Orchestral Manoeuvres In The Dark: Interview mit Andy McCluskey und Paul Humphreys

OMD FOTO: Mark-McNulty

Andy McCluskey (58) und Paul Humphreys (57) sind Orchestral Manoeuvres In The Dark. Mit „The Punishment Of Luxury“ veröffentlichen die britischen Synth-Pop-Pioniere, kurz OMD, jetzt ihr 13. Studioalbum bei RCA Deutschland (CD-Kritik hier). Der Longplayer ist der Nachfolger des von den Kritikern hochgelobten Albums „English Electric“ aus dem Jahr 2013. Komponiert, aufgenommen, produziert und abgemischt wurden die zwölf Songs von den beiden OMD-Gründungsmitglieder.

Euch ist es bislang immer darum gegangen, Konzepte großer Ideen umzusetzen – seien es Sound- oder visuelle Konzepte. Fällt Euch das schwer, so konzeptionell zu arbeiten und nicht, wie andere Bands, einfach nur eine Reihe von Songs zu schreiben?

Andy McCluskey: Ja, wir setzen uns tatsächlich unter Druck. Aber der Grund, warum wir eine Band gründeten, war, weil wir etwas tun wollten, das intellektuell anspruchsvoll und musikalisch befriedigend war. Also, ja, es ist schwer, und wir sind stolz auf das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben. Also, wenn wir neue Platten machen, dann müssen sie unserem Anspruch genügen.

Ihr braucht also eine „große Idee“? Wie geht das vor sich?

Paul Humphreys: Wir sind nicht die Art von Band, wo einer am Klavier sitzt und Melodie und Akkorde knallt. Wir beginnen ganz anders. Wir beginnen mit einer Idee, einem Klang oder einem verrückten Sound und ganz oft … Sie wissen vielleicht, dass wir oft erst mit der Backing-Track beginnen. Die Melodie kommt meistens als Letztes dazu. Wir schaffen zunächst die Idee und die Soundstruktur und dann erst die Melodie.

Der Titel des neuen Albums ist einem Bild von Giovanni Segantini. Was hat Euch an diesem Bild so angezogen?

Andy McCluskey: Ich liebe dieses Gemälde schon seit 40 Jahren. Es hängt in der Walker Art Gallery in Liverpool. Es ist ein seltsames Bild, denn eigentlich ist es, ehrlich gesagt, eine Misogynie, es sind schlechte Mütter, die im Fegefeuer schwimmen. Ich mag das Gemälde. Seine Bedeutung …  ich weiß nicht… Aber wir haben den Titel genommen und meinten etwas anderes.  Ich habe 40 Jahre lang auf ein Lied mit dem Titel „Punishment of Luxury“ gewartet. Wir haben das Lied geschrieben und dann haben wir gedacht: ‚Oh, es funktioniert auch als Titel für das ganze Album‘.

Es hat in den späten 70er, frühen 80er Jahren mal eine Punk beziehungsweise Post-Punk-Band mit diesem Namen gegeben. Das Bild scheint große Anziehungskraft zu haben. Es ist ein Ölgemälde, das Segantini 1891 gemalt hat und es zeigt diese schwebenden Frauenfiguren in der eisigen Landschaft. Segantini hat ja eine ganze Serie über diese „schlechten Mütter“ (‚la Mala Madre‘) gemalt. Habt Ihr eigentlich versucht, das Bild als Artwork für das Album zu bekommen?

Andy McCluskey: Nein, denn dieser irgendwie spät-viktorianische, irgendwo italienische Pointilismus passt ja dann doch nicht zu OMD. Wir sind dann doch viel modernistischer.

Von wem ist das Artwork denn dann?

OMD: FOTO: -Mark-McNulty

Andy McCluskey: Das ist eigentlich eine Auftragsarbeit. Wir haben ein Gemälde von einem Künstler in Liverpool malen lassen, der John Petch heißt. Wir hatten keine Ahnung, was er machen würde. Als er uns die beiden Gesichter zeigte, dachte wir gleich: „Oh ja, das ist perfekt!“

Der legendäre Designer Peter Saville war also diesmal nicht an der Gestaltung des Covers involviert?

Andy McCluskey: Das ist tatsächlich das erste Cover, an dem er nicht beteiligt ist.

Er war doch bislang an allen OMD-Kunstwerken von der Debüt-Single „Electrity“ im Jahr 1979 auf Factory Records bis jetzt beteiligt, oder?

Andy McCluskey: Ja, so ziemlich an allen, es gab mal welche Mitte, Ende der 80er, die er ebenfalls nicht gestaltet hat. Das ist also nicht das erste Mal, dass wir auf andere Künstler/Designer zurückgegriffen haben.

Was hat es denn nun mit diesem Titel auf sich?

Andy McCluskey: Die wesentliche Bedeutung von „Punishment of Luxury“ ist, … dass die meisten Menschen in der heutigen westlichen Welt doch viel materialistischer eingestellt sind, als alle Generationen vor uns, aber sie sind nicht glücklich. Wir haben die imaginäre Ordnung von Religion und königlichen Erlassen für die imaginäre Ordnung des kommerziellen Wesens ersetzt. Und jeder sagt es, aber die Realität ist seit mehreren Jahrzehnten, dass unser Konzept von uns und unseren Werten und unserer Fähigkeit zu Lieben doch von Marketing-Männern bestimmt wird, die sagen: „Du bist nicht der Liebe wert, wenn du dieses neue Produkt nicht besitzt.“ Das ist wahr. Und das ist die Bestrafung des Luxus. Wir haben mehr – aber wir sind alle unglücklicher.

Was sind deine persönlichen Highlights auf dem Album?

Paul Humphreys: Ohh… Besonders gefällt mir „As We Open So We Close“, weil wir schon seit ein paar Jahren Glitch-Music lieben…

Das ist diese Elektronik-Musik, die in den späten 90ern als eine Art „Ästhetik des Fehlers“ entwickelt wurde: Alva Noto, Kim Cascone, Oval…

OMD: FOTO: Mark-McNulty

Paul Humphreys: … eine Bewegung in der elektronischen Musik, wo man praktisch Abfallprodukte nimmt, Zeug, das du normalerweise nicht verwendest: irgendwelche Klicks und Pops, die du zusammenschneidest und versuchst, Musik aus diesen Bits zu machen. Das ist eine sehr interessante Bewegung… es ist ein tolles Konzept, aber meistens ist es nicht sehr musikalisch. Und wir haben versucht, dieses Konzept zu nehmen und eine sehr musikalische Art von hörbarer Version von Glitch zu machen. Und „As We Open So We Close“  kommt dem am nächsten. Wir haben es ein paar Mal versucht, aber es ist sehr schwer, damit es funktioniert.

Andy McCluskey:  Ich mag “Robot Man”. Denn das ist ein OMD-Song, aber er ist wahrscheinlich der toughste, härteste und elektronischste Song, den wir je geschrieben haben. Wir versuchen immer etwas Neues auszuprobieren, damit die Musik interessant bleibt.

In den achtziger Jahren galtet ihr als Futuristen. Sind Visionen, Prophezeiungen oder Vorhersagen von Euch irgendwann Wirklichkeit geworden?

Andy McCluskey: Das Interessante ist doch,  dass es immer große Vorhersagen über die Zukunft gab und gibt, und sie werden niemals wahr. Große Technologien entwickeln sich immer viel langsamer als kleine Technologien. Also ich denke, dass in den fünfziger Jahren alle gedacht haben, jetzt hättest du deinen privaten Staubsauger und du würdest zur Arbeit in deiner Rakete gehen und du hättest eine Magd, die die ganze Arbeit im Haus macht. Das alles ist nicht passiert Aber kleine Dinge schon, sowas wie, dass du heute einfach jemanden am anderen Ende der Welt anrufen kannst.

Paul Humphreys… wie dieser Star-Trek-Kommunikator, Du weißt, dieses aufklappbare Teil. Ich habe damals als Kind gedacht: Mann, sowas willst du auch mal haben, aber du wirst sowas wahrscheinlich nie im Leben erleben.“

Andy McCluskey: Es ist immer interessant zu sehen, wie die Vorhersagen der Zukunft ausgehen. Ich meine, jeder redet zurzeit über Elektroautos, fahrerlose Autos … mein Sohn,  der 21 ist, denkt, wenn er in meinem Alter ist, wird es keine Benzinautos geben und niemand wird sein eigenes Auto fahren. Und ich denke, er könnte Recht haben, aber es wird interessant sein das zu sehen. Und auch, dass Roboter in den nächsten fünfundzwanzig Jahren mindestens fünfzig Prozent der Arbeitsplätze übernehmen werden. Das wird auch interessant werden.

Ihr gehört zu den einflussreichsten Bands der vergangenen vierzig Jahre. Wie soll man sich über Euch erinnern?

Paul Humphreys: Dass wir eine Band sind, die, immer tat, was sie fühlte. Ich denke, wir haben ein paar Fehler in unserer Karriere gemacht und haben wahrscheinlich einige Platten gemacht, die wir vielleicht gemacht haben, weil wir dachten, die müssten wir machen. Aber wir stecken eben auch in unserer Haut und haben auch Aufnahmen gemacht, die eher für uns selbst waren und nicht für andere Menschen. Das hat sicherlich für das Auf und Ab unserer Karriere gesorgt. Dafür haben wir uns aber unsere Integrität bewahrt.

Eure Synth-Pop-Zeitgenossen haben versucht, den amerikanischen Musikmarkt zu erobern, indem sie ihre Musik an den US-Geschmack angepasst hat: Human League mit R & B, Heaven 17 mit mehr Soul und Motown, und Depeche Mode mit Blues und Gospel. OMD hält nach wie vor an seinen Popwurzeln fest. Zahlt sich das aus?

OMD: FOTO: Mark-McNulty

Andy McCluskey: Mhm, das weiß ich nicht so recht. Im nachhinein denke ich, wir hätten nicht so viel Zeit in Amerika verbringen sollen. Ich wünsche, wir wären in den achtziger und neunziger Jahre unserem ursprünglichen Ethos treu geblieben, und das ist, elektronisch und intellektuell anspruchsvoll zu sein, aber das mit Schönheit und Musikalität zu mischen. Ich denke, dass wir die Qualität unserer Musik aus dem Auge verloren haben, weil wir kein Geld hatten, weil wir einen sehr schlechten Plattenvertrag unterschrieben hatten. Wir kamen zu einem Punkt, wo die Musik einfach nur zum Job wurde, und wir haben es damals nicht gesehen. Wir hatten einfach keine Zeit. Wir waren acht Monate am Stück auf Tour, und die Plattenfirma und das Management kam an und sagte: „Können wir nächstes Wochenende ein neues Album haben?“ Und die ersten zehn Dinge, die wir geschrieben haben, ob gut oder schlecht, waren das neue Album. Wir haben ein paar Alben gemacht, die nicht gut genug waren, und sie haben unseren Stil in eine Richtung geschoben, von der ich wünschte, dass wir sie nicht genommen hätten. Aber das Leben ist eine Reise, und manchmal gehst du die falsche Straße hinunter. Aber jetzt denken wir, dass wir wieder auf die Straße gekommen sind, die für uns richtig ist.

Paul Humphreys: Wir haben das Gefühl, dass wir wieder zu unseren Wurzeln zurückgekehrt sind. Irgendwie ist es, als hätte sich der Kreis geschlossen…

Andy McCluskey: Yeah, weißt du, manche Leute haben ihre Wurzel im Blues der 50er, unsere Wurzeln sind in Düsseldorf …

Ist Kraftwerk so ein Bezug? Wobei Kraftwerk ja im Prinzip nur noch ihr Werk verwaltet…

Andy McCluskey: Ralf Hutter ist im Grunde … er ist der Schöpfer eines erstaunlichen Musikwerks. Jetzt ist er der Kurator eines erstaunlichen Katalogs von Musik. Er ist wie der Direktor eines Museums, der er will, dass jeder die Qualität der Dinge, die er in der Vergangenheit geschaffen hat, sieht und schätzt. Vielleicht hat er Angst, etwas für die Zukunft zu tun. Es wäre sehr hart in seinem Alter – ich meine, er ist Mitte Sechzig –, etwas zu erschaffen, dass ebenso radikal und mächtig ist wie das, was er vor vierzig Jahren gemacht hat. Das wird sein Dilemma sein. Aber, weißt du, wenn du Musik gemacht hast, die so erstaunlich und revolutionär ist, wie die von Kraftwerk, die in den letzten vierzig Jahren den größten Einfluss auf die populäre Musik gehabt hatte, hat er jedes Recht, sein Vermächtnis zu kuratieren und keine neue Musik zu machen. Aber wir wollen immer noch neue Musik machen, solange wir glauben, dass sie gut ist.