
Hannah Reid und London Grammar begeistern beim Konzert auf dem Bonner KunstRasen mit einer eindringlichen Mischung aus klarem Gesang, zurückhaltender Instrumentierung und emotionaler Tiefe. Zwischen sphärischen Sounds und persönlichen Texten entsteht ein Abend voller stiller Intensität – getragen von einer Stimme, die unter die Haut geht.
Von Dylan C. Akalin
Es ist 21.23 Uhr, als Hannah Reid mit dem Song „Darling Are You Gonna Leave Me“ beginnt. Zart, klar, mit einem winzigen Kicksen in der Stimme, nur sparsam begleitet von Djembe-Rhythmen, gezupften Gitarrensaiten und einem unterschwellig brummenden Synthie-Sound. Der Song von London Grammar handelt von der Angst, verlassen zu werden, und der tiefen Unsicherheit in einer Beziehung.
„I am still holding onto your waistband… Summer is gone and now I’m bleeding“ singt die blonde Frau, die da auf der Bühne steht in weiten weißen Hosen und einem schwarzen Top. Da taucht die untergehende Sonne die Wolkengruppe über der Bühne in mildes Apricot. Es ist wie ein Trost in dem Herzschmerz, der emotionalen Verwundbarkeit, die die junge Frau vor gut 5000 Fans zum Ausdruck bringt.
Ein symbolischer Moment
Es ist vielleicht nicht der Höhepunkt des wunderschönen Konzertes auf dem KunstRasen Bonn, aber der Song wirkt wie ein symbolischer Moment für diesen Sommerabend. London Grammar setzen auf eine minimalistische, fast hypnotische Instrumentierung – kombiniert mit Hannah Reids eindringlicher Stimme. Diese Mischung schafft auf irgendwie irritierende Weise sowohl luftige wie melancholische, fesselnde Klanglandschaften, für die Keyboarder und Percussionist Dominic „Dot“ Major und Gitarrist Dan Rothman zuständig sind.

Was durchgehend beeindruckt ist der meist makellose Gesang, der scheinbar mühelose Wechsel von hoher Kopf- auf tiefe Bruststimme und diese verblüffende Zwischenebene, die sie beherrscht wie keine, die ich live gehört habe: Bei „Fakest Bitch“ etwa gibt es am Ende diese Passage, bei der ihre Stimme gleichzeitig aus Brust und vom für die hohen Töne zuständigen äußeren Kehlkopfmuskel zu kommen scheint. Einfach nur faszinierend!
Brillanter Sound, fast makellose Stimme
Zudem herrscht auf dem KunstRasen ein brillanter Sound, so manche Nummer, die ich nur von den Alben kenne, kommt hier noch eindringlicher rüber. „Nightcall“ etwa singt Reid nicht ganz so tief wie auf dem Studioalbum, aber viel eindringlicher, die Sounds um ihre Stimme schweben um sie herum wie die kleine Drohnenkamera, die uns immer wieder einzigartige Perspektiven von der Bühne auf die Leinwände liefert. Für mich vielleicht der ergreifendste Moment des Abends. Reids Stimme klingt überhaupt live kraftvoller und nuancierter als auf Platte, finde ich.

Die Setlist gefällt mir gut. Mit „Hey Now“ öffnet das Trio aus London das Konzert, das uns gleich entführt in eine Welt der Emotionen, in der Hoffnung und Momenthaftigkeit, Kunst und Freude herrschen. Diese Pflanzenstudien, die von der Natur inszenierte Blütenkunst, die ent- und verfremdeten Grashalme, Blumenstengel auf der Leinwand sind passen prächtig zu „Californian Soil“, in dem Reids Texte das Thema Selbstfindung und das Ablegen gesellschaftlicher Erwartungen auf poetische Weise verhandeln. „Kind of Man“ stelle die Frage „Wer bin ich?” im Spiegel fremder Normen, und das mit der Leichtigkeit eines Ausflugs in die Sommerfrische. Dagegen sucht sie mit kräftiger Kopfstimme bei „How Does It Feel“ nach emotionaler Resonanz – während hinter ihr auf dem Screen farbige Flächen mäandern.
Treibende Energie
Die treibende Energie von „House“ lässt sie tanzen, als schlendere sie vergnügt durch Primrose Hill. Bei „Hell To The Liars“ wird sie von artifiziellen Sounds unterstützt, „Watching My Young Years“ singt sie mit ziemlich tiefer Bruststimme und meistert selbst die schwierige Passage am Schluss meisterhaft. In diesem Song blickt Hannah Reid auf ihre Jugend zurück – allerdings nicht nostalgisch-verklärt, sondern mit einem Gefühl von Entfremdung und Schmerz. Dabei geht es auch um jenen Moment beim Erwachsenwerden, in dem man erkennt, dass das Leben härter ist als erwartet. Es gibt auch subtile Hinweise darauf, wie Frauen ihre Selbstbestimmung verlieren können – durch gesellschaftliche Erwartungen oder emotionale Manipulation.
Ein Grollen, wie ein nahendes Sommergewitter dröhnt bei „Big Picture“ über den Platz. Klar, es geht um Liebe, und ums Loslassen: „See the thing is I love you / And I can see the big picture“ – ein Versuch, über momentanen Schmerz hinauszusehen und das Ganze zu erfassen, auch wenn es wehtut.
Zwischen Euphorie und Unsicherheit
Spieluhrartig startet der eher poppige Song „Lord, It’s a Feeling“, den Reid besonders hingebungsvoll präsentiert. Der Mix aus Sounds, Rhythmen und Stimme ist bei diesem emotionalen Abgesang auf toxische Beziehungen und emotionale Manipulation einfach gelungen und trifft tief ins Herz: “You made me doubt myself, said I’m not enough / But your love was never real”
Ein langer Orgelsound kündigt „Baby It’s You“ an, ein kreischender harmonikaartiger Sound fächert sich auf, bevor Reid mit dem Gesang über eine intensive emotionale Bindung zwischen Euphorie und Unsicherheit beginnt, bisweilen denke ich bei den Sounds fast ein wenig an die frühen Pink Floyd.
Minimalistisch
Fast kühl und melancholisch, mit minimalistischem Beat wie von einer Marimba kommend und einer klagenden Stimme präsentiert sich der letzte Song „Metal & Dust“. Zur Zugabe gibt es den bekannten Song „Strong“ und „Lose Your Head“. Dann ist nach gut 80 Minuten das Konzert leider zu Ende.
Mighty Oaks
Zuvor haben mich als Vorgruppe Mighty Oaks sehr positiv überrascht und begeistert. Das Folk-Trio mit Wurzeln in Berlin entfaltete souverän seine warmen Harmonien. Akustische Gitarren, harmonische Stimmen und Texte, die von Sehnsucht, Naturverbundenheit und persönlichen Emotionen erzählten – etwa in Songs wie „All Things Go“ – schufen eine einladende Atmosphäre und bereiteten das Publikum behutsam auf den Hauptact vor.

Setlist London Grammar KunstRasen Bonn:
Hey Now
Californian Soil
Kind of Man
How Does It Feel
Nightcall (Kavinsky cover)
House
Hell to the Liars
Wasting My Young Years
Big Picture
Lord It’s a Feeling
Fakest Bitch
Darling Are You Gonna Leave Me
Baby It’s You
Metal & Dust
Encore:
Strong
Lose Your Head











