Von Dylan C. Akalin
Was für ein wunderschöner Sommerabend auf dem KunstRasen Bonn! Wir haben nicht zu viel versprochen, als wir ankündigten, Keane würde uns einen magischen Musikabend schenken. 5300 Fans erlebten jedenfalls einen sichtlich entspannten und gut aufgelegten Tom Chaplin, und die Band schuf herrliche Soundlandschaften.
Wenn man über die Band Keane spricht, dann spricht man über Melancholie, über Zerrissenheit und über das Finden von Trost in der Vergänglichkeit. Es ist eine Band, die in ihrer Musik eine ganz eigene Welt erschaffen hat—eine Welt, in der das Banale zum Erhabenen wird und das Alltägliche eine fast überirdische Bedeutung erhält. Angeführt von dem charismatischen, bisweilen verletzlich wirkenden Frontmann Tom Chaplin, hat sich Keane über die Jahre hinweg von einer Indie-Rock-Band mit Hang zum Artrock zu einer Ikone des introspektiven Pops entwickelt. Ich erwische mich an diesem Abend gleich mehrmals dabei, dass ich den Eindruck habe, dass Keane sowas wie der kleine Bruder von Coldplay ist.
„Somewhere Only We Know“
Mit seiner markanten Stimme wandelt Chaplin die die vielschichtigen Emotionen der Texte in pure, rohe Energie um. Texte, die von Tim Rice-Oxley, dem kreativen Kopf hinter der Band, geschrieben wurden und die oft den Eindruck vermitteln, als seien sie tief aus dem Innersten seiner Seele geschöpft. Die Musik von Keane ist der Versuch, das Unaussprechliche in Klänge zu hüllen, das Flüchtige in Noten zu fassen.
Die Reise beginnt an diesem Abend mit „Somewhere Only We Know“, ein Lied, das die Essenz von Keane recht gut erfasst. Das Stück über Nostalgie, über die Suche nach einem sicheren Ort in einer unsicheren Welt wird getragen von einem einfachen, aber eindringlichen Klavier, während Chaplins Stimme zwischen zarter Brüchigkeit und intensiver Kraft schwankt.
„Somewhere Only We Know“,
In „Everybody’s Changing“ hat diese hymnische und doch so luftige Melancholie in sich. Und dieser hingebungsvolle Gesang transportiert das Gefühl, dass sich die Welt um einen herum ständig wandelt, während man selbst festzustecken scheint, sehr gut. Ist es das, was so viele mit der Musik verbinden? Trifft es einen Nerv in der gegenwärtigen Welt, in der sich Unsicherheiten breit machen, immer mehr Menschen, gerade auch junge, die Einsamkeit spüren? Der Refrain ist ein Hilferuf, aber auch ein Eingeständnis, dass man nicht mit dem Tempo der Welt mithalten kann.
Vor der schwarz-weißen Silhouette Londons mit der nicht übersehbaren Kuppel von Saint Pauls Cathedral hören wir dann „This Is The Last Time“, ein Song über unerfüllte Liebe und verpasste Gelegenheiten. Es ist eine bittersüße Hymne auf das, was hätte sein können. Auch hier sickert diese Keane-typische Melancholie durch jede Note
„Nothing in my Way“
„Nothing in my Way“ trägt für mich total diesen Coldplay-Sound. „Bend & Break“ ist ein kraftvoller Aufruf zum Durchhalten in schweren Zeiten – eine Hymne für die Gebrochenen, die sich weigern, aufzugeben. „We Might As Well Be Strangers“ ist eine kalte Reflexion über die Distanz, die sich zwischen Menschen auftun kann, die sich einst nahestanden.
Und dann gibt es da noch **“A Bad Dream“**, ein Stück, das mit seiner düsteren Atmosphäre und den eindringlichen Texten an die surrealen Albträume eines Franz Kafka erinnert. Es ist ein Lied über den Verlust der Kontrolle, über die Angst, die Realität nicht mehr begreifen zu können. Der Song zieht den Hörer in einen Strudel aus Unbehagen und Faszination—eine perfekte Mischung aus Dunkelheit und Schönheit.
„Crystal Ball“ und „Is It Any Wonder?“
Mit „Crystal Ball“ und „Is It Any Wonder?“ vom wunderschönen Album „Under the Iron Sea“ bewegt sich die Band in eine etwas aggressivere, leicht artrockige Richtung. Beide Stücke sind treibend, energetisch und tragen auch musikalisch eine Nachdenklichkeit in sich.
„Perfect Symmetry“ und „Spiralling“ zeigen eine experimentellere Seite der Band, die sich nicht davor scheut, neue musikalische Wege zu beschreiten. Während erstgenanntes Stück eine Hommage an die Ordnung und die Schönheit im Chaos ist, zeigt letzteres eine fast manische Energie, die den Hörer in ihren Bann zieht. Es ist Keane auf dem Höhepunkt ihrer kreativen Kräfte, eine Band, die sich immer wieder neu erfindet, ohne ihre Wurzeln zu vergessen. Übrigens habe ich diesmal die beiden Screens verpasst, um die Musiker auch von weiter hinten besser erleben zu können.
„Silenced by the Night“
„Silenced by the Night“ und „Neon River“ kehren dann zurück zu den klassischen Themen der Band: die Einsamkeit der Nacht, die Suche nach Bedeutung in einer chaotischen Welt. Die Lieder sind dunkel und doch hoffnungsvoll, auf jeden Fall Beispiele für den guten Brit-Pop.
Das Orgel-Intro bei „My Shadow“ geht einem ganz schön unter die Haut. Der Song ist ein leises, aber eindringliches Bekenntnis zur Akzeptanz dessen, was man nicht ändern kann. Die zarte Klaviermelodie, die den Song trägt, spiegelt das Wechselspiel von Trost und Trauer wider.
„This Is The Last Time“ und „Crystal Ball“
„This Is The Last Time“ und „Crystal Ball“ verbreiten wieder diese Coldplay-Atmosphäre. Bittersüße Hymnen, in denen es um Abschiede und der Wunsch nach Vorhersehbarkeit geht. Die Melodie ist ebenso eingängig wie melancholisch: „This is the last time that I will say these words,“ singt Chaplin, und gleichzeitig liegt in diesen Worten auch eine Befreiung—eine Möglichkeit, endlich loszulassen.
In „Crystal Ball“ tritt Keane in ein kraftvolles, fast schon fieberhaftes Licht. „Who is the man I see, where I’m supposed to be?“ fragt Chaplin, und es ist eine Frage, die zugleich verzweifelt und neugierig klingt. Der Song pulsiert vor Energie, und die treibende Melodie ist einfach hinreißend.
„Somewhere Only We Know“
Keanes „Somewhere Only We Know“ ist im Internet mehr als 690 Millionen mal angeklickt worden. Noch Fragen?
Schon die ersten Klaviertöne des Songs setzen den Ton: Es ist eine schlichte, aber einprägsame Melodie, die sofort einen Schleier aus Melancholie über den Hörer legt. Das Klavier wird zu sowas wie dem Herzschlag des Songs. Die Melodie hat diese leicht euphorische Schwermut von schönen Erinnerungen an vergangene, glückliche Zeiten.
Tom Chaplins Stimme tritt dann hinzu und entfaltet die Geschichte: „I walked across an empty land / I knew the pathway like the back of my hand“. Diese Zeilen sind von einer einfachen, fast kindlichen Direktheit, die die Hörer sofort an ihre eigenen Erinnerungen an vertraute Orte erinnert—an Orte, die vielleicht längst verschwunden sind oder sich verändert haben.
Der Refrain—„Oh simple thing, where have you gone? / I’m getting old and I need something to rely on“—hat eine flüsternde Intensität, es ist ein Ruf nach etwas Einfachem, ein Ausdruck von Hoffnung. Danach gibt es noch vier Zugaben, „We Might As Well Be Strangers“ singt Chaplin alleine am Klavier auf einer fast dunklen Bühne. Ein wunderschöner Abend.
Setlist Keane Bonn KunstRasen, 07.08.2024
Can’t Stop Now
Silenced by the Night
Bend & Break
Nothing in my Way
The Way I Feel
You are Young
Everybody’s Changing
A Bad Dream
Perfect Symmetry
Spiralling
Is it any Wonder?
My Shadow
This is the last time
Crystal Ball
Somewhere only we Know
We Might As Well Be Strangers
Neon River
Sovereign Light Café
Bedshaped