Das North Sea Festival in Den Haag ist das größte der Welt
Von Cem Akalin
Wer das nötige Kleingeld hat, könnte sich auf eine Weltreise begeben von Jazz Festival zu Jazz Festival. Vom Wolf Trap’s Jazz & Blues Festival in Wien zum Umbria Jazz in Perugia, weiter nach Montreux, nach Den Haag und Nizza, nach Pori in Finnland, schließlich über Kansas City zum Hawaii International Jazz Festival und weiter zum Nippon Express Newport Jazz Festival in Japan. Das größte Jazz Festival der Welt jedoch ist nur wenige Autostunden von Bonn entfernt: das North Sea Jazz Festival vom 8. bis 10. Juli in Den Haag mit rund 1000 Künstlern, die täglich auf insgesamt 13 Bühnen gut acht Stunden Live-Musik und einige interessante Begegnungen bieten.
So viele Definitionen es von „Jazz“ gibt, so groß ist das Angebot des North Sea Jazz Festivals. Neben Legenden wie Oscar Petersen, Gerry Mulligan, Betty Carter und Lionel Hampton sind vor allem die „jungen Löwen“, wie die Neo-Traditionalisten um die Brüder Marsalis seit den 80er Jahren genannt werden, vertreten. Mit Spannung dürfte der Auftritt des Roy Hargrove Quintett erwartet werden. Der junge Trompeter hat gerade zusammen mit Johnny Griffin, Stanley Turrentine und Joe Hendersen ein Projekt für die Plattenfirma Verve realisiert: „Tenors of Today“.
Den großen Tenorsaxophonisten hat die Festivalleitung die Jan Steen Halle für den Freitag reserviert: Um 18 Uhr beginnt Charles Lloyd mit seinem Quartett. Danach spielen Griffin, Joshua Redman und Turrentine. Welche „guest tenors“ dann bei Hargrove mitspielen, dürfte klar sein.
Lloyd hatte sich seit den 70er Jahren in Meditationen mit seinem Lehrer Maharishi Mahesh Yogi zurückgezogen. Auf „Weavings“ (1978) spielte er nur noch Flöte und chinesische Oboe. Breite Sounds, geradezu pastorale Szenen dominierten auf der Platte. Erst vor vier Jahren schwamm er aus den Tiefen der Stille wieder an die Oberfläche des Jazzmeeres und präsentierte eine bemerkenswerte Platte mit dem vieldeutigen Titel „Fish Out Of Water“. Darauf spielt er erstaunlich frisch. Auch die Blues-Wurzeln des in Memphis geborenen Saxophonisten sind wieder unüberhörbar. Lloyd spielte in den frühen 60er Jahren unter anderem mit B.B. King, der übrigens auch nach Den Haag kommen wird.
Auch Hendersons Spiel wurzelt im Blues. Doch anders als Lloyd ist er ein Grenzgänger zwischen den Formen des Hard Bop, des Modern Jazz und seines eigenen souligen Stils. Turrentine hat in den Balladen einen warmen, intensiven Ton, in den schnellen Stücken ein kehliges Vibrato.
Johnny Griffin ist ein echter Publikumsliebling, nicht nur, weil seine geradezu halsbrecherisch schnellen Tempi gerade live ein faszinierendes Erlebnis sind, sondern auch, weil er ein humorvoller Mensch ist. Ein weiterer „Löwe“ und Höhepunkt des North Sea Jazz Festivals ist neben dem „Präsidenten“ der Neo-Traditionalisten, Wynton Marsalis, der Trompeter Terence Blanchard. Er hat sich in den vergangenen Jahren vor allem einen Namen bei einem breiten Publikum mit der Komposition von Filmmusiken für Spike Lee gemacht. Blanchard, 1962 in New Orleans geboren, kennt die Marsalis Brüder schon seit der Schulzeit und folgte ihnen an das renommierte New Orleans Center for the Creative Arts, sein Lehrer war Ellis Marsalis. Nach einer Lehrzeit bei Lionel Hampton holte ihn Wynton Marsalis zu Art Blakeys Jazz Messengers. Auf Platten wie „Dr. Jeckyll“ (1985) ist noch der große Einfluß von Miles Davis zu hören. Blakey soll ihm eines Tages gesagt haben: „Ich will, daß du einen Scheiß drauf gibst zu klingen wie andere. Du bist jetzt ein Jazz Messenger und mußt hart an deinem eigenen Sound arbeiten.“ Den hat er heute ohne Zweifel. Seine neueste Produktion, eine Hommage an Billie Holiday, zeigt es. Sie wird in Den Haag vorgestellt.
Weitere interessante Begegnungen: Der „junge Löwe“ Philip Harper tritt zusammen mit dem Metall-Boper Randy Brecker auf. Multiinstrumentalist und Miles Davis‘ Freund Marcus Miller spielt mit Kenny Garrett, der auch als phantasievoller Improvisateur in Miles Band auffiel; Bassist Stanley Clark mit dem Gitarristen Al Di Meola und dem französischen Geiger Jean Luc Ponty. Sehr interessant dürfte auch das Zusammenspiel der Gitarristen John Scofield und Pat Metheny werden. Scofield, ehemals Sideman von Miles Davis, hat ein ungeheures Repertoire an Techniken („Flat Out“, 1990). Mühelos vermag er von einem funky Heavy-Metal auf einen klaren, geradezu ätherischen Ton zu wechseln. Das Verhältnis zum folk- und westcoast-orientierten Metheny kann gegensätzlicher kaum sein. Also: Man muß keine Weltreise machen, um auf seine (Jazz)Kosten zu kommen. Für Hotel und Karten: Convention Travel International BV, Postfach 82170, 2508 ED Den Haag – Die Niederlande, Fax: 31-70-351 28 33, Tel: 31-70-354 41 11