Von Dylan C. Akalin
Es gibt nicht mehr viele wie ihn. Cool, professionell, glaubwürdig mit jedem Song, den er präsentiert, ein hervorragender Unterhalter, ein Mann mit einer Stimme, die alles in sich vereint: das Scheitern, den Schmerz, die Lebenslust, Liebe und Zorn, Enttäuschung und Kampfeswillen. Schwarzer Hut, Sonnenbrille, dunkelgraues Hemd, schwarze Hose. Der Mann, der im kommenden Jahr seinen 80. Geburtstag feiert, betritt langsam und vorsichtig die Bühne, während das Publikum ihn schon enthusiastisch feiert. Kein Wunder. Er ist ein Garant für einen fantastischen Konzertabend, den er wieder mit den Worten eröffnet: „My Name is Mitch Ryder and I’m from Detroit.“
Den „Nervenkitzel des Ganzen“ besingt er kraftvoll wie eh und je, die staccato gespielten Riffs kommen so scharf wie seinerzeit auf dem fantastischen Album „Never Kick a Sleeping Dog“. Ryder wäre indes nicht der Künstler, der sich selbst wohl immer am ehrlichsten taxiert hat. Er ist keine 38 mehr, wie damals, als er den Song rausbrachte, und sein Leben hatte damals eine andere Intensität, Alkohol, Drogen, Exzesse, ja das ganze Leben war für ihn eine einzige Kampfansage. Fans erinnern sich wohl noch an seinen legendären Auftritt beim WDR-Rockpalast im Oktober 1979, geprägt von einer Mischung aus kraftvoller Überheblichkeit, sehr viel Alkohol und einer Leidenschaft, die nicht nur die Fans in der Grugahalle sprachlos machte, sondern sicher auch die meisten Zuschauer am Fernsehen. Unvergesslich. Das Ende seines Openers „The Thrill of It All“ geht Mitch also etwas gemächlicher an, der Reiz des Nervenkitzels bleibt wohl immer in ihm, aber es ist mehr die sehnsüchtige Erinnerung daran als der Reiz selbst, die Stimme wechselt in einen brüchigen Ausdruck, der auch etwas Traurigkeit in sich hat.
Wut, Verachtung, Schmerz, Liebe – alles in seiner Stimme
Mitch Ryder ist immer ein Highlight im jährlichen Konzertkalender. Und auch an diesem Sonntagabend hat er diese Erwartung vor gut 350 Fans in der Bonner Harmonie nicht enttäuscht. Ich kenne kaum einen Sänger, der so viele Abstufungen im Ausdruck hat, der innerhalb einer Zeile vom Schmerz des Betrogenen in den trotzigen Ton eines Verletzten und dann wieder in den schmeichelnden Ton eines Liebenden wechseln kann („All the Fools It Sees“). Mal presst er kehlig die Stimme („Long Hard Road“), tippelt punktgenau und elegant wie ein Tänzer auf glattem Parkett („Take Me to the River“), brüllt rau und gedrungen aus der Brust („Tough Kid“), spukt seine Verachtung und seinen Zorn aus wie auf „Red Scar Eyes“, in dem es ebenso um die Drogenabhängigkeit seiner früheren Frau geht wie in dem Song „Do You Feel Alright?“, mit dem er uns berührt und uns teilhaben lässt an seiner mitfühlenden Trauer.
Seit gut 50 Jahren tourt Ryder immer wieder durch Deutschland, und die Harmonie gehört auch schon seit fast zwei Dekaden zur festen Tourstation. Bonn und die Harmonie seien mittlerweile sowas wie Heimat geworden, gesteht er am Sonntagabend. Das gilt sicherlich auch für die Berliner Bluesrockband Engerling, seit 1994 seine feste Begleitband in Europa. Und die Band ist auch an diesem Abend einfach fantastisch: Manne Pokrandt macht zwar ein unbeteiligtes Gesicht, aber sein Spiel sagen etwas anderes: Der Mann hat nicht nur einen sensationellen Basssound, er spielt Bassfiguren, die den Songs eine eigene Dynamik geben, unterstützt von einem immer glänzend aufgelegten Tobias Ridder an den Drums.
Heiner Witte ist der Mann für Slidegitarre („Ain’t Nobody White“) und fast orchestrale Gitarreneinschübe, Gisbert „Pitti“ Piatkowski haut uns mit jedem Solo um, mal stark WahWah-betont, dann wieder kreischend schrill. Mal gibt er den Tapping-König mit fingerschnellen Läufen („Long Hard Road“), dann wieder den harten Rocker. Oder er überrascht mit stumpfem, Banjo-artigen Sound wie bei „All the Fools It Sees“. Wolfram „Boddi“ Bodag, an Orgel, Keyboard oder E-Piano immer auf den Punkt, immer empathisch im Song. Sein Piano-Intro zu „Do You Feel Alright?“ bleibt ebenso in guter Erinnerung wie seine Mundharmonika-Einsätze. Tolle Band, toller Sound.
Fantastische Version von „Soul Kitchen“
Und wie so oft beenden Ryder und seine Band diesen wunderbaren Abend mit einer gut 17 Minuten langen Version des Doors-Klassikers „Soul Kitchen“. Der Song startet fast ein wenig jazzig, mit der ruhigen Gelassenheit, die an Grateful Dead erinnert, baut die Band um das Gitarrenspiel von Witte den Song instrumental auf. Und auch Ryder beginnt seinen Gesang sehr entspannt und weich artikulierend: „The clock says it’s time to close now/I guess I’d better go now…“ Bis dann der überraschende Ausbruch kommt: „Let me sleep all night in your soul kitchen/Warm my mind near your gentle stove“. Was muss einer eigentlich erlebt haben, um so eindringlich nach Wärme zu schreien? Und dann setzt Piatkowski zu seinem fantastischen Solo an: abwechslungsreich, mal eher melodisch geführt, dann rhythmisch bestimmt. Bevor „Boddi“ sein psychedelisches Mundharmonikasolo startet, spielt er noch rasch ein paar Läufe aus „Riders on the Storm“ auf dem E-Piano. Fantastisch! Wie das gesamte gut zweistündige Konzert. „Long may you live, Mitch Ryder from Detroit!“
Ab diesen Montag gibt es übrigens schon die Tickets für die 80’s Birthday Tour von Mitch Ryder, die ihn am 23. Februar 2025 wieder in die Harmonie führt.