Vorletztes Doppelkonzert des diesjährigen Jazzfest Bonn: der Schwede Jakob Karlzon und das Duo Dave Liebman und Richie Beirach spielen im Beethovenhaus.
Von Cem Akalin
Das muss Liebe sein. Seit gut 50 Jahren schon musizieren sie miteinander. Das Duo Dave Liebman und Richie Beirach ist eine Legende. Doch wie sie neugierig-unsicher am Freitagabend im Kammermusiksaal des Beethovenhauses um die Ecke schauen und die Moderation von Thomas Heyer gar nicht erst abwarten, hat etwas von Slapstick. Richie Beirach, Typ Kugelfisch mit langer Künstlerfrisur, trägt seinem Freund Dave Liebman, der eine gewisse Ähnlichkeit zu dem hageren Woody Guthrie hat, noch das Sopransaxophon hinterher und setzt sich elegant an den Flügel. Immer wieder streicht er sich später vornehm die Haare zurück, holt kultiviert einen Arm in weitem Bogen aus und gibt seinem musikalischen Partner gepflegte Zeichen.
Ein Kritiker hat den humpelnden Friedman mal mit dem mürrischen Käpt’n Ahab verglichen. Doch der Vergleich hinkt. Liebman ist zwar immer noch ein Suchender, wenn es um seinen idealen Ausdruck geht, aber der 69-Jährige jagt weder einem Leviathan hinterher noch ist es irgendeine Art von verrätselter Auflehnung, die ihn treibt. Liebman macht den Eindruck von einem Mann, der mit sich und der Welt vollkommen im Reinen ist, der gefunden hat, wonach er strebt.
Und Liebman beweist an diesem großartigen Abend, zu dem das Jazzfest Bonn eingeladen hatte, dass in ihm immer noch der radikale Veränderer ist. Was Liebman, der für Miles Davis auf “On the Corner” und “Get Up With It” spielte, im Jazz für das Sopran gemacht hat, ist ungeheuerlich. Er war es eigentlich, der das Sopran aus der reinen Balladenecke herausgeholt hat und seine Möglichkeiten bis zum Äußersten auszuschöpfen begann.
Und das Feuer brennt immer noch in seiner Brust – und die Liebe zur Musik. Wie kann ein Mann, der seit Jahrzehnten in Sachen Jazz unterwegs ist, der seinen Partner wahrscheinlich in- und auswendig kennt, wie es sonst nur alte Eheleute tun, wie kann solch ein Mann auf seinem Stuhl mitten im Saal sitzen und voller Hingebung mit geschlossenen Augen den Pianoimprovisationen lauschen? Das ist nur möglich, wenn zwei Musiker sich zur Aufgabe gemacht haben, mit Piano und Saxophon nichts anderes als die Extrapolation von Zeit und eigene, recht private harmonische Landschaften zu schaffen.
„Master of the Obvious“ nennen sie ein Stück, das auf ihrem aktuellen Album mit dem bezeichnenden Titel „Balladscapes“ erschienen ist. Das „Offensichtliche“ ist für die beiden die Kombination aus intelligenten Strukturen und gefühlvollem Aufbau, die auch eine gewisse Verspieltheit, ja Raum für Brüche zulässt. In seinem langen Solointro auf dem Sopran spielt Liebman mit den Resonanzen, die sein Spiel aus dem mächtigen Flügelkörper erklingen lässt. Die beiden werfen sich mit einer traumwandlerischen Sicherheit die Ideen zu, versinken gemeinsam auch mal in einem Thema lösen sich, lassen die musikalische Elektrizität zu einer gewaltigen Welle ansteigen, spielen sich in immer höhere Dimensionen, um dann jeweils immer wieder Platz für Soli zu schaffen. Wahrscheinlich muss man das nicht verstehen, wie sie das tun, wie sie zu erahnen scheinen, welche Melodien und Harmonien, welche rhythmischen Ausflüge der Andere vorhat. Die beiden mögen nicht mehr gut auf den Beinen zu sein, doch wenn sie musizieren, dann entwickeln sie eine tänzerische Perfektion wie es nur Fred Astaire und Ginger Rogers verkörperten. Sagenhaft!
Jacob Karlzon ist auch einer, der sich nicht um Grenzen schert. „Ich habe Probleme mit Autoritäten“, sagt der Pianist einmal lachend. Er sei „Tyrann und Rebell in einem“. Auch wenn der Schwede bei seinem ersten Stück „On The Horizon“ weitgehend in den mittleren Registern verbleibt, so schafft er dennoch erstaunliche Klanglandschaft, Träumereien über den Wolken. Dass er auch anders kann, beweist er mit Stücken wie „Around“, der mit hämmernden Akkorden beginnt und rasante Konturen annimmt. Karlzon poliert die gesamte Tastatur, ein musikalischer Ritt mit der Schnellbahn. „Dirty“, sagt er sei inspiriert von den gewaltigen Ausbrüchen der Nu-Metal-Band Korn: Die Akkorde bersten, die Töne rollen in kraftvollem Crescendo, es scheppert und rasselt, um dann aber bei Coldplays „White Shadows“ wieder in elfengleiche Tänze zu wechseln. Das Publikum wollte zu recht mehr!