
Eine Truppe namens Faithless vor der mächtigen Kulisse des Kölner Doms – mehr Kontrast geht kaum. Und doch passt es perfekt: Die britische Band verwandelt den Roncalliplatz in ein elektrisierendes Ritual aus Beats, Botschaft und Erinnerung. Mit dabei: die Stimme von Maxi Jazz – und eine Band, die im Hier und Jetzt neu erstrahlt.
Von Dylan C. Akalin
Eine Truppe, die sich „Ungläubige“ nennt, vor einem der mächtigsten Symbole der Christenheit. Mehr scharfzüngiger Spott geht kaum. Und wenn dann diese Truppe vor diesem gewaltigen Dom, der sich dunkel und kraftvoll hinter der Bühne erhebt, auch noch Songs wie „God Is A DJ“ anstimmt, ist das mehr als ironischer Witz. Gerade in diesen Tagen, wo gerade die katholische Kirche in Köln derart in der Kritik steht, kommen die Zeilen einem Rat, einem Fingerzeig gleich: „Es ist eine natürliche Gnade/Junges Leben zu beobachten“, heißt es da etwa. Oder: „Wenn Bitterkeit endet/Dies ist meine Kirche (…) Respekt, Liebe, Mitgefühl/Dies ist meine Kirche“. Und die Menge jauchzt und tanzt dazu.
Freiheit durch Klang
An diesem Donnerstagabend ist auf dem Roncalliplatz in Köln alles anders als sonst. Auch anders als bei vielen anderen Konzerten. Unter dem steinernen Blick des Doms herrscht entspannte Fröhlichkeit, fast jeder der rund 2500 Fans tanzt vor sich hin, und das schon ab 20.16 Uhr, als die Reise beginnt – mit „Forever Free“, einem programmatischen Auftakt für das, was Faithless an diesem Abend zelebrieren: Freiheit durch Klang, Gemeinschaft im Beat, Erinnern im Tanz.

Filmschnitzel aus London wie mit der Super-8-Kamera aufgenommen auf der Leinwand, rotes und blaues Licht, der Bass wummert tief und gemächlich, während Gitarre, Drums und Sythie schnelles Tempo anschlagen und „Yeke Yeke“ von Mory Kanté erklingt.
Der Abend hat was von Party, Konzert und einem gewissen elektronischem Ritual, in dem sich Erinnerung und Gegenwart, Clubkultur und kontemplative Tiefe, vielleicht auch ein wenig Trauer, gewiss ganz viel Freude, Körper und Geist begegnen. Die Musik ist dabei mehr als bloß tanzbar. Faithless denken elektronisch – aber mit Haltung. Sie verweben House, Trance, Dub und Trip-Hop zu einem Klangkosmos, der sowohl in den Club als auch ins Herz zielt.
Maxi Jazz ist allgegenwärtig
Und immer wieder erscheint uns der vor drei Jahren verstorbene charismatische Sänger Maxi Jazz – irgendwie allgegenwärtig. Wir sehen ihn auf den Videowänden: schwarz-weiß, transparent, mit dieser Stimme, die einst Faithless ihre unnachahmliche Aura verlieh. Seine Texte, seine Ruhe, seine Poesie – sie hallen über den Roncalliplatz. Bei „Insomnia“ erscheint er auf den Screens in Schwarz-Weiß mit knallrotem Filter, bei „God Is A DJ“ als digitale Lichtgestalt, bei „Music Matters“ als gepixelte Schöpferkraft, und beim letzten Song des regulären Sets „We Come 1“ flimmern jede Menge Bilder und Konzertausschnitte von ihm über die Leinwände: „All the subtle flavours of my life have become/Bitter seeds and poisoned leaves/Without you“.
Die Entscheidung, seine Stimme aus dem Off einzuspielen, ist mehr als eine Hommage. Es ist ein stiller Pakt mit dem Publikum, eine Erinnerung an das, was diese Band so besonders macht.
Sister Bliss hat alles im Griff
Sister Bliss steht wie eh und je im Zentrum. Ihre Präsenz ist konzentriert, fast ruhig, doch was aus ihren Keyboards und Synthesizern strömt, ist pure Energie. In Tracks wie „Salva Mea“, „Plastic Dreams“ (ein treibender, hypnotischer Jaydee-Klassiker) oder dem episch aufgeladenen „God Is a DJ“ baut sie Spannungsbögen, die zwischen ekstatischer Entladung und spiritueller Schwere changieren.
Doch Faithless 2025 lebt – nicht nur in der Vergangenheit, sondern im Jetzt. Mit an Bord ist Nathan Ball, dessen warme, eindringliche Stimme besonders in „I Need Someone“ und „Drifting Away“ glänzt. Er ist kein Nachfolger von Maxi Jazz, sondern bringt seine ganz eigene melancholische Note ein. Richtig schön!
Tolle Band!
Ebenfalls ein starker Live-Moment: die Performance von Lily Gonzalez, die mit ihrer doppelten Rolle als Percussionistin und Sängerin das Klangbild spürbar erdet und zugleich bereichert. Ihre Rhythmen geben dem Set einen organischen Puls – man hört nicht nur die Beats, man spürt sie. Mit dabei ist eine neue junge Sängerin, deren Name ich leider nicht verstanden habe, die aber mit ihrer klaren Stimme und ihrer natürlichen Fröhlichkeit einen ganz bezaubernden Kontrapunkt auf der Bühne bildet.
Auch Gitarrist Dave Randall, seit Jahren Teil des Faithless-Kosmos, trägt entscheidend zur Dynamik des Abends bei. Seine Klangflächen und rhythmischen Einsätze sorgen für jene Momente, in denen die Musik sich über den reinen Dancefloor hinaus erhebt – hin zu etwas Atmosphärischem, manchmal fast Rockhaftem.
Kluge Setlist
Die Setlist ist eine kluge Dramaturgie: Klassiker wie „Insomnia“, „We Come 1“ oder „Crazy English Summer“ treffen auf neue oder neu interpretierte Stücke wie „Synthesiser“ und „Fugitive“. Besonders spannend ist die Auswahl an liebevoll eingebauten Coverversionen: „Yeke Yeke“ (Mory Kanté) bringt globale Clubgeschichte auf die Bühne, „Passion“ (Gat Décor) versprüht frühe House-Euphorie, „Dawn of the Dead“ (Leena Punks) steht für die nächste Generation elektronischer Producerinnen, und „Don’t You Want Me“ (Felix) zündet als Retro-Rave-Gewitter.
Ein echtes Ausrufezeichen setzt das Dido-Cover „Thank You“ als letzter Song – überraschend, zärtlich, intim. Vorher noch: „This Feeling“ – eine ruhige Hymne, fast wie ein Gebet nach einer langen Nacht.
Zu kurzes Konzert
73 Minuten ist etwas kurz. Dennoch entfaltet sich zwischen 20.16 Uhr und 21.39 Uhr eine komprimierte Welt, in der sich Leben und Verlust, Sound und Stille, Euphorie und Ehrfurcht berühren. Es ist ein Konzertabend, der mehr will als unterhalten. Und das gelingt eindrucksvoll.
Faithless beweisen in Köln, dass elektronische Musik mehr sein kann als Beats per Minute. Sie ist hier politisch, poetisch, persönlich – getragen von einer tollen Band, deren neues Album im September erscheinen soll. Wir warten gespannt darauf – und auf den nächsten Auftritt

Setlist Faithless, 24. Juli 2025, Roncalliplatz Köln:
Forever Free
Yeke Yeke (Mory Kanté Cover)
Salva Mea
Plastic Dreams (Jaydee Cover)
I Need Someone
Insomnia
Synthesiser
Crazy English Summer
Passion (Gat Décor Cover)
Dawn Of The Dead (Leena Punks Cover)
God Is A Dj
Drifting Away
Don’t You Want Me (Felix Cover)
Music Matters
Fugitive
We Come 1
Encore:
This Feeling
Thank You (Dido Cover)







