Soft Machine in der Harmonie Bonn: Großartiges Konzert zum Jahresausklang

Soft Machine beendet Ihre Welttournee in der Harmonie Bonn. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Die vier Herren sehen aus, als wären sie auf einer Nostalgiereise. Naja, also eine Seniorentour mit einem jugendliche Freund. Nichts Besonderes. Nur nochmal gemeinsam unterwegs sein, etwas Kulturprogramm, etwas in Erinnerungen schwelgen, nicht zu sehr über die Stränge schlagen… Vergiss es! Diese Herrschaften haben was völlig anderes im Sinn. In ihnen brennt immer noch das Feuer des Innovativen, und sie sind um die Welt gereist, um die Philosophie von Soft Machine zu verbreiten. Am Sonntagabend gaben sie in der Harmonie Bonn das letzte Konzert ihrer Welttour.

Von Dylan Cem Akalin

John Etheridge FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Und sie lieferten ab. John Etheridge (70) könnte auch ein Collegeprofessor sein. Er sieht bisweilen nachdenklich aus, aber aus seinen Augen blitzt noch der Schalk, der ihm im Nacken sitzt. Die Akkorde, die er auf der Gitarre spielt, sind schräg, wenn er mit seinen irren chromatischen Läufen über den Gitarrenhals rast, bleibt er gedankenvoll, aber konzentriert.

Ein höchst akkurater Musiker

Theo Travis (54) ist sowas wie der junge Schlittenhund in der Meute, der oft die Alten mitreißt mit seinem Übermut, den die Grauhaarigen aber immer mit einem gewissen Stolz dabei beobachten, wie er, vor allem bei den älteren Stücken, in ihnen aufgeht. Er wechselt stets vom Tenorsax zur Querflöte, dann zum Sopran oder bedient ein kleines Keyboard und andere elektronische Gerätschaften. Am Tenor erinnert er an die Stile von Michael Brecker bis Tom Scott. Er ist ein höchst akkurater Musiker, fast pedantisch in seinem sauberen Ausdruck, aber kreativ und exaltiert im Solo. Fantastisch sein Spiel bei „Gesolreut“ („Six“, 1972)!

Immer noch ziemlich risikofreudig

Theo Travis FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Roy Babbington (78) hat vor sich auf dem Boden fast ein Dutzend Effektgeräte aufgereiht. Fein säuberlich bilden sie einen weiten Halbkreis. Sein Bassspiel ist so kräftig, dass man meint, er bräuchte keinen Verstärker. Er wirkt schweigsam, nur als Etheridge die Band humorvoll vorstellt und meint, Roy habe 17 Kinder von fünf Frauen, verteilt auf allen Kontinenten, schaut er grimmig rüber zu ihm. Babbington ist ein echter Veteran bei Soft Machine, wie so viele stieg er immer wieder mal aus, um wieder einzusteigen. 1973 ist er zum ersten Mal bei der experimentellen Truppe, brachte vor allem den Rock- und Funksound ein. Bei „Life on Bridges“ zeigt er, dass er  am Bass immer noch ziemlich risikofreudig ist. Er sorgt bei der Band nicht nur für ein festes Rhythmusfundament, er spielt den Bass auch mal wie eine E-Gitarre oder entlockt seinem Instrument Sounds, als kämen sie aus einem durchgedrehten Radio mit Kurzwellen-Frequenzen.

„Hidden Details“

John Marshall  (77) ist vielleicht einer der wichtigsten Dummer/Musiker des zeitgenössischen Jazz und Fusion. Wir kennen ihn von Nucleus, dem Pionier des Jazzrock, von Alexis Korner, von Jack Bruce, John Surman, Eberhard Weber, Charlie Mariano, Uli Beckerhoff und vielen anderen. Und eben seit 1972 immer wieder bei Soft Machine.

John Marshall FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Bei ihrem gut zweistündigen Auftritt spielt die Band überwiegend Material aus ihrem aktuellen Album „Hidden Details“. Und das Titelstück, mit dem sie das Konzert eröffnet, hat in der Liveversion vielleicht ein paar versteckte Andeutungen an den Blues, verweist mit seinen verrückten Arpeggios zu Beginn und am Schluss des Stücks an King Crimson. „The Man Who Waved At Trains“ („Bundles“, 1974) startet mit einem schönen Bassintro, in das Roy ein paar hübsche Flageolette-Töne einbaut, das einsetzende Keyboard erinnert an „Riders on the Storm“ von The Doors, das Hauptthema wird getragen von einem Zusammenspiel von Querflöte und Gitarre.

„Life On Bridges“

„Life On Bridges“ ist das experimentellste und vielleicht das Stück, das am stärksten an den Kerngedanken von Soft Machine erinnert. Eine Mischung aus Rockelementen, Free Jazz, völlig losgelösten Sounds. Die Drums von John Marshall jagen über das total freie Spiel von Etheridge, der Bass löst sich von seiner Grundstruktur, verwirrt den Zuhörer mit Sounds, von denen man zunächst gar nicht weiß, woher sie kommen, Bass und Gitarre peitschen sich praktisch gegenseitig an, und dann setzt die Querflöte ein wie ein Hoffnungsschimmer im Sturmwind, es ertönt eine Melodie über dem Wirrwarr.

Aladins Wunderlampe

Roy Babbington FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Etheridge spielt wie ein Hexenmeister, die Akkorde klingen mal wie sakrale Kirchenorgeln, gewaltig und voller Raum, schnaufend und behäbig wie aus einem Harmonium, er hetzt seine Töne über Loops, versetzt sie mit Echo und Hall. Die Band ist wie in einem klanglichen Rausch, und wie sie aus diesem undurchsichtigen Schall und Rauch wieder zueinanderfinden und wie durch einen Flaschenhals zurückfinden in Aladins Wunderlampe ist eines der Höhepunkte an diesem Abend.

„The Tale of Taliesin“

„The Tale of Taliesin“ („Softs“, 1975) gehört zu den melodiösen Stücken der Band, damals mit Allan Holdsworth an der Gitarre. Holdsworth hat ja schon auf der Aufnahme eine sensationelle Gitarre gespielt, Etheridge hat einen völlig anderen Stil. Holdsworth war vielleicht noch stärker im Rockjazz verhaftet, als es Etheridge ist. Das Stück bekommt an diesem Abend nicht ganz diese Erhabenheit seines Originals, was aber vielleicht auch kaum zeitgemäß gewesen wäre. Es passt aber gut zum ruhigen „Heart Off Guard“ aus dem aktuellen Album, das mit einer schönen Sologitarre beginnt, in das ein meditatives Sopransaxofon einsetzt.

„Gesolreut“

John Etheridge FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

„Gesolreut“ („Six“, 1972) gehört zu meinen Lieblingsstücken von Soft Machine, weil es diese Leichtigkeit im Drumspiel hat, diesen begreiflichen Funkeinfluss. Auch am Sonntagabend segelt die Band auf einem magischen Teppich davon. Das Thema, von Saxofon und Gitarre gespielt, kommt rüber wie ein ganzer Bläsersatz.

„One Glove“ ist ein themarientiertes Fusionstück mit deutlichem Rockbezug, „Fourteen Hour Dream“ lebt von einem satten Bass, dem sanften Drumspiel von John Marshall und der sagenhaften Querflöte von Theo Travis, der die Töne auch mal durch irgendwelche Loops und Effektgeräte rollt. Das Stück fließt dahin mit der Leichtigkeit eines Gebirgsbaches.

„Out Bloody Rageous (Part 1)“

„Out Bloody Rageous (Part 1)“ hat etwas vom Jazz der späten 60er/frühen 70er Jahre, könnte in Teilen aus der Grand Wazoo-Phase von Frank Zappa sein. Mit „Kings and Queens“ begibt sich die Band wieder in die Historie von Soft Machine („Fourth“, 1970). Es ist auch im Jahr 2018 noch so sanft und versunken, aber Robert Wyatt an den Drums und Elton Dean am Sax waren damals sicherlich mehr in orientalischen und rauschhaften Sphären als es die Truppe jetzt in der Harmonie war.

John Marshall FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Zum Schluss gab es eine Art Medley, eine 13-minütige Version aus „The Relegation of Pluto“, „Tarabos“, „Sideburn“ und „Hazard Profile (Part 1)“ mit einem ausdrucksstarken Drumsolo im Mittelteil. Sehr rockig, sehr wuchtig, mit einem in weiten Teilen sehr an John Abercrombie erinnernden fantastischen Gitarrensolo. Zur Zugabe gab es „something peaceful und gentle“, wie es Etheridge ankündigte: „Chloe and the Pirates“ („Six“, 1973) Ein tolles Konzert zum Ausklang des Jahres!

Theo Travis FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Roy Babbington FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski