(ENGLISH Version, please scroll down!) Wir wollen Euch jeden Tag ein Adventstürchen öffnen, mit der Hoffnung, Euch die eine oder andere Eingebung zu geben, was ihr verschenken oder was ihr Euch selbst zum Geschenk machen könnt. Unter unseren Empfehlungen sind brandneue Veröffentlichungen, aber auch einige, die etwas zurückliegen, aber es wert sind, nochmal ins Gedächtnis geholt zu werden. Wir geben Tipps für Konzerte, Bücher, Platten – alles rund um Musik. Hinter unserem ersten Adventstürchen steckt:
Charlie Haden & Brad Mehldau:
Long Ago And Far Away (Live)
Erscheinungstermin: 26. Oktober 2018
Label: Universal Music Division Decca Records France
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Von Dylan Cem Akalin
Der legendäre Jazz-Bassist Charlie Haden und der Pianist Brad Mehldau haben sich im November 2007 zusammengetan, um gemeinsam in der Christuskirche in Mannheim aufzutreten. Die Live-Aufnahme ist jetzt endlich auf Impulse veröffentlicht worden.
Die Aufnahme hat etwas Anrührendes. Sie hat eine tiefe Seele, wie das Gespräch zwischen zwei besonders engen Freunden, vielleicht zwischen dem väterlichen Freund mit dem klugen, talentierten jungen. Und die Aufnahme hat gleichzeitig etwas Dokumentarisches. Sie zeigt einen wichtigen Punkt zwischen den beidem Musikern, die sich sehr geschätzt haben müssen.
1993 kennengelernt
Und Brad Mehldau scheint auch sowas wie Hadens musikalische Entdeckung gewesen zu sein. Im Begleittext zum Album schreibt die Witwe des Bassisten Ruth Cameron Haden, wie sich die beiden Musiker zum ersten Mal trafen. Haden und seine Frau waren am 19. September 1993 auf einem Jazzfestival in den Laurel Mountains, und sie erinnert sich sogar an das Datum. So einschneidend scheint dieses Erlebnis für den älteren Haden, der vor vier Jahren 77-jährig starb, gewesen zu sein. Sie gingen an einem Konzertsaal entlang, erinnert sie sich, als Haden einen Pianisten durch eine geschlossene Tür solo spielen hörte. Er blieb stehen, trat ein und sah Mehldau, damals 23 Jahre alt, versunken an der Tastatur. „Er ist etwas Besonderes, so einzigartig“, soll er gesagt haben – und er wurde Mehldaus größter Fan.
Zunächst wollten sie das Konzert nicht aufzeichnen
Die Aufnahme verdanken wir Rainer Kern, dem Regisseur des Enjoy Festivals in Deutschland, der das Duo eingeladen hatte, und Ruth Cameron Haden. Kern wollte das Duo nämlich aufnehmen, aber die Musiker wollten nicht. Ruth Haden wollte das nicht akzeptieren, wohl, weil sie ahnte, was das Treffen für beide Musiker bedeutete und was für ein Schatz da der Nachwelt entgehen würde. Irgendwie überzeugte sie ihren Mann, das Konzert aufnehmen zu lassen; Kern erlaubte den Musikern, die Rechte zu behalten. Aufgrund nicht näher spezifizierter vertraglicher Probleme konnte die Musik bisher nicht herausgegeben werden. Aber zu seinen Lebzeiten soll sich Charlie Haden das Band sehr oft angehört haben und es habe veröffentlichen wollen. Sein Wunsch wurde nun posthum erfüllt.
Mehldau und Haden sind in gewisser Weise ein seltsames Paar. Auf manchen Stücken hat man den Eindruck, als würde Haden nur spielen, um Mehldau zuhören zu können. So seltsam das klingt, aber „der Alte“ weiß um die Kraft seiner Einzelnoten, die er manchmal nur alle zwei Beats einmal anschlägt. Mehldau nutzt den Freiraum zu seinen Eskapaden, die über die Struktur hinausgehen. Manchmal hat man tatsächlich das Gefühl, als würde sein Spiel gegen alle Gesetzmäßigkeiten im Raum jede Richtung gleichzeitig nehmen.
Zum Weinen schön
Der Opener ist eine verlangsamte Version von Charlie Parkers „Au Privave“, bei dem Mehldau Variationen seiner eigenen improvisierten Phrasen spielt und Haden in aller Seelenruhe die Wege für ihn freihält. Lee Konitz schreibt dazu so treffend, dass das Spielen mit Haden „wie ein Trampolinhüpfen ist: Der Bassist spielt eine Note und lässt dem Solisten Raum, um zu tun, was er will“. Es ist ein Genuss, diesen beiden Musikern bei ihren andächtigen Dialogen beizuwohnen. Es gibt Töne, die für sich allein schon zum Weinen schön sind.
Change of the Century
Brad Mehldau sagt selbst über die Performance mit Haden: „Es ist spannend, mit jemandem zu spielen, der so improvisiert. Schließlich hat er es zuerst auf seinem Instrument, dem Bass, gemacht. Diese frühen ersten Platten des Ornette Coleman Quartetts wie ,This is Our Music‘ oder ,Change of the Century‘ waren nicht ,frei‘ in dem Sinne, dass sie die Prinzipien der Harmonie aufgegeben hätten. Sie waren jedoch oft frei von einem festen harmonischen Schema, und Charlie improvisierte die Harmonie von Grund auf.“
Angedeuteter Blues
Aus der klassischen Ballade „My Old Flame“ machen die beiden einen angedeuteten Blues. Haden ist ja ein Meister der Jazzstandards, und so sind auch seine Improvisationen eine reine Freude, weil der Meister gerne von einer Melodie ausgeht. Irving Berlins Lied von 1923 „What’ll I Do“ ist eine so elegante Präsentation, wie ein Gericht eines Drei-Sterne-Kochs. Mehldau spielt eine kurze Einführung mit einem sanften Sprung, und das Paar spielt den Walzer mit einer Sensibilität, dass man geradezu das gestärkte Tischtuch im Edelrestaurant knistern hört. Mehldau kreiert immer wieder neue Melodien über dem springenden Bass von Haden.
„Long Ago and Far Away“, das einst von Chet Baker mit Gesang aufgenommen wurde, ist eine heitere, optimistische Version der Komposition mit wunderbar präsenten Basspassagen. Das letzte Stück ist eine ebenso einprägsame Version von „Everything Happens To Me“, dass man es gleich mit summt. Dieses Album gehört für mich zu den wunderschönen Fundstücken des Jahres. Ein ideales Weihnachtsgeschenk für Verliebte.
Ruth Cameron Haden sagt: „(…) Charlie ist jetzt weg und diese Aufnahme wurde tatsächlich ,vor langer Zeit und weit weg‘ gemacht, aber die Musik bleibt sofort. Die Musik ist jetzt.“
English Version
The legendary jazz bassist Charlie Haden and the pianist Brad Mehldau teamed up in November 2007 to perform together in the Christuskirche in Mannheim. The live recording has finally been released on Impulse.
The recording has something touching. It has a deep soul, like the conversation between two especially close friends, maybe between the fatherly friend and the smart, talented boy. And the recording has something documentary at the same time. It shows an important point between the two musicians who must have appreciated each other.
Haden’s musical discovery
And Brad Mehldau seems to have been something like Haden’s musical discovery. In the accompanying text to the album, the bassist’s widow, Ruth Cameron Haden, writes about how the two musicians met for the first time. Haden and his wife were at a jazz festival in the Laurel Mountains on September 19, 1993, and she even remembers the date. This experience seems so drastic for the older Haden, who died four years ago at the age of 77 years. She remembers walking along a concert hall when Haden heard a pianist playing solo through a closed door. He stopped, walked in and saw Mehldau, then 23 years old, lost at the keyboard. „He is special, so unique,“ he said – and he became Mehldau’s biggest fan.
Enjoy Festival in Germany
We owe this recording to Rainer Kern, the director of the Enjoy Festival in Germany, who invited the duo, and Ruth Cameron Haden. Kern wanted to record the duo, but the musicians did not want to. Ruth Haden did not want to accept that, probably because she guessed what the meeting meant for both musicians and what a treasure there posterity would miss. Somehow, she convinced her husband to record the concert; Kern allowed the musicians to keep the rights. Due to unspecified contractual problems, the music could not be released yet. But in his lifetime, Charlie Haden is said to have listened to the recordings very often, and he wanted to publish them. His wish was fulfilled posthumously.
Mehldau and Haden are in a way a strange couple. On some tracks you get the impression that Haden is only playing to listen to Mehldau. As strange as that sounds, but „the old one“ knows about the power of his single notes, which he sometimes strikes only once every two beats. Mehldau uses the space for his escapades, which go beyond the structure. Sometimes you actually feel like your game is going against all regularities and taking every direction in space at the same time.
The opener is a slowed-down version of Charlie Parker’s „Au Privave,“ in which Mehldau plays variations of his own improvised phrases and Haden quietly clears the way for him. Lee Konitz writes so aptly that playing with Haden is „like a trampoline hopping: the bass player plays a note and leaves room for the soloist to do what he wants“. It is a pleasure to attend these two musicians in their devotional dialogues. There are sounds that are beautiful to cry.
Brad Mehldau himself says about the performance with Haden: „It’s exciting to play with someone who improvises that way, because he first made it on his instrument, the bass, these early first records by the Ornette Coleman Quartet like, This is Our Music ‚or‘ Change of the Century ‚were not‘ free ‚in the sense that they had abandoned the principles of harmony, but they were often free of a fixed harmonic scheme, and Charlie improvised harmony from scratch. “
From the classic ballad „My Old Flame“ the two make a hinted blues. Haden is a master of jazz standards, and so his improvisations are pure joy, because the master likes to start with a melody. Irving Berlin’s 1923 song „What’ll I Do“ is as elegant a presentation as a three-star chef’s dish. Mehldau plays a short introduction with a gentle leap, and the couple plays the waltz with the sensation that you almost hear the starched tablecloth in the noble restaurant crackle. Mehldau keeps creating new melodies over the bouncing bass of Haden.
„Long Ago and Far Away“, which was once vocalized by Chet Baker, is a bright, optimistic version of the composition with wonderfully present bass passages. The last piece is an equally memorable version of „Everything Happens To Me“ that you want to sing along with it. This album is one of the wonderful discoveries of the year for me. An ideal Christmas present for lovers.
Ruth Cameron Haden says, „(…) Charlie is gone now and this recording was actually done a long time ago and far away, but the music stays instantly, the music is now.“