1250 Fans erlebten am Mittwochabend einen ganz großartigen Patti Smith-Abend im Essener Lichtburg-Theater. Ein intensives, fast intimes Konzert mit ganz vielen Höhepunkten.
Von Cem Akalin
Sie ist und bleibt die nachdenkliche, unbequeme Rockpoetin mit dem Hang zum Schamanismus. Auch wenn Patti Smith mit kleiner Band kommt und ihre Songs in leise arrangierten Versionen vorträgt: Sie kann gar nicht anders, als die Freiheit, die Liebe und das Leben zu huldigen. Und das mit einer inneren Kraft, die sich aufs Publikum sofort überträgt. Lediglich für zwei Konzerte ist die einstige Punkikone nach Deutschland gekommen. Am Dienstag trat sie in Frankfurt auf, am Mittwoch sah ich sie in der wunderschönen Lichtburg in Essen – natürlich beide Male ausverkauft. Und die, die Glück hatten, an ein Ticket zu kommen, erlebten eine so wunderbar aufgelegte Patti Smith, die ihre ganze kraftvolle Stimme ausspielte. (Nachdem sie ja im vergangenen Jahr trotz einer starken Erkältung aufgetreten war.) (siehe auch: Patti Smith in Bonn)
Schon dieser Eröffnungssong! „Wing“, natürlich ein Song über Freiheit. Smith widmet ihn den Bäumen von Essen, wo sie zuvor offensichtlich spazieren war. Musikalisch herrscht eine Stimmung wie in einer dieser Cantinas aus ihrem Buch „M-Train“, in dem sie erzählt, wie sie sich mit ihrem Mann Fred „Sonic“ Smith damals auf eine wahnwitzige Reise nach Französisch-Guayana begab. Schleppender Rhythmus, tiefer Gesang, dunkle Bühne.
„An Evening of Word & Music“, war der Abend zwar betitelt. Als Lesung gab es indes nur eine Rezension des bekannten Gedichts des US-amerikanischen Schriftstellers Allen Ginsberg. Die Stimme der Beatgeneration.
Eigentlich stand ja sein Gedicht „Howl“ auf ihrem Zettel, diese Wehklage im Rhythmus einer Maschinenpistole, der Rap aus der frühen Jugendzeit der Rock ‚n‘ Roll-Ära mit seinen fiebrig-absurden Sätze („What sphinx of cement and aluminum bashed open their skulls and ate up their brains and imagination?“). Smith entscheidet sich spontan um: „The world is holy! The soul is holy! The skin is holy! The nose is holy! The tongue and cock and hand and asshole holy!” Irgendwie ist ihr wohl mehr nach eindeutigen Botschaften. Patti Smith zelebriert es wie eine spirituelle Beschwörung, und die Zeilen „Holy the supernatural extra brilliant intelligent kindness of the soul.“ kostet sie am Ende besonders aus.
Überhaupt wirkt sie so versöhnlich, voller Freude. Immer wieder erinnert sie an ihre große Liebe. Fred „Sonic“ Smith. Singt „Frederick“, begleitet von Piano und Bass (gespielt von Sohn Jackson Smith), in einer fröhlich-melancholischen Ausführung. Die langen weißen Haare vor dem Gesicht. Und weil sie so leichtfüßig da steht im Lichtkegel, tänzelt sie auf dem Holzboden der Bühne, deutet bei „Dancing Barefoot“ belustigt ein paar Stepptanzschritte an. An den Füßen wieder abgewetzte Boots.
Die ersten stehenden Ovationen gibt es bei „Ghost Dance“. Der Rhythmus stampfender, die Trommeln entrückt wie bei einem indianischen Pow-Wow , ein eindringliches Mantra. „Shake out the ghost – dance.“ Für mich einer der Höhepunkte: „Birdland“. Ein unglaublicher Text! Vom Album „Horses“. Der Text basiert wohl auf den Memoiren von Peter Reich („Book Of Dreams“), Sohn des Psychoanalytikers Wilhelm Reich. Es geht um den quälenden Prozess des Erwachsenwerdens, über lange verdrängte Erinnerungen, die neu über einen einstürzen, ums Befreien vom Schatten eines übergroßen Vaters, darum sein eigenes Leben leben zu können. Das hatte in diesem Kontext mit „Sonic“ Smiths Sohn in der Band etwas sehr intensives, wie Patti Smith die Worte buchstäblich ausspuckt, ein Song, irgendwo zwischen packendem Sprechtheater und düsterem Prediger-Rap.
„This Is The Girl“, der Song über Amy Winehouse wirkte dagegen geradezu zerbrechlich. Es gehe in dem Song, der auf ihrem Album „Banga“ auftauchte, nicht um Selbstzerstörung, erzählte sie einmal, sondern über die Trauer, dass es mit ihr solch ein Ende genommen habe.
Und dann gibt es noch zwei wunderschöne Covers an diesem Abend zu hören. „When Doves Cry“ von Prince als Gebet und Lou Reeds „Perfect Day“. Ja, es war ein perfekter Abend, und als sie sich zu”Beneath The Southern Cross” die Gitarre umschnallt gibt es noch eine gewisse Zurückhaltung im Publikum, die dann aber komplett einbricht, als sie nach einem indisch anmutenden Gitarrensolos ihres Sohnes die Faust hebt: „That is Freedom!“, ruft sie. „We are fucking free!“ Es ist eine Stunde um, und es hält niemanden mehr in den roten bequemen Sesseln. Schon gar nicht, als sie dann dieses aufpeitschende „Pissing In The River“ anstimmt.
Sie macht keine politischen Statements. Es ist auch so klar, wofür die Frau steht. „ I believe everything we dream/can come to pass through our union/ we can turn the world around/we can turn the earth’s revolution”, heißt es in „People have The Power“, dem Song, mit dem sie das reguläre Set beendet.
Vorher aber war nach den ersten Worten klar, was kommen sollte: „Wisst Ihr, Shakespeare hatte Romeo und Julia, Wagner hatte Tristan und Isolde, und ich hatte 1978 meinen Fred ‚Sonic‘ Smith.“ Der Saal tanzt bei „Because The Night.“ Sie drückt Hände. Singt. Tanzt. Und zur Zugabe gibt es eben „Perfect Day“, und „Gloria“.
„Jesus starb für die Sünden anderer, nicht für meine“, beginnt sie. „Die Sünden, sie gehören mir, mir ganz allein.“ Sätze, die heute noch so gut zu ihr passen. Irgendeiner hat mal an eine Wand geschrieben: „Bob Dylan brachte die Poesie in den Rock, Patti Smith brachte den Rock in die Poesie.“ An diesem Abend wurde das klarer denn je.