Von Dylan Akalin
Es ist ein sentimentales Missverständnis, das Sänger Dante Gizzi während des Auftritts der schottischen Hardrock-Band Gun in Bonn verkündet. „30 Jahre ist es her, seit wir das letzte Mal hier gespielt haben“, behauptet er – doch die tatsächlichen 35 Jahre seit ihrem Konzert in der Biskuithalle im Jahr 1989 machen den Moment nur umso nostalgischer. Damals stand noch Mark Rankin am Mikrofon, doch Gitarrist Giuliano „Jools“ Gizzi war schon Teil der Band, die sich von der Glasgower Szene aus aufmachte, die Rocklandschaft zu prägen. Am letzten Abend des traditionsreichen Crossroads Festivals in der Harmonie Bonn führte die Band die Zuhörer in eine Zeit zurück, die in ihrer rohen Energie kaum an Aktualität verloren hat.
Bevor Gun die Bühne betritt, dröhnen die Klänge von „Delilah“ in der Version der Sensational Alex Harvey Band aus den Lautsprechern – eine augenzwinkernde Hommage an ihre schottischen Wurzeln. Dann eröffnet die Band ihr Set mit „Lucky Guy“, ein Auftakt, der die markante Mischung aus melodischem Rock und stürmischer Energie vorwegnimmt, die den Abend bestimmen sollte.
„Don’t Say It’s Over“
Das Publikum ist von Beginn an voll dabei, und spätestens bei „Don’t Say It’s Over“ erreichen die euphorischen Mitsing-Chöre eine beachtliche Lautstärke. Während das Stück seine Wucht entfaltet, springen und tanzen die Fans begeistert, und Drummer Paul McManus gibt mit seiner athletischen Performance den Takt vor. Gun beweist in jedem Moment ihre ungebrochene Bühnenpräsenz – trotz der Jahre, die vergangen sind, strahlen sie die gleiche Energie aus wie zu ihren Hochzeiten.
„All Fired Up“ überrascht mit einem Intro, das an Billy Idols „Rebel Yell“ erinnert, bevor der Song in eine optimistische Bon-Jovi-eske Hymne übergeht. Der Spagat zwischen Härte und Eingängigkeit, den Gun hier gelingt, zieht sich durch das gesamte Set. Bei „Welcome to the Real World“ zeigt Ruaraidh MacFarlane an der Gitarre, dass er nicht nur für dynamische Rhythmen, sondern auch für exzentrische, aggressive Soli zu haben ist – ein Spannungsbogen, der das Publikum mitreißt. Hier ähnelt der Gesang stark an Huey Lewis.
„Falling“
Im Intro zu „Falling“ zupfen beide Gitarristen die Saiten ihrer Instrumente unisono, was ein wunderschönes Raumgefühl erzeugt. Die anfängliche Zärtlichkeit der Ballade weicht einem hymnischen, emotionalen Finale – Gun kann eben neben kraftvolle Rockhymnen auch tief empfundene Momente schaffen.
Mit ihrem Cover von Cameos „Word Up“ verleihen Gun dem Funk-Klassiker eine rockige, schmutzige Note. Giuliano Gizzi entfesselt zuerst einige griffige Riffs, bevor er in ein melodiöses Solo übergeht, das die Fans zum Jubeln bringt. Der neue Song „Take Me Back Home“ schlägt in die gleiche Kerbe: frischer Rock ’n‘ Roll mit einem hohen Spaßfaktor, der keine Sekunde an Relevanz verloren hat.
„Better Days“ und „Inside Out“
Mit Klassikern wie „Better Days“ und „Inside Out“ katapultieren Gun das Publikum zurück in die späten Achtziger – die Fankultur von damals lebt weiter. Besonders bei „Steal Your Fire“ übernimmt das Publikum die unvollendeten Liedzeilen, als ob die Zeit stehengeblieben wäre. Das düstere „Shame on You“ bringt einen Hauch von New Wave auf die Bühne, bevor Gun mit dem Beastie-Boys-Cover „Fight For Your Right“ das Set fulminant abschließt. Der rebellische Geist und die unbändige Energie des Stücks setzen den Schlusspunkt unter einen Abend voller Euphorie, bei dem kein Moment an Intensität verloren ging.
Scorpion Child aus Austin/Texas
Als zweite Band des Abends kommt Scorpion Child aus Austin/Texas auf die Bühne. Scorpion Child gilt seit ihrem Debüt im Jahr 2013 als eine der bemerkenswertesten Bands im modernen Hardrock, die gekonnt die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwebt. Tatsächlich ist ihr Sound tief in den Wurzeln der 1970er-Jahre verwurzelt, doch statt bloßer Nostalgie kreieren sie etwas Eigenständiges und Zeitgenössisches. Der Start mit fetten, düsteren Riffs verspricht einiges. Mit Einflüssen von Bands wie Led Zeppelin, Deep Purple und Black Sabbath, sowie den schwereren und dunkleren Tönen von Bands wie Pentagram und den Sisters of Mercy, ist ihre Musik ein Kaleidoskop aus Heavy-Riffs, Blues-Energie und psychedelischen Klanglandschaften. Allerdings wirkt das Konzept auf mich im Laufe des Abends immer zerfaserter. Es blitzen immer wieder geniale Momente auf, wie etwa die unisono gespielten Gitarrenlinien bei „Be A Snake“ und die Gitarre, die uns wie Peitschenhiebe trifft. Ganz großartig.
Das Markenzeichen der Band ist ihre unbändige Bühnenenergie. Frontmann Aryn Jonathan Black verkörpert diese Dynamik perfekt, seine stimmliche Kraft erinnert wird oft mit der von Robert Plant und Steven Tyler verglichen. Das geht etwas zu weit. Vielleicht ist damit die theatralischen Bühnenpräsenz gemeint. Dennoch. Der Mann hat was in der Stimme, das einen packt.
Packende Stimme: Aryn Jonathan Black
Scorpion Child gelingt es, das Publikum in ihre dichte, hypnotische Soundwelt zu entführen, in der schwere Blues-Riffs auf fesselnde Melodien treffen. Die aktuellen Bandmitglieder – Black am Gesang, Asa Savage und Adrian Arostone an der Gitarre, Garth Condit am Bass und Ryan Cinder Henderson am Schlagzeug – schaffen es, eine Balance aus Chaos und Präzision – manchmal habe ich aber das Gefühl, dass die Gesangsparts nicht immer mit der Instrumentierung harmonieren.
Trotz zahlreicher Besetzungswechsel hat sich die Band nie von ihrem Kernsound entfernt, der durch seine massiven Gitarrenriffs und die dichten Klangteppiche besticht. Live entfaltet sich die Wucht dieser Band: „She Sings, I Kill“ war eines der Highlights des Auftritts – was vor allem an der Struktur und den Einsatz von Soundeffekten wie brechenden Flanger-Gitarren geschuldet ist.
Beim Publikum kommt die rohe Energie der Band gut an. Dazu gehören auch die vielen epischen, ausgedehnten Jams wie konzentrierte, knackige Riffs in den Songs. Scorpion Child ist laut – und auf jeden Fall intensiv.