Samstagnacht ging das viertägige Herbstfestival Crossroads 2012 des WDR Rockpalasts in der Bonner Harmonie zu Ende. Und man wundert sich geradezu, dass dieser Abend mit der großen Bluesrockhoffnung Kill It Kid aus England und der schwedischen Indie-Pop-Band Golden Kanine nicht ausverkauft war. Überhaupt: Das zweimal jährlich in Endenich stattfindende Musikfest für handverlesenen Rock, Blues, Singer/Songwriter, Indie-Pop ist wohl eine einzigartige Gelegenheit, erstklassige moderne Musik in gemütlicher Clubatmosphäre zu einem sensationellen Eintrittspreis zu erleben.
Von Dylan Cem Akalin
In der Studentenstadt Bonn müsste eigentlich jeder Abend ausverkauft sein. Das war indes erwartungsgemäß lediglich der Freitagabend, als der Höhepunkt des Festivals geboten wurde: Crippled Black Phoenix als Hauptband. Dennoch: Nicht mal 40 Euro für alle vier Abende, also für acht Bands beziehungsweise keine 15 Euro pro Abend beim Einzelticket – das ist sicherlich einmalig.
Fast ausverkauft startete das Festival am Mittwoch. Mit „Fired Up!“ eröffnete Royal Southern Brotherhood geradezu sanft ihr Konzert, nachdem das Samsara Blues Experiment aus Berlin mit lauten, wuchtigen Gitarrenriffs dem Publikum fast die Ohren wegbliesen – sie präsentierten sich jedenfalls eine Spur härter als auf ihrem Album „Revelation & Mystery“, das auch schon gewaltig daherkommt.
Dass die Royal Southern Brotherhood eine Menge Fans in die Harmonie lockte, wunderte nicht: Immerhin präsentierte der Rockpalast hier eine echte Supergroup – mit Cyril Neville, Gregg Allman’s Sohn Devon Allman, Blues Music Award-Gewinner Mike Zito, Bassist Charlie Wooton und dem Grammy-geadelten Schlagzeuger Yonrico Scott von der Derek Trucks Band. Während Allmans Gitarre beim ersten Stück schon fast an Santana erinnerte, zeigte er ab „Hurts my Heart“, wo der musikalische Hammer hängt. Die Truppe macht einen Southern-Rock mit Anklängen an Grateful Dead und natürlich die Neville Brothers. Die Musik groovt ohne Ende – Partyzeit in der Harmonie, oder um mit der Sprache der Band zu reden: „Gotta Keep Rockin’“.
Verträumt, geradezu märchenhaft ging es am Donnerstag los: Nive Nielsen & The Deer Children machen Lieder zum Fantasieren. Die Songs der Grönländerin, die bereits in ihrer Heimat als Fernsehstar diverser Kinder- und Jugendsendungen und neben Colin Farell in „The New World“ bekannt geworden ist, sind melancholisch, haben bisweilen einen Hang zum Düsteren, was sie aber mit einer freundlichen, stets lächelnden Leichtigkeit präsentiert. Sehr charmanter, verspielter, wundervoller Indie-Folk.
Warum die vierköpfige Indie-Rock-Band The Coronas aus Dublin in ihrer irischen Heimat bereits Kultcharakter hat und höchst erfolgreich ist, wird schlagartig klar, als sie die Bühne betritt. Es ist nicht nur der charismatische, sehr symphatische und attraktive Frontmann Danny O’Reilly – übrigens der Sohn der bekannten irischen Folksängerin Mary Black -, der das überwiegend junge, weibliche Publikum angezogen hat. Große Gefühle haben in dem bisweilen hymnischen Alternative-Rock der Iren durchaus Platz.
Ihr Debütalbum “Heroes or Ghosts” (2007), aus dem die Band das Titelstück präsentierte, hielt sich in Irland immerhin 74 Wochen lang in den Charts. Das Programm bestritten O’Reilly Graham Knox (Bass), Conor Egan (Schlagzeug) und Dave McPhillips (Gitarre), die sich seit ihrer Schulzeit kennen, vor allem aus den Alben “Tony Was an Ex-Con“ (2009) und „Closer to You“ (2011), übrigens alle absolut empfehlenswert. Mit ihrer begeistert vorgetragenen Musik überzeugte die Band an diesem Abend sicherlich auch manchen Skeptiker. Songs wie „Mark My Words“ aus dem aktuellen Album hätten es jedenfalls verdient, auch in Deutschland die Charts zu stürmen. Ohrwurmverdächtig.
So mancher hätte vielleicht gar nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn es die schwedische Hardrock Band Abramis Brama am Freitag nicht zum Festival geschafft hätte. Nicht weil sie schlecht gewesen wäre, nein, aber gegen die Hauptband des Abends, Crippled Black Phoenix, hatte die Band kaum eine Chance. Und in der Tat sah es bis kurz vor Beginn des Konzertabends so aus, als würden die Schweden nicht rechtzeitig ankommen.
Crippled Black Phoenix hatte sich schon bereit erklärt, ein dreistündiges Konzert abzuliefern – für die Engländer eine normale Konzertlänge. Manche Stücke haben locker eine Länge von 20 Minuten.
Abramis Brama sind derzeit auf Europatour und erreichten Bonn erst spät, mit ihrem Bus aus Berlin kommend. Die Umstände erklären vielleicht, warum Sänger Ulf Torkelsson bisweilen recht hektisch wirkte, da konnte auch die überzeugende Gitarrenarbeit von Per-Olof „Peo2“ Andersson nicht viel helfen.
Dann also endlich Crippled Black Phoenix. Und die bange Frage, ob die Artrocker ohne Sänger Joe Volk bestehen könnten, war schnell mit einem eindeutigen Ja beantwortet. Die beiden Masterminds und Gitarristen der Band, Justin Greaves und Karl Demata geben unumwunden zu, von den frühen Pink Floyd beeinflusst zu sein, davon bezeugen schon diese enthusiastischen und überwältigenden Gitarrensoli von Demata. Allerdings steht nicht das Kopieren alter Stile im Vordergrund, nein, sie haben die Musik von Pink Floyd konzeptionell weiterentwickelt, völlig unverklärt. Das ist vielleicht die Musik, die David Gilmore, Roger Waters, Nick Mason und Richard Wright machen würden, wenn sie heute 20 Jahre alt wären. CBP haben nicht nur einen politisch-philosophischen Anspruch an ihre Texte, die Klangteppiche, die sie weben, sprengen irdische Dimensionen. Greaves, Demata, der neue Sänger John E. Vistic, Christian Heilmann (Bass), Mark Furnevall (Keyboards), Miriam Wolf (Piano und Gesang), Mark Ophidian (Keyboards) und Ben Wilsker (Drums) machen klar: Nur der Himmel ist ihre Grenze.
Kriegt eigentlich irgendjemand, der am Samstag beim letzten Crossroads-Abend war, „Wild and wasted waters“ noch aus dem Ohr? Das Stück ist eine Verneigung der blutjungen britischen Bluesrock-Truppe Kill It Kid an den Bluesmusiker Blind Joe Taggart, dessen verkratzte Stimme („Strange Things Happening in the Land“) zu Beginn aus dem Off kommt, dann steigt Chris Turpin herzzerreißend ein – ein hinreißendes Klagelied über einen geliebten Verstorbenen. Das Quartett aus dem britischen Bath, zu dem noch Stephanie Ward (Gesang/Piano), Marc Jones (Drums) und Dom Kozubik (Bass) gehören, waren vielleicht die große Überraschung des Crossroads-Festivals, das Samstagnacht zu Ende ging. Irgendwo zwischen traditionellem Blues, Jack White, Siouxsie and the Banshees, Americana und Grunge liegend, spielen sie einen so eigenwilligen, bisweilen recht schrägen und wilden Bluesrock, der absolut fasziniert und auch über so manche technische Pannen mit dem Equipment am Samstagabend hinwegsehen lässt.
Mit dem Klagelied „Arkham“, eine Anspielung auf die fiktive Stadt, die in Erzählungen von H.P. Lovecraft vorkommt, startet die zweite Band des Abends ihr Set. Die schwedische Band Golden Kanine machen schon mit ihrer für Indie-Pop ungewöhnliche Instrumentierung, zu der Bariton-Saxofon, Trompete, Banjo und Mandoline gehören, klar, dass sie einen völlig eigenen Weg gehen. Ihre zwischen LoFi, Post-Rock und eben Indie-Pop liegenden sehr poetischen und melancholischen Songs mit Anklängen an Country und osteuropäischen Folk würden zu einer bizarren Trauerfeier passen, die völlig aus dem Ruder läuft. Den Song „Scissors“ etwa startet die Band am Samstag als New Orleans-Trauermarsch, der in eine Polka übergeht, um dann als englisches Trinklied zu enden. Der Kultregisseur Jim Jarmusch hätte seine Freude an dieser Kapelle gehabt.