Noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk? Hier sind zehn hervorragende Jazz-Alben aus dem Jahr 2016, mit denen Sie nichts faslch machen können – egal ob auf Vinyl oder CD. Wir beginnen mit der wunderbaren Aufnahme der Superband Aziza, die der Bassist Dave Holland zusammengebracht hat.
Aziza and Dave Holland: AZIZA
Veröffentlichung: 25. November 2016
Label: Mis
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Die Aziza ist eine kleine Waldkreatur, die in der afrikanischen Heimat Benin von Gitarrist Lionel Loueke als Gott der Inspiration dient. So hat sich auch die Supergroup des legendären Jazz-Bassisten Dave Holland genannt. Mit Loueke, dem Saxophonisten Chris Potter und dem Schlagzeuger Eric Harland ist die Band grooviger als der Vorgänger Prism (mit dem Pianisten Craig Taborn und dem ehemaligen Tonight Show-Musikdirektor Kevin Eubanks an der Gitarre).
Holland und Potter haben seit gut 20 Jahren immer wieder zusammengearbeitet, Loueke war mit Potter und Harland Teil von Herbie Hancocks Joni-Letters-Band. Und es ist das Gefühl von Vertrautheit, die auf dem Album eine Schlüsselrolle spielt. Vieles klingt wie eine zeitgenössische Fortführung der Idee von Weather Report. Eine gewisse Kühle im Sound wird wie durch verkehrte physikalische Bedingungen vom fieberheißen Zusammenspiel zusammengehalten. Da verschmelzen westafrikanische Highlife-Rhythmen, intergalaktische Sounds von der Gitarre Louekes mit dem kinetischen Spiel von Bass und Drums zu einem selten so gehörten perfekten Sturm eines kleinen Gottes der Inspiration.
Vijay Iyer & Ishmael Wadada Leo Smith: A Cosmic Rhythm With Each Stroke
Veröffentlichung: 27. März 2016
Label: Ecm Records (Universal Music)
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Die Beziehung des Trompeters Ishmael Wadada Leo Smith zum Pianisten Vijay Iyer geht mehrere Jahre zurück – bis zu den Alben „Tabligh“ und „Spiritual Dimensions“. Und während Smith für große Ensembles komponiert, Soloalben aufgezeichnet und alles Mögliche in der Zwischenzeit getan hat, ist ein solches kräftiges und atmosphärisch dichtes Duospiel für beide Musiker eine einzigartige Erfahrung. Der Großteil des Albums besteht aus einer 52-minütigen Titel-Suite mit sieben Sätzen. Smith wechselt zwischen gedämpftem und offenem Hornspiel, wandert hin und her und lässt seine langen, schwankenden Noten leicht erklingen – obwohl er doch immer strenge Kontrolle über den Sound hat. Iyer fügt seinem Klavierspiel elektronisches Summen und Rumpeln hinzu. Das Stück “A Divine Courage” („Ein göttlicher Mut“) ist gekennzeichnet durch eine langsame Basslinie, und sie klingt fast so bedrohlich wie in einem John Carpenter-Film. Iyer klingt sehr viel dunkeler und melancholischer als sonst. Eine gewisse Nähe zum liturgischen Creative-Jazz eines Matthew Shipp lässt sich vermuten. Aber die Musik auf diesem Album ist derart zart, ja, fast zerbrechlich, auf unmissverständliche Art einfach schön.
Avishai Cohen: Into The Silence
Veröffentlichung: 29. Januar.2016
Label: ECM Records
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Der der in Tel Aviv geborene Trompeter Avishai Cohen legt sein beeindruckendes ECM-Debüt als Leader vor. „Into The Silence“ ist dem Gedenken an Avishais Vater David gewidmet und reflektiert die letzten Tage in dessen Leben. „Dream like a child“ thematisiert den Wunsch des Vaters, seine Kinder mögen in die Musik gehen. Cohens gedämpfte Trompete gibt der Musik die emotionale, sehr impressionistische Prägung.
Yonathan Avishai versetzt Cohens Kompositionen mit bluesigen Phrasierungen am Piano eine leuchtende Komponente. Wie feinfühlig Cohen und Schlagzeuger Nasheet Waits miteinander umgehen, erinnert an Miles Davis und Tony Williams. Als Bassist ist Eric Revis dabei, der seit langer Zeit ein wichtiger Baustein im Quartett von Branford Marsalis ist. Und Saxophonist Bill McHenry, der unter anderem auch mit der Jazzlegende Paul Motian gespielt hat, folgt dem Spiel Cohens auf sehr sensible Art. Der Grundtenor des Album ist melancholisch-expressiv. Cohens Vater wäre vom Album sehr angetan gewesen.
Veröffentlichung: 29. April 2016
Label: Decca
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Es ist das erste Studioalbum von Snarky Puppy in acht Jahren, und hinter der ziemlich ausgefuchsten Produktion liegt eine Menge Kunstfertigkeit, auch wenn wahre Jazzimprovisation fast gänzlich fehlt. Merkwürdigerweise vermisst man sie nicht. Es ist ein Album, das eine gehörige Lust an der Freiheit und der rhythmischen Angriffslust ausstrahlt. Auf „Tarova“ gleitet die Tastatur von Bobby Sparks jenseits von Gut und Böse dahin, immer angetrieben vom aufregenden Bass.
Auf dem ganzen Alben werden musikalische Referenzen mit vollendeter Geschicklichkeit verbunden: ein paar Bollywood-Beats hier, ein bisschen Motown-Funk dort, der Grown Folk bewegt sich hart in der Nähe von Highlife. Die gedämpfte Trompete von Mike ‚Maz‘ Maher verbindet sich mit den Bläsersätzen, da ist diese süßliche Leichtigkeit wie in einigen Stücker von Weather Report, die die schleppenden Steely-Dan-artigen Harmonien wieder kompensiert. Irgendwie ist das ganze Album ein Surfen auf der musikalische Welle, wobei man nicht immer genau weiß, wohin die rasante Fahrt unter den Wellen uns wieder rausspült. Sehr charmant!
Keith Jarrett: A Multitude Of Angels
Veröffentlichung: 04. November 2016
Label: ECM Records
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„A Multitude of Angels“ ist eine Box mit vier CDs, Aufnahmen verschiedener Solokonzerte, die Keith Jarrett im Oktober 1996 in Italien gab. Sie dokumentieren den Abschluss seiner Praxis eindrucksvoller Soloimprovisationen. „Das waren die letzten Konzerte, die ich gespielt habe, ohne Pausen in einem Set zu machen“, erläutert Jarrett im Begleittext. Und wie üblich spannt die Ästhetik seines Spiels einen weiten Bogen: „Jazz ist hier immer präsent, neben meiner tiefen Verbundenheit zur klassischen Musik, modern und alt, Ives und Bach.“
„Die Engel waren da“, schwört Keith Jarrett über die Solokonzerte in Italien. Vier Konzerte, nach denen Jarrett für drei Jahre krankheitsbedingt völlig verstummte. Und nur die Engel, so erklärt er im Covertext, hatten ihn dazu gebracht, auf die Bühne doch hinauszugehen, und diese nachhaltige und zärtliche Musik voller intimer Momente einzuspielen. Großartig!
Veröffentlichung: 14. Oktober 2016
Label: Warner Music International (Warner)
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„Jacob Karlzon ist ein Künstler mit dem untrüglichen Instinkt für das Machbare, und ‚Now‘ ist sein musikalisches Credo“, heißt es in der Pressmitteilung der Plattenfirma. Nun, der Schwede hat sich schon auf früheren Alben Anleihen bei der Pop- und Rockmusik geholt. Brad Mehldau und Karlzons leider schon verstorbener Landsmann Esbjörn Svensson machen beziehungsweise haben das auch gemacht und den Pop und Rock formvollendet in ihr Spiel integriert. Karlzon geht aber ganz eindeutig mehr in die E.S.T.-Richtung. Das liegt sicher nicht nur am E.S.T.-Bassisten Dan Berglund, der bei Karlzons Trio eingestiegen ist. Die Band hat sich dem Jetzt („Now“) verschrieben und damit kreiert sie einen durchaus modernen Piano-Trio-Sound, in den Karlzon auch jede Menge Keyboards und Elektronik einbaut. Dass das Thema auf „November“ ganz eindeutig von Joe Jackson geklaut ist… Geschenkt!
Brad Mehldau & Joshua Redman: Nearness
Veröffentlichung: 9. September 2016
Label: Nonesuch (Warner)
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Das Zusammenspiel ist von mysteriöser Intimität, die musikalische Reise des Pianisten und des Saxofonisten von tiefer spiritueller Intensität. Zum Niederknien.
Aus welchen Gründen auch immer: Das Klavier-Saxo-Duo ist sicher eines der ungewöhnlicheren, was man als konventionelles Jazz-Line-up betrachten könnte. Exzellentes Beispiel: Dave Liebman & Richie Beirach. Irgendwie scheinen die beiden Instrumente ohne weitere Begleiter von völlig anderen Gravitationsbedingungen zu stammen. Und doch funktioniert es, wenn zwei Seelenverwandte sich der Sache annehmen, so wie Marc Copland und Greg Osby, Lee Konitz und Dan Tepfer oder Vijay Iyer und Rudresh Mahanthappa. Und auch Mehldau und Redman beweisen, dass sie eine bemerkenswerte Paarung sind, die das Potenzial des Formats für einen freizügigen, intimen Dialog mit einer Intensität aufgedeckt haben, der den anderen „klassischen“ Duos nicht nachsteht.
Jack DeJohnette, Ravi Coltrane, Matt Garrison: In Movement
Veröffentlichung: 06. Mai 2015
Label: ECM Records
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Das ist ein andächtiges Stück Geschichte: Drummer Jack DeJohnette hat vor fünfzig Jahren als Gast des John Coltrane Ensembles mit den Vätern von Ravi Coltrane und Matthew Garrison gespielt. Es war das einzige Mal in den frühen 60er Jahren, dass er mit Coltrane zusammenkam, und schon der erste Saxofonton des Eröffnungslieds „Alabama“ ruft in einem fast Bestürzung aus, so sehr lebt John Coltrane in dieser einen Note. Aber es ist auch unfassbar, wie die drei Männer auf diesem Stück das Wesentliche der futuristischen Modalität erreichen. Mit der schönen Meditation über „Blue in Green“ von Miles Davis und Bill Evans ist ein weiterer Standard auf dem Album vertreten. Ungewöhnlich ist das Stück „Serpentine Fire“ von Earth, Wind and Fire. Es soll wohl eine Verbeugung vor Maurice White sein, mit dem DeJohnette ja auch schon mal kollaborierte. „The Two Jimmys“ erinnert an die großen Musiker Hendrix und Garrison. Und „Rashied“ ist eine Hommage an Rashied Ali aus Coltranes früherer Band.
Gemeinsam führt dieses unglaubliche generationenübergreifende Trio dieses Jazz-Erbe in die Moderne, wo auch Elektronik mit im Spiel sein darf – eingebracht von Flying Lotus und dem wohl auch Computeraffinen Bassisten Garnison. Ein großartiges Album.
Michael Wollny & Vincent Peirani: Tandem
Veröffentlichung: 30. September 2016
Label: ACT Music
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Noch so ein ungewöhnliches Tandem. Pianist Michael Wollny und Akkordeonist Vincent Peirani kann man ohne Übertreibung als Stars des europäischen Jazz bezeichnen. Beide haben sehr eigene Vorstellungen von ihren Klangwelten, und Wollny liebt es ja, sein Soundrepertoire immer wieder neu auszuloten. Gemein ist diesen beiden Musikern, dass sie sich beide gerne Zeit lassen, die Muße erlauben, den Klang eines Moments auszukosten und ihn nicht unnötiger Virtuosität zu opfern – wozu beide aber ohne Frage imstande sind. Erstaunlich wie sehr beide Instrumente, beide Musiker miteinander harmonieren – egal ob in energischen Passagen oder auf den zarten Flügeln ruhiger Klänge.
Veröffentlichung: 14. Oktober 2016
Label: Motema
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David Bowie hat auf seinem letzten Album eine Brücke zum Jazz geschlagen, und dabei wurde er von einem New Yorker Quartett unterstützt, das längst einen gewissen Ruf in der Szene hat. Donny McCaslin spielt ein energisches Saxofon, Bassist Tim Lefebvre nahm im Trio von Michael Wollny die preisgekrönte Platte „Weltentraum“ auf, Schlagzeuger Mark Guiliana lieferte auf Brad Mehldaus Album „Taming the Dragon“ eine bemerkenswerte Arbeit ab, und Keyboarder Jason Lindner wurde bei der jährlichen Kritikerumfrage des DownBeat-Magazins als aufsteigender Star geadelt. Das elektro-akustische Quartett schafft er Klanglandschaften aus komplexen Strukturen und freien Improvisationen. Das klingt vital, fast wild.
Auf ihrem dritten gemeinsamen Album kombiniert die Band McCaslin-Kompositionen mit Interpretationen aus der Populärmusik, etwa der Rockband Mutemath aus New Orleans (“Remain”), die ja ihrerseits schon Elemente von Rock, New Wave, Elektro, Acid Rock und Jazz in ihrer Musik aufgehen lässt. Oder Deadmau5s “Coelacanth 1, ein Stück aus der Welt des Progressive House und Electro House. Und dann sind noch zwei Bowie-Stücke zu hören:“A Small Plot Of Land” und “Warszawa“.
McCaslin zeigt sich als zurückhaltender und melodischer Saxofonist, und die Band passt sich seinem Ton und Gefühl an. Lindners Keyboards können auch mal hart wie Techno klingen, oder sie haben diesen fetten Synthsound, den Miles in den 80er Jahren so liebte. Doch Lindner zeigt auch, dass er ein sehr schönen Klavierspiel drauf hat. Guiliana ist die Geheimwaffe der Band, die in der Lage ist, die Knusprigkeit und Präzision der elektronischen Rhythmen perfekt nachzuahmen. Seine Snare knallt mit punktgenauer Präzision mit einem scharfen Klatschen.
Nach dem Tod von Bowie gab die Band ja eine ganze Reihe Interviews über Bowies Arbeitsmethoden und verabschiedete sich mit einem Konzert in New Yorks legendärem Village Vanguard Club. Das Album spiegelt dieses Tributgefühl ganz beachtlich wider.