So schnell kann es gehen. Nur einen Tag nach dem fulminanten Auftritt der Jazzrausch Bigband schubst sie eine Truppe aus Kalifornien mit einem lässigen Hüftschwung vom Podest der berauschendsten Konzerte in der zehnjährigen Geschichte des Jazzfest Bonn: Tower of Power setzt mit einem sensationellen Konzert im Telekom Forum Bonn ein fettes Ausrufezeichen ins Bonner Konzertprogramm. Überhaupt: Was für ein Abend, der mit einem fantastischen Auftritt des Florian Weber Quartetts begann und einem ungewöhnlichen Projekt der WDR Big Band mit dem Duo Knower weiterging. Die 2000 Besucher verwandelten bei ToP den nüchternen Saal in eine Partylocation.
Von Dylan Cem Akalin
Florian Weber ist ein Phänomen in der deutschen Jazzszene. Der überaus sympathische Pianist mit dem feinsinnigen Humor hat nicht nur schon mit dem Leiter des Jazzfestes Bonn, Peter Materna, zusammengespielt, wir haben ihn einfühlsam mit Anna-Lena Schnabel erlebt, waghalsig mit Lionel Loueke, betörend im Duo mit Trompeter Eric Vloeimans, und der Mann mit dem klassischen Background ist sich dabei immer treu geblieben. Weber fasziniert mich von Mal zu Mal immer mehr mit seinen so eigenen, fast impressionistisch gesetzten Farbnuancen, mit seiner nach außen gekehrten inneren Bewegtheit.
Voller natürlicher Dimensionen
Seine klassische Ausbildung bildet so etwas wie eine Goldader im Schürfgrund seiner Kunst. Weber beherrscht eine aufregende Vielfalt an atmosphärischem Ausdruck. Er kann so zurückhaltend sein wie ein 15-Jähriger gegenüber seiner unerreichten Liebe, sein aktuelles Programm „Lucent Waters“ zeigt aber auch eine stärkere Neigung zur aufrührenden Kontemplation. Und dabei hat Weber hervorragende Musiker aus New York: Ralph Alessi spielt eine brillante Trompete mit klarem Ansatz und der Liebe zu nachhaltigen Tönen. Linda May Han Oh am Kontrabass und Nasheet Waits am Schlagzeug schaffen luftige, transparente und dennoch scharfe Konturen. Die Band klingt so auserlesen, so voller natürlicher Dimensionen, die geprägt sind von einer intellektuellen und freundschaftlichen Auseinandersetzung mit ihrer Musik.
Man sieht selten einen Drummer wie Waits, der mit so sparsamem Einsatz einen dermaßen geschmeidigen Rhythmus schafft, der mit den Klängen des Pianos zu verschmelzen scheint. Ganz großartig: „Tribute“ für Lee Konitz, mit dem Weber auch 15 Jahre lang gespielt hat, ein Stück mit viel erzählerischer Spannung. „Passacaglia“ kommt schon fast romantisch-kammermusikalisch daher mit einem schönen Call & Response zwischen Trompete und Piano am Schluss. Bei „The Follower“ zeigt Weber seine energisch-dynamische Seite. Er spielt so entschlossen und eindringlich, dass er während seines mit winzigen Blues- und Ragtime-Blitzen versehenen Solos mehrmals aufsteht und am Ende völlig verschwitzt ist. Großartig!
WDR Big Band feat. Knower
Willkommen in der grellen Welt von Knower. Louis Cole und Genevieve Artadi bilden ein ungewöhnliches Duo aus Los Angeles, das verrückte, coole Musik aus Indietronica, Jazzfunk, Progressive und Pop macht und sich mit ihren faszinierenden Videos über das Internet eine beeindruckende Fanbase geschaffen hat. Man darf sich von der bunten Kinderzimmer-Alice-im-Wunderland-Kaugummiblase, die das Duo verbreitet, nicht ver(w)irren lassen. Die beiden bilden ein hochmusikalisches und ernstzunehmendes Musikprojekt. Kein Wunder also, dass sich die WDR Big Band mit Bob Mintzer auf eine Kollaboration eingelassen hat. Das Ergebnis wurde im Telekom Forum begeistert gefeiert.
Die Kunst der Genevieve Artadi
Genevieve Artadi hopst im übergroßen langen gelben T-Shirt auf die Bühne, das Haar nach oben gebunden mit einem eingeflochtenen grünen Geschenkband wie eine schrille Mangafigur. Cole mit Jogginghose und übergroßer 70er-Jahre-Sonnenbrille – als wäre er Mitglied der niederländischen Flodder-Familie – schlurft zum Schlagzeug. Und dann geht es los mit dieser Mischung aus Indie-Eletronic-Pop und Jazz, und ehe man sich’s versieht, haut uns Mintzer schon mit einem Solo auf dem Tenor von den Stühlen. Derweil springt, dreht und tanzt Artadi auf der Bühne wie ein Flummiball, hockt und sitzt auf dem Boden wie ein Kind im Spielzimmer.
Das Ungewöhnliche an der Darbietung ist, wie sich die Musik des Duos aus komplexen Akkordfolgen, eingängigen Melodien und dem groovigen Stil der Funkmusik mit dem Bigband-Jazz verbindet. Cole sieht vielleicht merkwürdig aus in diesem Outfit, aber der frühere Schüler Mintzers an der kalifornischen Musikhochschule in LA hat unglaubliche Fähigkeiten als Songschreiber und als Instrumentalist: Er spielt Schlagzeug, bedient elektrische Effektgeräte oder das Keyboard. Vor allem aber ist das, was Knower macht, Ausdruck von Emotionen in einer Zeitgeist-Ästhetik voller Komplexität, Virtuosität, Kunst und Authentizität.
Das schafft genau die Räume, die die WDR Big Band und ihre wunderbaren Solisten füllen – so wie Tenorsaxofonist Paul Heller, Karolina Strassmeyer oder Posaunist Ruud Breuls etwa auf „F It Up“. Für mich eine der stärksten Nummern „Before The Dark“, das Artadi ungemein eindringlich singt. Man darf sich von dem grellen Outfit nicht täuschen lassen. Die studierte Sängerin ist eine tolle Vokalistin mit sensationellem Timing und vielfältiger Ausdruckskraft. Mal singt sie zerbrechlich wie die kleine Dorothy Gayle im magischen Land Oz, mal lasziv, mal kühl wie Lauren Bacall.
Die Zugabe „Melody Thingy“ erklang wie eine Hommage an die Kinder von Bullerbü. Ein passender Schluss für einen ungewöhnlichen Programmpunkt.
Tower of Power – Der Name ist Programm
Logisch, dass Tower of Power mit „We Came To Play“ auf die Bühne kommen, gefolgt mit dem rasanten „Soul With a Capital S“. Bob Mintzer hatte es ja schon zuvor gesagt: Die Band aus Oakland, Kalifornien, gilt als eine der besten (Live)Bands der Welt, und ihre explosiven Bläsersätze macht ihnen keiner nach – weshalb sie immer wieder von anderen Bands und Künstlern wie Phil Collins angeheuert wurden. Die beiden Gründungsväter der Verfassung des spannungsreichen Soul mit hohem Spaßfaktor sind immer noch dabei: Tenorsaxofonist und Sänger Emilio Castillo, der damals kaum 18 Jahre alt war und der coolste Baritonsaxofonist der Szene Stephen „Doc“ Kupka (immer mit Hut!).
Und weil deutsches Publikum in der Regel anständig und gesittet ist, bleibt es auch 16 Minuten auf den Plätzen sitzen. Kein Wunder bei dieser Botschaft: „If you’re sittin‘ out there wondering what to do/Me and the fellas got a message for you/You ought to be havin‘ fun“, singt der gefühlt tausendste Sänger (so sagt es Castillo später augenzwinkernd) der Band. Marcus Scott war in Memphis eine lokale Berühmtheit, gewann 2005 mal eine Talentshow und wurde schnell als Sänger für viele Gigs in Memphis engagiert. Larry Dodson von den legendären Barkays holte ihn zu sich, und eines Tages empfahl der langjährige Drummer von B.B. King, Tony Coleman, ihn als Leadsänger für Tower of Power. Da ist er nun seit fast drei Jahren.
Geschmeidige Stimmbänder: Marcus Scott aus Memphis
Und der junge Mann ist eine Sensation. Er hat eine Power, eine Perfektion und Geschmeidigkeit in seiner Stimme, die wohl jeden umgehauen hat im Saal. Der Mann hat Marvin Gaye, Lionel Richie, James Brown, Sam Cooke und Otis Redding auf den Stimmbändern. Unglaublich!
Und er ist der geborene Entertainer, wie er aufs Publikum zugeht, hinunterspringt von der Bühne, den Kontakt zu den Fans sucht, mit ihnen singt, tanzt und dabei noch Zeit für Selfies hat.
„Only So Much Oil In The Ground“ hat so viel Funk und Kraft, verbunden mit einer lässigen Leichtigkeit, „On The Soul Side Of Town“ die Eleganz von Steely Dan und den Schmelz der Commodores, „As surely as I stand here“ ist eine Ballade, die wilde Stiere unter der Discokugel zu Kätzchen verwandelt. „Soul Vaccination“ erinnert von der Spritzigkeit an „Brick House“. „Can’t Stop Thinking About You“ wird in lässigem Soulfunk präsentiert, „Don’t Change Horses (In The Middle Of A Stream)“ leitet Scott mit viel Humor ein.
Restlos glücklich
Und dann bekommen wohl viele Tränen in den Augen, als Castillo „You’re Still A Young Man“ von 1972 anstimmt. Wir hören ein berührendes Medley, eine klasse Performance von „What’s Hip“ und als Zugabe „Souled Out“. Genau das war dieser Abend. Zu Recht restlos ausverkauft – und das Publikum restlos glücklich.