Youn Sun Nah „Immersion“ ist ein echtes Juwel

Youn Sun Nah
Immersion
Erscheinungsdatum: 22. März 2019
Label: Warner Music International (Warner)

Youn Sun Nah ist eine Sängerin, die auf so intime und eindringliche Art singt, dass man meint, sie steht direkt neben dir. Und genauso makellos ist auch wieder ihr aktuelles Album Immersion produziert. Ein Juwel.

Von Mike H. Claan

Youn Sun Nah ist eine eindrucksvolle Künstlerin. Und wer sie schon mal live gesehen hat (Köln, Bonn), der erlebt hautnah, in wieviel Wesen sich diese zierliche Frau innerhalb ihres Programms verwandeln kann. Ihre Stimme ist ein Wunder – von abstrakten Geräuschzüchtungen über engelgleiches Säuseln bis zu satanischen Ausbrüchen. Und das Ganze bringt sie mit einer Perfektion auf die Bühne, die atemstockend ist.

Sechs Eigenkompositionen, sieben Covers

Auf ihrem neuen Album präsentiert sie nun sechs Eigenkompositionen und sieben beeindruckende Coverversionen, darunter eine radikal gedrosselte Interpretation von Marvin Gayes „Mercy Mercy Me“ und des alten Motown-Hits der Supremes „You Can’t Hurry Love“, das sie vor allem in der Version von Phil Collins liebt, wie sie zugibt. Leonard Cohens „Hallelujah“ singt sie unerwartet charmant spröde und in tiefer Tonlage. Die Version hätte Cohen gefallen.

Die Instrumentierung ist gewohnt sparsam: Neben ihrem eigenen Kalimba-Spiel kommen Sounds von  drei französischen Elektro-Jazz-Klangkünstlern:  von Produzent und Multiinstrumentalist Clément Ducol sowie von Cellist und Schlagzeuger Pierre-Francois Dufour und Bassist Laurent Verney. Das macht die Songs so unmittelbar.

Ins Mark gehende Interpretation

Das gesamte Album ist, wie es der Titel Immersion verspricht, ein Eintauchen, Versinken in die lyrische Welt der Youn Sun Nah. Bezaubernd ist ihre Vertonung eines Gedichts des arabischen Dichters Dschalāl ad-Dīn Muhammad ar-Rūmī, vertieft und andächtig George Harrisons „It’s a Pity“. Den zornigsten Ausbruch hat sie beim amerikanischen Folksong „God’s gonna cut you down“, den Johnny Cash so bekannt gemacht hat – und an ihn muss man auch die ganze Zeit denken, wenn sie unnachgiebig und voller Inbrunst die Zeilen sing: „My head’s been wet with the midnight dew/I’ve been down on bended knee talkin‘ to the man from Galilee/He spoke to me in the voice so sweet/I thought I heard the shuffle of the angel’s feet.“ Eine ins Mark gehende Interpretation, ein tolles Album!

Background:

In jungen Jahren sang sie in ihrer südkoreanischen Heimat in Musicals, war in klassischen Ensembles zu erleben, stellte dann aber für sich fest, dass ihr die Welt der festgelegten Töne auf Dauer zu eng werden würde. Also beschloss sie 1995, Seoul in Richtung Paris zu verlassen, um sich an der Seine mit Chanson und Jazz zu beschäftigen. Es war kein Bruch mit der Vergangenheit, eher eine Erweiterung der Möglichkeiten des Ausdrucks. Denn Youn Sun Nah entwickelte eine individuelle Dramaturgie gesanglicher Gestaltung. Ihre Lieder entfalteten hypnotische Intensität, die einer Mischung aus Innerlichkeit, Perfektionsdrang und intuitivem Verständnis der richtigen Balance von Ernst und Emotionalität entsprang. Das Resultat war beeindruckend. Bald hing ihr bei Konzerten das Publikum gebannt an den Lippen und folgte den musikalischen Geschichten, die sie zu erzählen hatte.

Youn Sun Nah beim Jazzfest Bonn -c-Lutz-Voigtlaender/JFB

Von da an war es eigentlich nur noch eine Frage der richtigen Partner und des passenden Repertoires, um aus der Newcomerin einen Star werden zu lassen. Youn Sun Nah schloss ihre Ausbildung in Beauvais und am renommierten Centre d’Information Musicales ab, sammelte Preise, tourte durch Europa und Südkorea. Über das vergangene Jahrzehnt hinweg wurde Youn Sun Nah zum Headliner von Festivals, füllte die großen Hallen, merkte aber auch, dass sie sich neu orientieren musste, um nach diesen Erfolgen den nächsten Schritt gehen zu können. So schlug sie einerseits wieder Zelte in Seoul auf, studierte traditionelle Musik, aber auch die aktuelle, international erfolgreiche Klangkultur des Landes.

Von Bob Dylan bis Joni Mitchell

Zeitgleich wandte sie den Blick nach Amerika und nahm mit befreundeten Musikern Kontakt auf, die ihr verschiedene Spielarten des Folk nahebrachten. Sie beschäftigte sich intensiv mit der Ideenwelt von Bob Dylan bis Joni Mitchell und fand Wege in eine Richtung, die sie inzwischen konsequent weiter beschreitet.

Immersion ist daher ein stilistisch weit gefächertes Album, ein Eintauchen in viele Welten, von der andalusischen Klassik der „Asturias“ über die Motown-Unbeschwertheit à la „You Can’t Hurry Love“ und die Nachdenklichkeit von Marvin Gayes „Mercy Mercy Me“ bis hin zu Leonard Cohens profundem Pathos in „Hallelujah“.

Nur verändert Youn Sun Nah die Vorlagen so nachhaltig, dass die Lieder nicht nur neue Geschichten fernab der ursprünglichen Versionen erzählen, sondern sich in eigene Mysterien verwandeln. Hier kommt eine Stimme, die beim Hören fesselt. Eine Persönlichkeit, die ihre Mischung aus Ernst und Empathie in die Musik trägt, ohne damit gravitätisch zu werden. Ein Phänomen, dem der Produzent und Pianist Clément Ducol (Camille, Melodie Gardot) oder auch Musiker wie der Schlagzeuger und Cellist Pierre-François Dufour zum passenden, ebenso reduzierten wie pointierten Klanggewand verhelfen. In der Summe Youn Sun Nah mit „Immersion“.

Livetermine:

07.05.  München, Muffathalle
20.05.  Allensbach, Jazz am See – ausverkauft
21.05.  Freiburg, Jazzhaus
23.05.  Düsseldorf, Savoy Theater
24.05.  Worpswede, Music Hall
25.05.  Oldenburg, Kulturetage
27.05.  Heidelberg, Stadthalle
28.10. Berlin, Kammermusiksaal (Vorverkauf startet in Kürze)
29.10. Hamburg, Kulturkirche Altona (Vorverkauf startet in Kürze)