Graham Nash über die Botschaften der Woodstock-Generation

Zwischen Aufnahmen von Joni Mitchell und Bill Graham: Graham Nash in der Bonner Galerie von Peter Wierny. Foto: HORST MÜLLER

Crosby, Stills & Nash sind wohl eine der ersten sogenannten Supergroups. David Crosby kam von den Byrds, Graham Nash verließ die Hollies und Stephen Stills Buffalo Springfield, um 1968 die Band zu gründen, ein Jahr später traten sie mit Neil Young auf dem Woodstock Festival auf. Mit ihrem mehrstimmigen Gesang, den oft politischen Texten zählen sie zu den einflussreichsten Musikern der Hippiegeneration. Bis heute sind sie der Protestbewegung treu geblieben. Mit Graham Nash, 71, sprach Cem Akalin.

 

Das Debütalbum „Crosby, Stills & Nash“ und später „Déjà Vu“ gehörten zu den ersten Platten, die ich mir gekauft habe…

Graham Nash: Oh, ich beneide Sie um diese Erfahrung.

Bitte?

Nash: Ich wünschte, ich hätte niemals Crosby, Stills & Nash gehört.

Warum das?

Nash: Ich wünschte, ich hätte niemals auch nur eine Note gehört. Ich vermisse genau diese Erfahrung, das Album zum ersten Mal zu hören.

Die Alben entstanden in einer Zeit, wo die Hippiebewegung Love und Happiness propagierte, wo gegen Krieg und das Establishment protestiert wurde…

Nash: Und das geht ja immer noch weiter.

Wenn ich die alten Alben von Euch höre, dann denke ich an meine flickenübersäte Jeans, indische Hemden und Mädchen mit Blumen im Haar. Sie haben die Songs immer noch im Live-Programm. Woran denken Sie, wenn Sie die Lieder singen?

Nash: Ich denke, die Songs sind irgendwie zeitlos. Ich denke, ein guter Songwriter, kann bestimmte Ereignisse herausgreifen und sie für jeden nachvollziehbar machen. Ein Song wie „Teach Your Children well“ ist doch auch heute noch unglaublich relevant. Die Botschaft aus diesem Lied ist heute ebenso wichtig wie damals, als ich ihn geschrieben habe.

Das ist wirklich ein wunderbarer Song, der sich an die Eltern, aber auch an die Kinder richtet: „Lehrt eure Kindern das, woran ihr selber glaubt – schafft eine Welt, in der wir leben können“, heißt es da und „Helft ihnen mit eurem jugendlichen Optimismus bei ihrem Streben nach der Wahrheit, bevor sie sterben“. Was wollten Sie damit sagen?

Nash: Sie als Vater werden es verstehen: Es gibt eine Menge Dinge, die wir unseren Kindern beibringen können, aber es gibt auch vieles, was wir von ihnen lernen können.

Stimmt es, dass Sie von einem Foto inspiriert wurden, das ein Kind mit einer Spielzeughandgranate in der Hand zeigt?

Nash: Es waren zwei Fotos, die mich zu dem Song angeregt haben. Das eine war wirklich ein Bild von einer bekannten Fotografin…

..der New Yorkerin Diane Arbus, die für ihre beeindruckenden Porträts bekannt war.

Nash: Richtig. Und das zweite Bild war ein Porträt des deutschen Waffenindustriellen Alfred Krupp. Ich hatte den Song noch in England bei den Hollies begonnen zu schreiben. Als ich später diese beiden Bilder sah, da wusste ich, ich muss diesen Song zu Ende schreiben.

Ihre Proteste gegen Krieg und Gewalt gehen weiter. 2006 hat Neil Young das Quartett zusammengetrommelt, um nochmal gemeinsam mit einer Tour gegen George W. Bush und den Krieg anzutreten. Sie wirkten selbst wie alte Veteranen auf der Bühne. Wird man des Protestes und Widerstands nicht irgendwann einmal müde?

Nash: Das ist so wie wenn ich Sie fragte: Werden Sie müde, Vater zu sein? Wissen Sie, ich möchte diese Welt für meine Kinder zu einem besseren Ort machen. Das wollte ich immer. Die Botschaften der Woodstock-Generation gelten immer noch: Liebe ist besser als Hass! Frieden ist besser als Krieg! Achte deine Brüder und Schwestern! Behandele die Menschen so, wie du behandelt werden möchtest!

Aber die Zeiten haben sich wohl geändert. Ihr wurdet auf der Living-With-War-Tour teilweise ziemlich ausgebuht.

Nash: Aber nicht immer. Das waren vielleicht zehn Prozent unseres Publikums. Außerdem waren unsere Konzerte drei Stunden lang, und die Proteste begannen meistens erst bei dem Lied „Let’s Impeach The President“.

Ja, bei „Lasst uns gegen den Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren einleiten“ verließen viele die Konzertsäle.

Nash: Aber das waren nicht viele.

Wie haben Sie das empfunden?

Nash: Ich habe es unglaublich genossen.

Warum?

Nash: Weil das zeigte, dass unsere Lieder etwas bedeuten. Dass sie Aussagen haben. Du musst ihnen nicht zustimmen, aber wenn du ein Ticket für ein Crosby, Stills, Nash & Young-Konzert kaufst, dann hörst du besser zu, weil wir etwas zu sagen haben. Und wenn sich Leute über meine Songs aufregen, dann ist das für mich als Künstler eine große Genugtuung.

Alte Songs wie “Wooden ships” gegen den Vietnamkrieg waren aber viel subtiler als die Aussage „Let’s Impeach the President“.

Nash: Das stimmt. Aber es gibt eine Zeit, wo es besser ist subtil zu sein, und es gibt eine Zeit für Direktheit. Bei der Bush-Administration wollten wir den Leuten ohne Umschweife sagen, was wir wollten.

Neil Young schrieb in seiner Autobiografie, früher habe er mit solchen Protestsongs die Menschen zusammengebracht, jetzt habe er das Gefühl, dass er sie spalte. Denken Sie auch so?

Nash: Wissen Sie, was ich gerne täte? Ich würde gerne diese zehn Prozent der Leute, die in unseren Konzerten gebuht haben, fragen, was sie heute über Bush denken, wo die Medien nicht mehr solche Lobeshymnen über ihn singen wie damals.

Was denken Sie über Barack Obama?

Nash: Ich habe wirklich eine große Bewunderung für ihn, aber ich bin mit vielen Dingen, die er tut, nicht einverstanden. Er ist klug, er hat ein gutes Herz, aber er hat nicht alles in Griff.

Was dachten Sie, als er den Friedensnobelpreis bekam?

Nash: Das war ein Missgriff – so wie damals für Henry Kissinger.

Nach den Unruhen 1968 während der Democratic National Convention schrieben Sie “Chicago” und die berühmte Zeile “We can change the world”. Kling wie ein Lebensmotto.

Nash: Absolut. Und ich denke heute noch, dass wir die Welt verändern können.

Selbst mit 71 Jahren?

Nash: Selbstverständlich, und ich setze mich heute vielleicht noch mehr für soziale Dinge ein als jemals zuvor. Warten Sie mal ab, bis Sie unseren neuen Song gehört haben. Er heißt „Burning for the Buddha“ und er handelt von dem Konflikt zwischen China und dem tibetischen Volk. Also: Soziale Fragen interessieren mich heute immer noch total.

Ganz so Unrecht haben Sie wohl nicht: Sie hatten nach dem Fall der Berliner Mauer einen Auftritt dort und haben Ihr Lied „Chipping away“ gesungen. Darin geht es darum, dass wenn man stetig an Dingen kratzt, irgendwann auch Mauern zum Einstürzen bringt. Das muss unglaublich gewesen sein, dort ausgerechnet diesen Song aufzuführen.

Nash: Oh, ja. Ich habe darüber auch in meiner Autobiografie geschrieben, die im September auch in Deutschland erscheinen wird. Wir hatten damals gerade für ein Kinderhilfsprojekt im UN-Hauptquartier in New York gespielt, als wir hörten, dass die Menschen die Mauer einreißen wollten, und Steven Stills sagte, wir sollten nach Berlin reisen. Das taten wir.

Und dann?

Nash: Wir fuhren zu einem lokalen Radiosender, die „Chipping away“ spielten und riefen darüber die Leute auf, am nächsten Tag Punkt 15.40 Uhr an einen bestimmten Platz in der Nähe des Brandenburger Tors zu kommen. Der Sender spielte den Song und die Menschen hielten ihre Transistorradios hoch, während wir auf der kleinen Bühne sangen. Das war ein unglaublicher Moment.

Als ich einmal den Film “Woodstock” mit meinen Kindern angeschaut habe, habe ich gesagt: Schaut mal, diesen Typen verdankt Ihr, dass Ihr so frei aufwachsen könnt, wie Ihr es tut. Stimmt’s?

Nash: Ja, und vielen Dank für das Kompliment.

Welche Rolle muss die heutige Jugend denn übernehmen?

Nash: Erst mal muss man sich klar machen, dass die großen Medien in der Hand von Leuten sind, die man an zwei Händen abzählen kann. Und diese Leute haben kein Interesse an Protesten oder an Berichten über Proteste. Sie spielen keine Protestsongs auf ihren Radiostationen. Sie wollen die Menschen halten wie Schafe. Sie sollen sich noch ein extra Paar Tennisschuhe kaufen, noch mehr Softdrinks trinken. Sie wollen keine Studentenproteste, aber wir erfahren auch nichts über Bewegungen und Aktivitäten an der Sorbonne oder in Berkley. Wir sollen unsere Kinder davon überzeugen, dass es wichtiger ist, auf einen BMW hinzuarbeiten, ein neues iPad zu haben als für bessere soziale Zustände zu protestieren. In den USA wurde gerade bekannt, dass Verizon, ein großer Handyanbieter, die Daten aller seiner Kunden an die NSA weitergab. 9/11 hat der Regierung einen sagenhaften Spielraum gegeben, um alles mit Sicherheitsbedenken zu begründen.

Wir haben genug über Proteste gesprochen. Sprechen wir über Liebe.

Nash: Mit dem allergrößten Vergnügen.

Ihre Beziehung zu Joni Mitchell gehört zu den romantischsten Beziehungen der Rockgeschichte. „Our House“ ist so ein wunderschönes Lied dazu. Wissen Sie was meine Tochter darüber sagt?

Nash: Was?

Sie sagt, es klinge, als sei der Sänger angekommen…

Nash: Wie interessant.

…als sei er dort, wo er sein wolle.

Nash: Genau so ist es.

Wie kam es zu dem Song?

Nash: Kennen Sie Los Angeles?

Ja, der Song entstand in Laurel Canyon, stimmt’s?

Nash: Ja. Joni und ich waren zum Frühstücken in einem Lokal. Als wir zu ihrem Wagen zurückgingen, kamen wir an einem Antiquitätenladen vorbei, in dem sie diese wunderschöne Vase kaufte. Als wir zu Hause waren, sagte ich zu ihr: Warum stellst du nicht ein paar Blumen in die Vase während ich den Kamin anmache? Denn es war einer dieser nebligen, kühlen Morgen. Und da dachte ich, solch ein unglaublich einfacher, aber hinreißender Moment, wie ihn Menschen wahrscheinlich schon tausendfach erlebt haben. Aber einmalig, Ich dachte eine Stunde darüber nach – und der Song war geschrieben.

Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass Sie ganz furchtbar in Joni verliebt waren. Und ich denke, jeder Junge konnte das verstehen. Was ging in Ihnen vor, als sie ging?

Nash: Ich war sehr niedergeschlagen. Mein Herz war gebrochen, und ich war sehr unglücklich. Aber man muss dem Leben ins Gesicht schauen. Der Mensch entwickelt gewisse Mechanismen, wie er mit unglücklichen Situationen umgeht. Ich meine, Menschen sind nach dem Krieg aufgestanden und haben sich gesagt: Morgen wird ein besserer Tag kommen.

Es gab Trennungssongs…

Nash: „Simple Man“, „I Used To Be A King”

Denken Sie noch an sie?

Nash: Natürlich.

Vermissen Sie sie?

Nash: In gewisser Weise…

Treffen Sie sie noch?

Nash: Ich bin seit 45 Jahren mit ihr befreundet. Wir sind immer noch Freunde, auch wenn wir kein Liebespaar mehr sind.

Viele Menschen wissen nicht, dass Sie auch ein außergewöhnlicher Fotograf sind, der viele Preise gewonnen hat. Eines meiner Lieblingsfotos ist eines von Joni Mitchell, und sie scheint völlig abwesend zu sein, ganz versunken in ihren Gedanken.

Nash: Ich weiß genau, welches Bild Sie meinen. Sie hörte sich gerade die erste Testpressung ihres Albums „Clouds“ an. Und sie ist da wirklich ganz in ihrer eigenen Welt, in der Joni-Welt.

Was ist Ihnen wichtig bei der Fotografie?

Nash: Sie müssen eine Existenzberechtigung haben, ebenso wie meine Songs oder Zeichnungen und Gemälde. Zeit ist doch die einzige wirkliche Währung, die wir haben. Und ich möchte keine Zeit verschwenden, weder Ihre noch meine. Und genau so sollen meine Bilder sein – wert, sich Zeit für sie zu nehmen.

Sie werden hier in Bonn eine Ausstellung eröffnen.

Nash: Und ich bin sehr aufgeregt, sie zu eröffnen.

Nochmal zu CSN: Wie muss man sich Eure Beziehung vorstellen. Wie die Drei Musketiere? Einer für alle, alle für einen?

Nash: Genau so ist es. Und wir sind übrigens besser als je zuvor.

Wie geht es den David Crosby? Ich hörte, es ginge ihm gesundheitlich nicht gut.

Nash: Nein, nein. Wissen Sie: Er wird alt. Wir alle werden alt. Und Mr. Crosby hat in der Vergangenheit nicht so gut auf seine Gesundheit geachtet.

Rock ‚n‘ Roll eben.

Nash: Nein, ich bin auch in Rock ‚n‘ Roll. Es war seine eigene Entscheidung, Drogen zu nehmen. Aber: Es geht ihm wirklich gut, und er singt unglaublich! Steven spielt Gitarre wie ein Wahnsinniger. Wir sind als Band einfach großartig. Sie werden das in Bonn erleben.

Sie sind jetzt alle an der 70er Grenze: Wird es nochmal ein neues Album geben?

Nash: Wir hatten bislang keine Zeit, um ins Studio zu gehen. Im vergangenen Jahr haben wir 87 Konzerte auf der ganzen Welt gegeben. Wir hatten gerade ein interessantes Projekt mit Wynton Marsalis.

Dem Jazz-Trompeter.

Nash: Er hat zwölf unserer Songs fürs Jazzorchester arrangiert und wir haben im Mai einige Konzerte gemeinsam im Lincoln Center in New York gegeben.

Wie sieht die Zukunft aus? Gibt es noch mal die Chance für ein Crosby, Stills, Nash & Young-Konzert?

Nash: Alles ist möglich.