Die Anschläge in Paris legten einen feinen Schleier über das Konzert der zwölfköpfigen Tedeschi Trucks Band im RuhrCongress Bochum. Das Licht auf der Bühne schien gedämpfter, die Spots auf die Solisten irgendwie zurückhaltender zu sein. Zurückhaltend waren die Musiker indes keineswegs. Im Gegenteil. Die Band um das Ehepaar Derek Trucks und Susan Tedeschi bewies wieder einmal, dass sie zu den ganz großen im Blues-Rock-Zirkus gehören. (Siehe auch Tedeschi Trucks Band in Köln)
Und Derek Trucks? Der Mann mit dem fast hüftlangen blonden, zum strengen Zopf gebundenen Haar ist wohl der beste Slidegitarrist, der zurzeit auf den Bühnen unterwegs ist.
Und das Schöne daran ist, dass Trucks das nicht mit irgendwelchen technischen Spielereien beweisen muss. Er gehört nicht zu jenen, die mit schwindelerregenden, artistischen Fingerübungen aufs olympische Treppchen der Stuntgitarristen steigen will. Es reicht, so viel Gefühl für Stimmungen zu haben und über eine solch virtuose Begabung für Spannungsbögen und spontane Kompositionen zu verfügen, um die mehr als tausend Fans in der Halle immer wieder zu Beifallsausbrüchen zu bringen, so wie bei „Come See About Me“.
Das James Taylor-Stück „Fire and Rain“ startet zunächst eher bluesorientiert, schraubt sich dann aber in eine wilde Rocknummer hoch. Nach und nach verlassen alle die Bühne, bis Trucks mit den zwei Drummern Tyler Greenwell und J. J. Johnson und dem Bassisten Tim Lefebvre alleine ist. Sein zunächst melodisches Spiel mündet in einen stillen Moment, als er die Pickups wie Kirchenglocken läuten lässt, der Donner erhebt sich immer bedrohlicher, Trucks feuriges Spiel lässt Sirenen erklingen, das Grollen nimmt die Düsternis von Bombern auf. Langsam wird sein Spiel wieder ruhiger bis am Ende wieder die ganze Band auf der Bühne das Stück zum Ende bringt.
Auf „Keep On Growing“ klingt Trucks schon fast wie Duane Allman. Vielleicht seine Art zu sagen, dass es Allman war, der damals die Gitarre auf diesem Song von “Derek and the Dominos” spielte und nicht Eric Clapton? Wie auch immer. Zumindest klingt Trucks auf keinem anderen Stück an diesem Abend so sehr nach Allman Brothers wie hier.
Die Gibson SG ist ja eher eine Gitarre für den bissigen, ja geradezu scharfen Ton. Angus Young (AC/DC) könnte niemals so klingen, wie er klingt, wenn er eine Les Paul mit ihrem so cremigen Ton spielen würde. Sie ist die Gitarre, auf die Frank Zappa zurückgriff, wenn er metallisch-harte Sounds wollte. Oder Carlos Santana, oder Eric Clapton zu seinen wilden Zeiten bei Cream. Es ist eine wilde, ungezähmte Gitarre. Wenn Derek Trucks sie spielt, dann hat sie auch noch einige andere technische Vorteile, wie etwa die Anordnung des Halspickups, wie er sie für sein Slidespiel braucht. Und doch: Er ist vielleicht der einzige, der diese stürmische Gitarre so gebändigt bekommt, dass die Töne nur so tanzen und dahinsegeln, dass sie den Raum für sich einnehmen und bei jedem Zuhörer direkt die Seele streifen – so bei „Bound For Glory“ oder „It’s so heavy“.
Gerade „It’s so heavy“ war wohl ein ganz besonders rührender Moment. Dieser Song über Lügen, grundlose Kämpfe, Trauer und den Trost in der Gemeinschaft, den Susan Tedeschi den Opfern und deren Angehörigen in Paris widmete, konnte gar nicht passender gewählt sein. Ebenso wie später der Elmore James-Bluesklassiker „The Sky Is Crying“, auf dem übrigens Susan Tedeschi auf ihrer Fender Strat bewies, dass sie sich mit ihrer Virtuosität an der Gitarre nicht im Schatten ihres Mannes verstecken muss.
Überhaupt Susan Tedeschi. Es ist doch immer wieder überraschend, was für eine Kraft aus dem Gesang dieser zarten Person, die zwischendurch eher mit zarter Stimme spricht, ausgeht. Dieser Gesang, der irgendwo zwischen Linda Ronstadt und Bonnie Raitt liegt, ist es schon Wert, die Band zu sehen. Wie sie „Angel from Montgomery“ in kleiner Bandbesetzung singt, ist ein wunderschöner Moment. Die Nummer vom Country-Singer/Songwriter John Prine hat Bonnie Raitt übrigens auch immer gern gesungen. Der Song ging in Bochum in das Greatful Dead-Stück „Sugaree“ über. Ganz großes Kino!
Und dann diese großartige Version des zum Tanzen auffordernden „Made Up Mind“! Wie Trucks mit einem jaulenden, aufpeitschenden Ton in den Schlusslauf von Kofi Burbridges Pianosolo einsteigt und den Druck im Spannungsboden erhöht, war einfach ausgezeichnet. Gleich im Anschluss leitet Burbridges mit einem Bach’schen, auch ein wenig an Moody Blues erinnernden Orgelsolo in eine Beatles-Nummer ein: „Something“, die es wohl auch auf dem neuen, im Januar 2016 erscheinenden Album „Let Me Get By“ geben wird. Es sollte nicht die letzte Beatles-Adaption des Abends bleiben. Die erste Zugabe ist „I’ve Got a Feeling“, und als die Orgel zum nächsten Stück überleitet, da weiß das Publikum schon nach wenigen Takten, wohin die Reise geht. „With a Little Help From My Friends“ eher in einer Joe Cocker-Version, vielleicht sogar noch ein wenig gospelhafter, aber mit Inbrunst gesungen. Wohl auch noch in Gedanken an die Menschen in Paris? Mehr Gänsehaut zum Schluss ging nicht. Ein ganz großartiger Abend mit einem etwas mehr als zwei Stunden einzigartigen Programm, dem die kleinen Solo-Performances von Tedeschi und Trucks äußerst gut taten.