Von Cem Akalin

Sommer 1981, New York. Auch im Spätsommer war die Luft in Manhattan immer noch schwer vor Hitze. Die Wohnung, die ein Freund eines Freundes zur Verfügung gestellt hatte, befand sich im 20. Stock des La Premiere an der West 55th Street und Broadway mit Blick auf den Times Square von der Dachterrasse aus. Ein idealer Standort, um die Stadt zu erkunden.

Um die Ecke lag der Discotempel, das Studio 54, und Steve Rubell, einer der beiden Club-Chefs, war ein Freund des Apartment-Besitzers. Für einen 20-Jährigen konnte das Leben nicht besser sein. Doch ihn interessierten mehr die kleinen Clubs im Village oder das Mikell’s, ein Jazz-Schuppen an der Ecke 97th Street und Columbus Avenue. Art Blakey war hier mit seiner Jazz Messengers Big Band, zu der ein junger unbekannter Trompeter namens Wynton Marsalis gehörte, häufiger Gast.

Doch das Ereignis dieses Sommers war Miles DavisThe Man With The Horn. Sieben Jahre hatte Davis nichts mehr von sich hören lassen. Zuletzt war 1974 Dark Magus erschienen, dann zwei Live-Aufnahmen von Konzerten in Osaka. Jahrelang hatte Miles seine Trompete nicht mehr angerührt, hatte seine Wohnung an der 77th kaum verlassen, wenn, dann um einige Runden in seinem Ferrari zu drehen. Ansonsten drehte sich sein Leben nur um Sex, Drogen, Schmerztabletten und viel Alkohol.

Und dann brachte er in diesem Sommer dieses Album heraus. Der Opener ist „Fat Time“. Da kombiniert Miles seine Liebe für den Flamenco mit harten Funk-Rhythmen. Saxophonist Bill Evans und Gitarrist Mike Stern treiben sich zu Soli, als würden John Coltrane und Jimi Hendrix aufeinander treffen. „Back Seat Betty“ beginnt mit schweren, verzerrten Gitarren, was dann in einen geradezu zurückhaltenden Blues mündet. „Shout“ – dieser Disco-Funk, melodiös, mit sparsamen Bläsersätzen, voller Kraft und Energie – ist für mich die Hymne New Yorks jener Zeit. Das ganze Album ist von einer sentimentalen, süßen Rhythm ’n’ Blues-Grundstimmung geprägt, was sehr zu diesem fast unerträglichen New Yorker Sommer passt, aber gleichzeitig sehr Rock- und Pop-orientiert. Den Kritikern hat es damals nicht gefallen, doch die vielen magischen intimen Momente überzeugten die Käufer. Das Album schaffte es mit Leichtigkeit in die amerikanischen Charts.

Miles Davis: The Man With The Horn (1981) Miles1