Ruhige Pastellfarben: Dominic Miller „Absinthe“

Dominic Miller FOTO: Christoph Bombart ECM Records

Dominic Miller
Absinthe
Veröffentlicht am 1. März 2019
Label: Ecm Records (Universal Music)

Mit „Absinthe„, seiner zweiten Veröffentlichung für ECM, hat Gitarrist Dominic Miller ein Album geschaffen, das von einer ruhigen, pastellfarbenen Atmosphäre geprägt ist. „Das erste, was mir bevor ich irgendwelche Songs schrieb, kam, war der Titel“, sagt er. „Ich lebe in Südfrankreich und bin vom Impressionismus fasziniert.“ Das sollte man hören. Doch die stimmungsvollen musikalischen Darstellungen sind nicht von ausdrucksstarken Momentaufnahmen geprägt. Das Album ist mir doch auf Dauer etwas zu kraftlos.

Von Mike H. Claan

„Dieser scharfe, leichte verhexte Mistral, kombiniert mit starkem Alkohol und intensivem Kater, müssen einige dieser Künstler in den Wahnsinn getrieben haben. Der Himmel grün, die Gesichter blau, die Perspektive verzerrt“, sagt Miller. Während Millers ECM-Debüt „Silent Light“ die Intimität im Solo- und Duo-Bereich betonte, versucht Gitarrist mit „Absinthe“ seine  lyrischen Kompositionen mit einem Quintett zum texturierten Leben zu bringen. Das gelingt nicht immer.

Nylon- und Stahlsaiten

Miller, der zwischen Akustikgitarren aus Nylon- und Stahlsaiten wechselt, hat im Bandoneon von Santiago Arias eine harmonisch-melodische Begleitung gefunden, die indes gerne etwas lebhafter eingesetzt werden könnte. Die Präsenz der Drums von Manu Katché, setzten empathische Akzente.  Mike Lindups Keyboards verleihen dem Titeltrack tatsächlich einen unwirklichen Eindruck, während der Bassist Nicholas Fiszman den Sound als Ausgangspunkt nimmt.

Millers Akustikgitarre und Schlagzeuger Manu Katché sorgen auf dem Titeltrack mit wirbelnden Becken für den Einstieg von Santiago Arias Bandoneon, das dem Projekt insgesamt eine bedeutende neue Klangfarbe gibt.

Leise rumpelndes Schlagzeug

„Mixed Blessing“ fällt durch ein Synthesizer-Solo von Keyboarder Mike Lindup auf, einen kontrastierenden Sound. Das leise rumpelnde Schlagzeug und die Gitarre von „La Petite Reine“ erinnern an den Vorgänger „Silent Light“.

„Étude“ und „Ombu“ beschleunigen das Tempo etwas, und das Schlagzeug erhält hier eine hervorgehobene Rolle: zweifellos ein guter Schachzug.

Miller hat zwar ein erweitertes musikalisches Konzept mit der größeren Band, und. Die Melodien sind immer noch kompakt, nutzen die Instrumentalkräfte jedoch nicht ausreichend für einen stärkeren Klangkontrast.

Background

„Absinthe“ wurde nicht nur in Südfrankreich konzipiert, sondern hier haben Miller und Band das Album auch aufgenommen und haben mit Manfred Eicher im Studio von La Buissonne, in Pernes-les-Fontaines, zusammengearbeitet. Das Ambiente war ideal, sagt Miller: “Es ist eine tolle Atmosphäre, in der man sehr gut arbeiten kann. Und ich liebe die Zusammenarbeit mit Manfred – er ist ein echter Produzent. Ich denke an die inspirierende Authentizität der Platten, die er mit Egberto Gismonti gemacht hat. Sie waren mir so wichtig.“

Die Essenz der Musik

“Für meine beiden ECM-Alben, und vor allem bei diesem neuen Album, war meine anfängliche Vorstellung von einem Song wie die eines einfachen Selfie”, erklärt Miller. “Wenn wir die Arbeit an einem Track erst einmal beendet haben, wird das Stück zu diesem angereicherten fotografischen Standbild, mit all dem Licht und Schatten des Lebens darin. Manfred hilft, die Essenz der Musik hervorzuheben und drängt uns dabei oft aus unseren Komfortzonen. Aber ich bin bereit dazu – wir haben jeden Song im Studio neu überdacht, neu gestaltet und interpretiert. Ich habe im Laufe der Jahre etwa 250 Pop- und Rock-Platten gemacht, und das ist oft ein Prozess zur Erreichung der sogenannten Perfektion. Aber Manfred ist nicht hinter dieser Art von Perfektion her.”

Geboren in Argentinien als Sohn eines amerikanischen Vaters und einer irischen Mutter, wuchs Miller ab dem Alter von 10 Jahren in den USA auf und ging dann in England weiter zur Schule. Die internationale Denkweise des Gitarristen wurde erst durch eine jahrzehntelange Weltreise mit Paul Simon, The Chieftains, Plácido Domingo und vor allem Sting vertieft. Miller ist seit langem als Stings rechte und linke Hand an der Gitarre bekannt unter anderem als Co-Autor von “Shape of My Heart”, La Belle Dame Sans Regrets und anderen Welthits.

Stings kreativer Harmoniesinn

“Ich bin von Stings kreativem Harmoniesinn beeinflusst worden und wie er Lieder formt”, sagt der Gitarrist. “Ich versuche das Gleiche zu tun, indem ich eine Erzählung mit Instrumentalmusik schaffe, die ich als Lieder behandle und arrangiere, mit Versen, Refrains und Brücken. Ich habe viel von ihm über Konzept und Anordnung aufgenommen, ebenso darüber, wie man eine Geschichte präzise erzählt.

Miller hörte jahrzehntelang Katchés einzigartigen rhythmisch-koloristischen Touch im Ohr, während Fiszman in der aktuellen Live-Gruppe des Gitarristen spielt. Das intuitive Spielverständnis zwischen Schlagzeug und Bass wird hier durch den Austausch in “Ombu” unterstrichen, einem Track, der nach einem Baum in Argentinien mit großen Wurzeln benannt ist. Dagegen entdeckte Miller erst vor kurzem Santiago Arias, dem er in Buenos Aires begegnete.

Wenn der Funken überspringt

„Ich war auf Tour dort und ging an einem freien Abend aus, um mir einen Jam mit einigen lokalen Spitzenmusikern anzusehen. Sie alle haben auf diesen jungen Bandoneonspieler hingewiesen. Als ich dann das Spiel von Santiago miterlebte – diese akustische, aber nicht-tango-artige argentinische Folkmusik, gemischt mit europäischen Einflüssen – fühlte ich sofort einen Funken überspringen. Ich habe die Musik von „Absinthe“ mit dem Timbre seines Instruments und seinem Raumgefühl im Kopf geschrieben.”

Arias’ Bandoneon spielt auf dem gesamten Album eine wichtige Rolle, sei es atmosphärisch in Stücken wie dem schattenhaften “Ténèbres” oder als solistische Stimme in “Saint Vincent”. Der Titel des letztgenannten Songs bezieht sich nicht auf Van Gogh, sondern auf den verstorbenen kamerunischen Gitarristen Vincent Nguini, einen langjährigen Mitmusiker von Paul Simon und eine Art Mentor für Miller. “Vincent hatte ein so besonderes Zeitgefühl, über das Schlagzeuger gerne reden”, sagt er. “Mit seinem einzigartigen Timing konnte man anhand nur weniger Noten hören, dass er es war.”

Der Titeltrack von „Absinthe“ beginnt mit Millers charakteristischem Nylonsaiten-Finger-Picking auf seiner japanischen Kleinkörpergitarre in einer “handwerklichen Präzision” wie sie nur ihm zu Eigen ist, wie die Irish Times es ausdrückte. Nach zwei Minuten melodischer Entwicklung mit Gitarre und Bandoneon setzt Katchés Beat druckvoll ein, verstärkt durch Fiszmans tiefen Bass. Das Stück nimmt sofort das Drama einer Geschichte auf, wobei Lindups Synthesizer-Linie subtil wie ein Gespenst durch das Arrangement surrt und der Erzählung etwas Jenseitiges hinzufügt.

Song über Kräutertee

“Ich wollte, dass der Synthesizer ein störendes Element darstellt, wie z.B. eine durch Absinth hervorgerufene Benommenheit”, erklärt Miller. “Ich kenne Mike seit Jahren und vertraue implizit darauf, was er in meine Musik einbringen kann, sei es ein Hauch von unkonventionellem oder fließendem Klavier, wie bei Etude und Verveine. Das letzte Lied ist übrigens nach einer Art Kräutertee benannt, den sie besonders in Frankreich trinken und den ich sehr gerne mag. Es ist angeblich gut gegen Kater, also schätze ich, dass die alten Maler es als beruhigendes Gegenmittel nach den durch den Absinth-Genuss ausgelösten Visionen benutzt haben könnten.” (Quelle: Qurious)