Tatsächlich. Martin Luther King hat Rhythmus, seine Reden sind gesprochene Musik: Die Pianistin Anke Helfrich hat Kings berühmte „I Have A Dream“-Rede harmonisiert, hat Tempo, Sprachduktus und inhaltliche Botschaft in die Sprache des Jazz übersetzt. Das hat trotz der Dissonanzen, der verzerrten Unruhe und Kantigkeit eine musikalische Tiefe und expressive Dichte, die wohl kaum einen Zuschauer im Forum des Landesmuseums Bonn ungerührt gelassen haben dürfte. Ein ganz besonderes Kapitel dieses reichen zweiten Jazzfestabends.
Anke Helfrich eröffnet mit ihrem Trio den Abend mit der älteren Eigenkomposition „Upper Westside“, die noch stark unter dem Eindruck einer rhythmischen Virtuosität eines Thelonious Monk steht, und beschließt ihn mit dem blueslastigen „Song For Larry“ aus ihrem ersten Album. Dazwischen: fast ausschließlich neue eigene Stücke. Ungewöhnlich für eine Musikerin, die Monk als ihren „Hausheiligen“ bezeichnet, aber auch ein programmatischer Hinweis darauf, dass sich diese einzigartige Künstlerin längst von Vorbildern freigemacht hat.
Wer sich an frühere Konzerte Helfrichs erinnert, dem wird aufgefallen sein, dass ihr Anschlag noch kraftvoller, noch ausdrucksvoller geworden ist, als er eh schon war, und dass sie in ihren Balladen, wie in dem wunderbaren „Sehnsucht“, eine neue kammermusikalische Seite zeigt. Es wird auf jeden Fall Zeit für ein neues Album.
Das Paket machte aber diese ausgezeichnete Triobesetzung noch komplett: Dietmar Fuhr ist ein feinsinniger Präzisionsbassist, der jedem angeschlagenen Ton eine Hauptrolle zuweist. Solch einen klugen wie empfindsamen und zugleich präzisen Ansatz hört man selten am Tiefton. Und Sebastian Merk ist ein sensibler Schlagwerker, der sich in jede Grundstimmung einzufühlen weiß. Kaum zu glauben, dass dies der erste Auftritt dieses so harmonisch eingespielten Trios gewesen sein soll. Bitte mehr!
Man muss eigentlich nur die Besetzung des Norbert Gottschalk Quintetts aufzählen, um ins Schwärmen zu kommen: Pianist Hubert Nuss hat schon in der Vergangenheit mit eigenen Projekten für Ausrufezeichen auf dem Jazzfest gesorgt. Geniale Pianisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie die große Bühne bei der Begleitung anderen überlassen.
Paul Hellers Feuerwerke und sein unverwechselbar warmer und satter Tenorsaxofonsound sorgten immer wieder für begeisterten Applaus, German Klaiber ist der Fels in der rhythmischen Brandung, und Michael Küttner, der große Held der Bonner Jazzszene in den 70er und 80er Jahren, hatte mit seinem gewohnt athletischen und verspielten Schlagzeugstil ein Heimspiel.
Und Norbert Gottschalk? Gottschalk ist nicht einfach nur ein Sänger, er erzählt Geschichten, lässt Bilder, kleine Filmsequenzen von zarter Poesie entstehen. Dazu tragen nicht nur seine wunderschönen Texte, die er zu Instrumentalkompositionen schreibt, bei, sondern auch sein cremig-sanfter Gesang. Er ist kein Kurt Elling, kein Gregory Porter. Was sie indes gemein haben, ist diese Sensibilität für die leisen Töne. Gottschalk hat dazu einen Scat-Stil, der Gitarrenläufe, Flügelhörner, Posaunen und Trompeten aus seinem Vokal-Instrument entstehen lässt. Erstaunlich wie er die Stimmfarbe einer Norma Winston bei seiner Interpretation von Fred Herschs „Endless Stars“ trifft, wie er Kenny Wheelers leise und warme Flügelhornstimmung auf „Gentle Piece“ umsetzt. Den Jazzstandard „There Will Never Be Another You“ startet er mit einer zungenbrechenden Vokalise, um dann Freiraum für ein halsbrecherisches Duett zwischen Heller und Küttner zu schaffen und das Stück dann mit einem musikalischen Duell mit Heller zu beenden. Ein Abend voller Glücksmomente.
(Cem Akalin)