Stick Men holen ihre Musik aus den tiefsten Schichten der Erde

In der Bonner Harmonie: Tony Levin am Chapman Stick. FOTO: Peter Szymanski

„Stick Men“, das Trio um Tony Levin überzeugte mit einem großartigen Konzert in der Bonner Harmonie.

Von Dylan Cem Akalin

Es bleibt nicht lang bei den sanften sphärischen Klängen. Ein ordentlicher Schlag auf die Snaredrum läutet das rhythmisch und harmonisch vertrackte Spiel des ungewöhnlichen Trios ein. Was Tony Levin, Markus Reuter und Pat Mastelotto mit ihrem Stück “Hiding The Trees” am Donnerstagabend in der Bonner Harmonie einläuten, ist ein musikalischer Trip in völlig neue Dimensionen, die befremdlichen Sounds, die „Stick Men“ mit ihrer einzigartigen Instrumentierung schaffen, scheinen aus rätselhaften, tiefen Schichten der Erde zu kriechen, die geradezu archaisch anmutenden Geschichten, die sie fast nahezu wortlos erzählen, stammen jedenfalls aus dunklen Kulturen unbekannter Herkunft. Mag sein, dass man da polyrhythmische Überbleibsel fernöstlicher Musik heraushört.

Aber dem Trio geht es um eine sehr vielschichtige, multidimensionale Klangkraft, die ihren Ursprung ebenso in Strawinsky und Steve Hackett haben dürfte, im Industrial Rock, vor allem das Stück „Smudge“, aber der Einfluss von King Crimson und seines Masterminds Robert Fripp, den werden die Drei ganz sicher nicht verleugnen können.

Tony Levin hat seine Künste am Chapman Stick schon Leuten und Bands wie Peter Gabriel, Lou Reed und Alice Cooper, Pink Floyd, Yes und Liquid Tension Experiment angediehen – und eben lange Jahre für King Crimson. Levin spielt einen zwölfsaitigen Stick. Im Prinzip ist es ein Saiteninstrument mit Bass- und hohen Melodiesaiten. Die Saiten werden aber wie eine Gitarre oder ein Bass gezupft, der Spieler schlägt vielmehr auf die Bünde, um die Saiten zum Schwingen zu bringen.

Markus Reuter spielt eine Touch Guitar. FOTO: Peter Szymanski
Markus Reuter spielt eine Touch Guitar. FOTO: Peter Szymanski

Ähnlich funktioniert Markus Reuters selbst entwickelte und designte Touch Guitar. Der Vorteil der beiden Instrumente: sie verfügen über eine volle Klangbreite – ähnlich einem Keyboard. Über elektronische Module sind ihren Sounds kaum Grenzen gesetzt. Mit Pat Mastelotto verfügt die Band nicht nur über einen langjährigen King Crimson-Taktgeber, sondern auch vielfältigen Schlagwerker, der gerne elektronische Sounds und Klangcollagen in sein kraftvolles Spiel integriert. Bässe, die den ganzen Körper zu verschlingen drohen, quietschendes, höhnisches Gelächter aus Plastik-Pandabären, glasklare Alltagsklänge wie aus Plastikflaschenpressen, fette Rockriffs, sanft schwingende Melodien, malmende Rhythmen wie aus einem Stahlwerk: Stick Men machen Musik für das neue Jahrtausend.

Pat Mastelotto: früher Mr. Mister, lange Jahre King Crismson, jetzt ein Stick Men. FOTO: Peter Szymanski
Pat Mastelotto: früher Mr. Mister, lange Jahre King Crismson, jetzt ein Stick Men. FOTO: Peter Szymanski

Nach dem King Crimson-Stück „Vroom Vroom“ startet das Trio eine Improvisation, die an das Spiel einer defekten Spieluhr erinnerte, ein klanglicher Albtraum, in dem ferne Stimmen undeutliche Botschaften flüsterten. Zu den sehr präzisen und recht präsenten Drums ließ Reuter melodiöse, fast violinenartige Melodiebögen erklingen. Die Improvisation floss über in „Horatio“: stampfende Rhythmen wie aus einer alten Dampfmaschine über kraftstrotzende Riffs und funky Schleifen. Selbst Mike Oldfields „Mirage“ klingt wie aus einer Industrieschmiede. Präzises, konzentriertes Spiel erforderte sicherlich „Concussion“ mit seinen irren Rhythmen und schwindelerregenden Läufen – Musik aus der tiefen Seele, in der alle Ängste vereint sind und nur darauf warten, Achterbahn zu fahren. Da war das nächste Stück „Slow Glide“ fast wie ein schauriger Übergang in eine Poltergeist-Stimmung.

Mit „Sartori in Tangier“ holte Levin das Publikum aber rasch wieder runter in seine fantastische Musikwelt, in der orientalische Harmonien ein Tänzchen mit industrieller Rockattitüde wagen. Bei ihren Improvisationen wie auch bei „Open Part III“ wagt sich das Trio gerne in unbekannte Terrains, lässt organisiertes Chaos zu, um langsam zueinanderzufinden, Strukturen herauszuschälen und sich auf einer Melodie zu vereinen. Das alles ist ein großartiges Erlebnis. Das Publikum dankte es nach gut zwei Stunden mit engagiertem Applaus.