Wenn Dieter Ilg (Bass), Frank Chastenier (Piano) und Wolfgang Haffner (Schlagzeug) zusammenspielen, dann ist das Jazz aus einem Guss. Man lehnt sich zurück, genießt und denkt: Was Besseres kann es kaum geben. Und dann kommt der Bassbariton Thomas Quasthoff. Mann, war die Truppe am Freitagabend gut drauf in der Bonner Oper!
Von Dylan Cem Akalin
„Too Close For Comfort“ swingt ohne Ende, „Stardust“ ist eine vokale Demonstration dessen, was einer mit dem Stimmvolumen eines Thomas Quasthoff mit seinem menschlichen Instrument vollbringen kann. Ein guter Start in ein fest anderthalbstündiges Set in der Bonner Oper. Davor noch das Lisa Wulff Quartett: Mehr kann man für sein Geld nicht bekommen – dank Peter Maternas Jazzfest Bonn.
Und Quasthoff ist richtig gut gelaunt, ist in Plauderlaune, macht Witze über die „Unvollendeten“ dieser Republik, nämlich den BER Flughafen und Berlin und die Beethovenhalle in Bonn und erinnert daran, was man alles mit diesen vergeudeten Millionen machen könnte, zum Beispiel sämtliche Schulen und Universitäten sanieren. Richtig, Thomas Quasthoff!
„Bitte wählen Sie so, dass wir uns nicht schämen müssen“
Und ja, auch an die Europawahl erinnert uns dieser kluge Mensch. Nein, er wolle keine Wahlempfehlung geben, aber: „Bitte wählen Sie so, dass wir Musiker und andere Deutsche sich im Ausland nicht schämen müssen.“ Und dann kann er sich’s doch nicht verkneifen. Die AfD sähe er gerne bei 0,3 Prozent sagt er, denn diese rechten Strömungen, „die machen mir Angst“. Und weil das schon zur fortgeschrittenen Zeit war, singt er für uns eine so zerbrechliche Version von John Lennons „Imagine“ wie man’s von einem mit solch einem starken Organ kaum für möglich halten würde.
Natürlich klingt ein Song wie „Moonglow“ bei Quasthoff nicht zu fragil wie bei Billie Holiday, „For Once In My Life“ nicht so soulig wie bei Stevie Wonder, und auch Tina Turners „I Can’t Stand The Rain“ nicht so sexy, aber Quasthoff hat eine andere Angehensweise an diese bekannten Songs. Und das ist gut so. Er will gar nicht mit dem Original konkurrieren, er absorbiert gewissermaßen den Geist der Stücke, um sie mit seiner Persönlichkeit zu ummanteln und sich selbst auszudrücken, und das tut er gerne mit einem Augenzwinkern, mit einem herrlichen Gemisch aus Schalk, Kunst und Virtuosität.
Wie ein Artist ohne Sicherheitsnetz
Und was er tut ist beeindruckend. Wie stimmsicher er in den tiefen Registern ist, wie er es genießt, das Publikum zu foppen, indem er noch einen und noch einen Ton tiefer setzt, mit welcher Klarheit und wie sauber er vor allem in leisen Passagen intoniert, das hat schon was mit Akrobatik zu tun. Jedenfalls hält das Publikum ähnlich wie im Zirkus den Atem an, als würde ein Artist ohne Sicherheitsnetz die irresten Sprünge unter dem Zirkusdach vollbringen.
Die Band ist dabei ein Pfund, auf das Quasthoff immer setzen kann. Das Intro zu „Summertime“ ist göttlich: dieses Bassspiel zwischen japanisch anmutenden Klängen, die Hammer-ons und Pull-offs auf den Basssaiten und dann der zarte Einstieg von Piano und Drums, die sich steigern, bis Chastenier Quasthoff mit energischen Blockakkorden begleitet. Ganz groß.
Noch so ein Höhepunkt: das perkussive Spiel von Wolfgang Haffner, der Quasthoffs Gesang zunächst mit den Händen getrommelten Rhythmen begleitet und die beiden dann in ein Duett verfallen – mit Quasthoff als wunderbaren Beatboxer. Und dann greift Haffner auch noch zu Plastikspielzeughämmerchen, mit denen er nicht nur sein Schlagwerk und seine Oberschenkel bearbeitet, sondern auch den äußerst belustigten Kopf des Sängers.
Gymnastische Jodelübungen
Klasse: Quasthoffs Solo. Seinen Scat-Gesang beginnt er mit ein paar gymnastischen Jodelübungen. Er findet zu einem Rhythmus, er ahmt den Bassrhythmus und das Schlagzeug nach, was er immer wieder aufgreift zwischen Gebabbel und Geschnatter, Gehechel und Gekrächze („Ich finde, die Gesprächskultur im EU-Parlament muss besser werden“), er fügt Gospelfetzen in seine Stimmcollagen ein, er jault wie eine E-Gitarre von Jimi Hendrix, er hustet, rülpst und quietscht und improvisiert neun Minuten lang auf diesem swingenden Takt, der wie von einer Loopmaschine zu kommen scheint. Nach „Kissing My Love“ und der Zugabe „Have A Little Faith in Me“ geht der Abend eine halbe Stunde von Mitternacht zu Ende. Großartig.