunden! Am Ende sind die grauen, lockigen Haare ganz verklebt vom Schweiß. Und glücklich sieht er aus, und es scheint, als wollte er gar nicht mehr aufhören zu singen. Und die Fans sind beglückt, singen jedes Lied mit, eine Stimmung wie bei einem Familienfest oder wenigstens wie bei einem Klassentreffen. Man schaut sich an, prostet sich zu und singt gemeinsam.
Den Start macht BAP mit „Frau, ich freu mich“ aus dem Erfolgsalbum „Für usszeschnigge!“ von 1982, gleich ein Song zum Hüpfen, Tanzen und Klatschen. Dann geht es noch weiter zurück: „Ne schöne Jross“, das die hymnische Melodienführung und die fetten Riffs des einstigen Komponistenduos Niedecken/ Klaus „Major“ Heuser trägt. Und ja, „Verdamp lang her“, “Kristallnaach“ und „Arsch Huh“ kommen auch noch. Die Tour trägt zu recht den Titel: „Lebenslänglich – Jubiläumstour 1976 – 2016“
Mittlerweile singt Niedecken „Nix wie bessher“. Und bei diesem Lied, da darf man an seine Kindheit denken. Bei uns, da war nicht die „Toreinfahrt vum Schuster“ unser Tor, sondern die Stangen für die Wäscheleinen in unserer Siedlung. Wolfgang Niedecken ist eben mit seinen Texten ein poetischer Meister, der Erinnerungen und Gefühle weckt, die längst verdeckt scheinen, und verknüpft sie mit Gegenwartsbezug. So wie bei „Fortsetzung folgt“, ein Lied über die Comic- und Filmhelden unserer Jugend und die Realitäten im Warteraum des Arbeitsamtes.
Aber Niedecken wäre ja nicht Niedecken, wenn er nicht auch politische Inhalte hätte. „Vision vun Europa“, ein geradezu wütender Walzer über die Entbehrungen der Flüchtlinge und ihre Träume von einem Europa, „vun Wohlstand un Glöck./Die Vision vun Würde, die Vision vun Respekt./Wo all Minsche glisch sinn, ess alles perfekt…“
Was für ein Abend! Wie gesagt, Niedecken will gar nicht mehr aufhören, und singt noch ein paar Songs für die „Spielverderber auf der anderen Rheinseite“, die „Lärmmotzkis“. Das Publikum jauchzt. Und dann kommt als erste Zugabe „dä Herrjott meint et joot met mir“. Meine Frau schaut mich an und nickt.
„Noh ‘nem Daach, dä sich ahnjeföhlt hätt wie en Woch
Un ‘ner Show met ‘ner Band, die immer noch rockt,
weed mir schrecklich bewusst: Ich benn privilegiert,
dä Herrjott meint et joot met mir.“
Als letzte zwei Zugaben gibt es den Bruce-Springsteen-inspirierten Song „Rita“ und die schöne Ballade „Et letzte Leed“. Der Kreis zum Beginn des Konzertes ist geschlossen. „Bess demnähx…“